Tarifliche Unkündbarkeit – Sperre und Ruhen bei Abfindung

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Sachverhalt

Angenommen: Sie sind Ende 50/Anfang 60, seit über 30 Jahren bei einer Versicherung beschäftigt und damit tariflich unkündbar. Sie haben seit Längerem mit einer rheumatischen Erkrankung zu tun, ein neu hinzugetretener Diabetes macht Ihnen jetzt auch noch schaffen.

Sie werden von Ihrem Vorgesetzten ständig unter Druck gesetzt, weil Sie in den letzten drei Jahren häufiger krankheitsbedingt gefehlt haben. Wichtige Aufgaben hat man Ihnen weggenommen, häufig sitzen Sie nur herum.

Schließlich entwickeln Sie eine ausgeprägte Depression. Sie werden anerkannt schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 50. Sie sind jetzt seit gut 12 Monaten dauerhaft arbeitsunfähig, eine Reha hat nichts gebracht, ein BEM und eine anschließende Wiedereingliederung blieben erfolglos.

Der Arbeitgeber ruft Sie zu einem Personalgespräch und bietet Ihnen an, gegen Zahlung einer Abfindung von 50.000,00 EUR das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Großzügig wird Ihnen eine Bedenkzeit eingeräumt, aber keine allzu lange – „sonst ziehen wir das durch, und dann gibt’s gar nichts“ – raunt die streng gescheitelte Personalchefin.

Nun fangen Sie an zu rechnen. Geboren z. B. 1959 können Sie als schwerbehinderter Mensch mit 64 Jahren und 2 Monaten vorzeitig ohne Abschläge in Rente gehen. Die tarifliche Kündigungsfrist beträgt 6 Monate, dann folgen 24 Monate Arbeitslosengeld. 

Es bleibt eine kleine Lücke zwischen ALG I und Rente und natürlich gehen Rentenansprüche verloren, weil nicht eingezahlt wird; zudem ist das Arbeitslosengeld niedriger als Ihr Gehalt.

Sie kommen am Ende auf einen Betrag von z. B. 100.000,00 EUR als Abfindung, der Ihnen helfen würde. Und siehe da, der Arbeitgeber macht mit: Beendigung zum Tag X, auf jeden Fall Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist, ordnungsgemäße Abwicklung bis dahin (keinesfalls eine Freistellung, Sie könnten ja plötzlich wieder gesund werden und Kosten verursachen) und ein supergutes Zeugnis, das Sie zwar nicht brauchen werden, aber als Ausdruck von höchster Wertschätzung auf jeden Fall bekommen sollen.

Doch wie wickelt man das nun ab, damit der Plan auch aufgeht?

Aufhebungsvertrag oder Kündigung

Der Aufhebungsvertrag ist nicht zu empfehlen. Allein eine Sperrzeit wegen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur zu riskieren, wäre fahrlässig. Sperrzeit bedeutet eine Verkürzung der Anspruchsdauer um ein Viertel, bei 24 Monaten ALG sind das 6 Monate weniger Leistung (immer noch denken viele, die Sperre ist immer drei Monate – das stimmt leider nicht). 

Vielfach heißt es, man solle sich ein Attest besorgen, auf dem der Arzt bescheinigt, dass das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen aufgelöst werden muss, dann gibt’s keine Sperre. Das kann funktionieren, muss aber nicht. Und ein Problem umschifft man so auf keinen Fall – dazu gleich.

Dann eventuell eine fristgerechte Kündigung aussprechen, Kündigungsschutzklage erheben und einen Vergleich im schriftlichen Verfahren schließen? Man ist sich ja schließlich einig, und es muss keiner zu Gericht laufen. 

Es geht doch nur noch um die Sperrzeit, und die fachlichen Weisungen der BA zu § 159 SGB III sagen ja, dass bei einem gerichtlichen Vergleich eine Sperrzeit ausscheidet. Dann ist es auch egal, dass eventuell der Betriebsrat und das Inklusionsamt (früher: Integrationsamt) gar nicht angehört worden sind.

Dass das klappt, ist recht unwahrscheinlich, denn man setzt sich dem Vorwurf aus, als Schwerbehinderter auf sein Sonderkündigungsrecht verzichtet zu haben. Dies ist ein sog. Beteiligungstatbestand, der auch zu einer Sperre führen kann. Vielleicht umschifft man tatsächlich eine Sperrzeit auf diese Weise; aber auch dies hindert höchst wahrscheinlich eines nicht: die sog. Ruhenszeit nach § 158 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB III wegen der Abfindung.

Tarifliche Unkündbarkeit als Stolperstein

Der Pferdefuß, der vielfach übersehen wird, ist in diesen Fällen die tarifliche Unkündbarkeit. Keine der vielen großartigen Ratgeberseiten im Internet weist darauf hin.

Immer heißt es nur, man müsse bloß die Kündigungsfrist einhalten, dann wird die Abfindung auch nicht „angerechnet“. Doch das greift zu kurz.

Im Falle einer tariflichen Unkündbarkeit nimmt die Agentur für Arbeit nach § 158 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB III eine fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten an. 

