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Netzbetreiber haften für Schäden durch Überspannung

  • 4 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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In nahezu jedem Haushalt findet sich eine Vielzahl elektrischer Geräte. Sie alle haben eins gemein: Bekommt die empfindliche Elektronik nur kurz etwas zu viel Strom ab, geben viele Geräte den Geist auf. Solche Überspannungsschäden gehen schnell ins Geld, weil es gleich mehrere Geräte auf einen Schlag erwischt. Ob und wie eventuell Netzbetreiber dabei haften, hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Rechtsprechung mit Schadensersatz bisher zurückhaltend

Die Entscheidung ist dabei aus mehreren Gründen interessant. Zum einen natürlich bereits aus dem Grund, dass die Zahl elektronischer Geräte in den Haushalten stetig zunimmt. Zum anderen sah es für Stromkunden, was Schadensersatz in solchen Fällen anging, vor den Gerichten in der Vergangenheit eher düster aus.

So hat der BGH 2004 die Haftung eines Energieversorgers verneint, obwohl dessen Mitarbeiter das 220-Volt-Netz des damaligen Klägers grob fahrlässig mit dem 400-Volt-Netz verbunden hatte (BGH, Urteil v. 26.05.2004, Az.: VIII ZR 311/03). Die Folge, ein Sachschaden an den angeschlossenen Geräten von 26.000 Euro. Grund für die vom BGH verneinte Haftung war ein gesetzliches Haftungsprivileg. Um den Strompreis niedrig zu halten, schloss dieses eine Haftung für Fälle des Stromausfalls und der Belieferung mit einer nicht vertragsgemäßen Spannung oder Frequenz aus.

Strommarkt liberalisiert - die Zeit des einen Anbieters ist vorbei

Nicht zuletzt hat die seitdem weiter fortgeschrittene Liberalisierung des Strommarkts dessen rechtlichen Rahmen erheblich verändert. Wo Stromkunden sich früher, wenn sie Strom haben wollten, an ein einziges Energieversorgungsunternehmen binden mussten, haben sie heute die freie Auswahl. Entsprechend ist zwischen Stromerzeugern und Netzbetreibern zu unterscheiden. Wo einem früher ein Stromunternehmen gegenüber stand, können es nun zwei sein. Stromkunden können außerdem seit der letzten Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) im Jahr 2005 zwischen einem Grundversorgungsvertrag und einem All-Inclusive-Vertrag wählen oder den Bezug und Transport von Strom gar selbst organisieren. Letzteres ist vorwiegend etwas für große Unternehmen. Es gibt inzwischen aber auch Gemeinden, die sich mittels Biogasanlage, Photovoltaik oder Windkraft selbst versorgen.

Für normale Stromabnehmer bilden hingegen Grundversorgung bzw. All-Inclusive-Vertrag die übliche Rechtsgrundlage ihres Strombezugs. Hinsichtlich Haftungsfragen ist dabei bei der Grundversorgung der Netzbetreiber Anspruchsgegner, wenn es um Schäden auf Grund unterbrochener oder unregelmäßiger Stromversorgung geht. Denn allein mit diesem hat der Stromkunde hier ein Vertragsverhältnis. Einen All-Inclusive-Vertrag schließt der Stromkunde dagegen direkt mit dem Stromlieferanten. Dementsprechend haftet der Lieferant für Störungen, auch wenn sie der Netzbetreiber zu verantworten hat.

Netzbetreiber haftet auch ohne Verschulden

Um diese Verantwortung ging es auch in dem vom BGH entschiedenen Fall. Ursache für die Überspannung im Fall des Klägers waren zwei defekte PEN-Leiter. Diese verbanden sein Haus mit der Erdungsanlage. Die Unterbrechung dieser Neutralleiter führte zu einer Überspannung im häuslichen Stromnetz. Infolgedessen kam es zu Schäden an der Heizung, am Garagentorantrieb, an einem Computer, mehreren Telefonen, einem MP3-Player und weiteren Geräten. Insgesamt ein Schaden von mehr als 2800 Euro, den der Mann von seinem Netzbetreiber ersetzt haben wollte. Dieser stritt eine Verantwortung ab. Normalerweise wird diese gemäß § 18 Niederspannungsanschlussverordnung (NAV) vermutet. Ein Sachverständigengutachten stellte jedoch fest, dass der Netzanbieter von der Unterbrechung der PEN-Leiter nichts wissen konnte. Dementsprechend wies das Amtsgericht Wuppertal die Klage ab.

Das Landgericht Wuppertal gelangte in der Berufung allerdings zu einem gegenteiligen Ergebnis. Denn ihm zufolge bestand ein Schadensersatzanspruch auf Grundlage des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG). Das Produkthaftungsgesetz soll vor allem Verbraucher vor einem allzu sorglosen Inverkehrbringen von Produkten schützen. Um diesen Schutz so weitgehend wie möglich zu verwirklichen, tritt eine Haftung auch ohne Verschulden ein. Auf ein fahrlässiges oder gar vorsätzliches Verhalten des Herstellers kommt es nicht an. Dementsprechend spielte es auch keine Rolle, dass der Netzbetreiber von den fehlerhaften Leitern nichts wissen konnte.

Hersteller ist außerdem nicht nur der, der ein Produkt konkret herstellt. Als Hersteller gilt etwa auch, wer ein Produkt verändert oder es importiert. Letztendlich kann es auch Lieferanten treffen, wenn sie Hersteller bzw. ihre Lieferanten nicht benennen können.

Selbstbeteiligung von 500 Euro

Dieses Berufungsurteil bestätigte nun der BGH in der Revision. Denn Elektrizität zählt neben beweglichen Sachen zu den von der Produkthaftung umfassten Produkten. Zudem ist der Netzbetreiber, da er die Spannung des Stroms auf die für den Hausgebrauch üblichen 230 Volt transformiert, Hersteller im Sinne des Produkthaftungsgesetzes. Da diese vom Netzbetreiber vorzunehmende Umwandlung auf Niederspannung nicht richtig gelang, war der ins Haus geleitete Strom fehlerhaft. Die richtige Spannung ist aber essenziell, um dort angeschlossene Geräte richtig betreiben zu können.

Entscheidend war zudem, dass die beschädigten Geräte dem privaten Gebrauch dienten. Denn das setzt das Produkthaftungsgesetz bei Sachbeschädigungen an anderen Gegenständen durch das fehlerhafte Produkt - hier in Form des Stroms mit zu hoher Spannung - voraus. Außerdem müssen Geschädigte sich bei einem Sachschaden mit 500 Euro selbst beteiligen. Bei einem Personenschaden gelten diese Beschränkungen hingegen nicht. Entsprechend musste der Netzbetreiber hier den Schaden abzüglich der Selbstbeteiligung ersetzen.

Das Urteil sorgt künftig für mehr Gewissheit bei Stromkunden. Denn bisher scheiterten derartige Ansprüche in der Regel an der Verschuldensfrage. So hatte noch das Oberlandesgericht (OLG) Hamm vor kurzem entschieden, dass Stromversorger erdverlegte Kabel nicht regelmäßig überprüfen müssen und die Haftung für einen daraufhin eingetretenen Überspannungsschaden im Fall eines Ehepaares abgelehnt (OLG Hamm, Beschlüsse vom 13.03.13 u. 08.05.2013, Az.: 11 U 145/12)

(BGH, Urteil v. 25.02.2014, Az.: VI ZR 144/13)

(GUE)

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