Die tarifliche Kündigungsfrist von 6 Monaten reicht da bei Weitem nicht heran, und so verschiebt sich der Beginn des Arbeitslosengeldbezugs um bis zu 12 Monate nach hinten, abhängig von der Höhe der Abfindung und noch ein paar Parametern – immerhin verkürzt er sich nicht auch noch um ein Viertel. Während nun das Arbeitslosengeld ruht, muss man die Abfindung verbrauchen, und schon ist der ganze Plan hinüber.

Unklare Regelung bei krankheitsbedingter Kündigung

Die vermeintliche Lösung liegt nah: § 158 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, 2. Fall SGB III regelt etwas versteckt, dass die fiktive Frist von 18 Monaten dann nicht gilt, wenn die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund mit sozialer Auslauffrist vorliegen. 

Schaut man nun in die fachlichen Weisungen der Bundesagentur zu § 158, finden wir zwar klarere Regeln für die betriebsbedingte Kündigung, aber für die krankheitsbedingte Kündigung nur Folgendes:

„Dauernde Arbeitsunfähigkeit kann im Einzelfall eine fristgebundene außerordentliche Kündigung bei einem eigentlich unkündbaren Arbeitnehmer rechtfertigen. In diesem Fall gilt die ordentliche Kündigungsfrist.“

Und schon stellt sich die Frage: Ist der eigene Fall genau dieser Einzelfall? Rechtsprechung gibt es – soweit ersichtlich – nur zu betrieblich bedingten Kündigungen, nicht zu krankheitsbedingten und schon gar nicht zu anderen personenbedingten Gründen.

Bei Schwerbehinderung führt der Weg über das Inklusionsamt

Also muss man hier grundsätzlich auf Nummer sichergehen und das gesamte Programm abspulen: Der Arbeitgeber muss einen Antrag beim Inklusionsamt auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist stellen. Hat er dazu keine Lust, weil es zu viel Aufwand ist, ist man schon im Risiko.

Auch die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ist eine außerordentliche Kündigung. Das Inklusionsamt muss innerhalb von 2 Wochen entscheiden, andernfalls gilt die Zustimmung als erteilt. 

Viele Inklusionsämter lassen bei außerordentlichen Kündigungen einfach die Frist verstreichen, weil es das Leben leichter macht; immerhin setzen die meisten kurzfristig eine Verhandlung an, wenn es um krankheitsbedingte Kündigungen geht.

Auf eine solche Verhandlung muss man auf jeden Fall hinwirken, sobald der Name des Sachbearbeiters bekannt ist. Die Verhandlung findet beim Inklusionsamt direkt statt, die Sache wird nicht an die örtliche Fürsorgestelle abgegeben. 

So erhält man ein Protokoll, aus dem hervorgeht, dass man nicht einfach auf seinen Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter verzichtet und hat zudem einen Bescheid in der Hand, der dokumentiert, dass die Kündigung wohl wirksam ist.

Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs (Sperre vermeiden)

Nach ausdrücklicher Zustimmung durch das Inklusionsamt muss nun der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist aussprechen. Hiergegen wird Kündigungsschutzklage erhoben und vor dem Arbeitsgericht die vergleichsweise Einigung geschlossen, um die Sperrzeit zu vermeiden, welche die Anspruchsdauer um ein Viertel verkürzt.

Aber, ob das wirklich reicht, kann immer noch nicht sicher vorhergesagt werden. Vielfach wird davon gesprochen, es müsse ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis vorliegen. Dann muss also auf jeden Fall eine längere Arbeitsunfähigkeitszeit bestanden haben, z. B. eine Dauererkrankung mit längerem Krankengeldbezug. 

Man muss aber den Zeitpunkt vor der Aussteuerung erwischen; denn nach der Aussteuerung verbraucht man bereits seine Arbeitslosengeldansprüche und der Ruhestandsplan geht eventuell nicht mehr auf.

Wird Urlaub abgegolten?

Oftmals konnte in Folge der längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten Urlaub nicht genommen werden. Wird dieser am Ende des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber abgegolten, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld I gem. § 157 Abs. 2 SGB III für die Anzahl Tage, für die der Arbeitnehmer eine Urlaubsabgeltung erhält oder zu beanspruchen hat. 

Das lässt sich nur vermeiden, wenn der Arbeitgeber bereit ist, die Resturlaubstage auf die Abfindung draufzupacken. Das stellt jedoch einen Betrug gegenüber den Trägern der Sozialversicherung dar, weil hierauf eigentlich Beiträge zu zahlen sind. 

Viele Richter/innen wollen eine solche Regelung daher gar nicht erst protokollieren, und viele Arbeitgeber machen das nicht mit, weil sie ggf. bei einer Betriebsprüfung den Gesamtsozialversicherungsbeitrag in voller Höhe selbst tragen müssen. Denn wie will man die Regelung im Vergleich „der Urlaub wurde in natura gewährt“ erklären, wenn der Mitarbeiter das ganze Jahr krank war und gar keinen Urlaub nehmen konnte?

Türchen öffnen sich allerdings, wenn der Urlaubsumfang streitig ist oder der Arbeitnehmer nicht das ganze Urlaubsjahr arbeitsunfähig erkrankt war. 

Fachliche Begleitung ist nötig

Alles in allem kann man nur raten, sich bei einer solchen Beendigung des Arbeitsverhältnisses von vornherein fachmännisch begleiten zu lassen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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