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Unfall mit Speed-Pedelec ohne Helm – Mitverschulden

  • 4 Minuten Lesezeit
Gabriele Weintz anwalt.de-Redaktion

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Seit einigen Jahren gibt es jetzt schon Elektrofahrräder und man sieht sie aufgrund sinkender Preise immer häufiger auf unseren Straßen – E-Bikes bzw. Pedelecs (Pedal Electric Cycle) oder sogenannte Speed-Pedelecs (S-Klasse). Bei allen Arten von Elektrofahrrädern wird das Treten durch einen Elektromotor unterstützt und so erleichtert. Aufgrund des Motors werden mit diesen Fahrrädern schnell Geschwindigkeiten über 25 km/h erreicht, was bei einem Sturz zu schwereren Verletzungen führen kann.

Speed-Pedelec bei Fachhändler gekauft

Der Kläger, seines Zeichens selbstständiger Kieferorthopäde, kaufte am 08.06.2010 bei der Beklagten, Inhaberin eines Fahrradgeschäfts, ein Elektrofahrrad, genauer ein sogenanntes Speed-Pedelec zum Preis von 1930 Euro. Der Kläger wünschte für dieses Fahrrad „breitere Räder“, die die Verkäuferin ihm auch auf die Felgen aufzog. Das komplett vormontierte Fahrrad versendete die Verkäuferin in drei Paketen an die deutsche Grenze, wo der Mann diese abholte. Die Laufräder setzte der Kläger später selbst in die Gabel des Fahrrads ein, die Endmontage und das Aufpumpen der Reifen ließ er jedoch von der Fahrradwerkstatt W vornehmen.

Unfall ohne Helm

Am 31.07.2010 war der Kläger mit seinem Speed-Pedelec unterwegs, jedoch ohne Helm. Auf dieser Fahrt stürzte er mit einer Geschwindigkeit von ca. 35 bis 40 km/h und erlitt schwerste Verletzungen, unter anderem schwere Kopf- bzw. Gehirnverletzungen sowie mehrere Gesichtsfrakturen. Nach zwei Wochen im künstlichen Koma auf der Intensivstation und weiteren zwei Wochen auf Normalstation wurde er auf eigenen Wunsch am 27.08.2015 aus dem Krankenhaus entlassen. In der Folgezeit war er für 4 Wochen zu 100 % arbeitsunfähig, im Anschluss daran zu 70 % und zum Zeitpunkt der Klageeinreichung zu 20 %. Später wurden noch ein fast vollständiger Verlust des Geruchssinns und eine Verletzung des Ischiasnerves, was häufig zu Schmerzen im Fuß führte, diagnostiziert.

Schaden erst später mitgeteilt

Im September 2010 nahm der Kläger erstmals Kontakt zu der Beklagten auf, erwähnte jedoch nichts von seinem Sturz. In einem kurze Zeit später erfolgten Telefonat mit der Beklagten teilte der Mann nur mit, dass ein Schlauch im Hinterrad geplatzt sei, nicht jedoch, dass er gestürzt und schwer verletzt worden ist. Erst nachdem er ein Schreiben seiner Fahrradwerkstatt W mit Datum vom 30.10.2010 erhielt, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass die Beschädigung des Reifens darauf hinweist, dass der Schlauch bei der Montage zwischen Reifen und Felge eingeklemmt wurde und dadurch platzte, machte er seinen Schaden bei der Verkäuferin geltend.

Gutachter stellt fehlerhafte Montage des Reifens fest

Am 20.07.2011 leitete der Kläger bei Gericht ein selbstständiges Beweisverfahren ein. In dessen Verlauf kam der eingeschaltete Sachverständige für Zweiräder zu dem Ergebnis, dass der Schlauch im hinteren Reifen des Fahrrads geplatzt ist, was zu dem Sturz führte. Ursächlich für das Platzen war die fehlerhafte Montage des Schlauches, durch die der Schlauch zwischen Reifendraht und Felgenschulter eingeklemmt wurde und schließlich platzte. Außerdem sei die Verwendung des breiten Reifens für die schmale Felge des Fahrrads durch den Fahrradhersteller nicht zulässig gewesen.

Verkäuferin lehnt Verantwortung ab

Die Verkäuferin des Fahrrads gab an, dass sie selbst nach der Montage des Fahrrads eine längere Probefahrt unternommen habe. Wäre der Schlauch tatsächlich eingeklemmt gewesen, hätte dies bereits bei der Probefahrt auffallen müssen. Ein Verrutschen des Schlauches könnte aber beispielsweise auf dem Transport erfolgt sein. Außerdem wurde das Fahrrad durch die Fahrradwerkstatt W endmontiert und die Reifen aufgepumpt. Daher sei diese Firma verpflichtet gewesen, den ordnungsgemäßen Sitz des Schlauches zu überprüfen, noch dazu weil in der Werkstatt W das Felgenbad des betroffenen Hinterrades ausgetauscht worden ist.

Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangt

Mit seiner Klage verlangte der Kläger unter anderem Schadensersatz i. H. v. über 700.000 Euro und Schmerzensgeld i. H. v. 50.000 Euro. Fest steht, dass die beiden Parteien einen Kaufvertrag über das Fahrrad abgeschlossen haben. Da die Verkäuferin dem Käufer eine Reifen-Felgen-Kombination verkauft hat, die nach den Vorgaben des Fahrradherstellers, einzusehen beispielsweise auf dessen Homepage, für Speed-Pedelecs nicht zulässig ist, hat sie gegen eine vertragliche Pflicht verstoßen. Sie hätte den Käufer darauf hinweisen müssen, dass diese Kombination vom Hersteller nicht vorgesehen ist. Dass gerade diese Kombination von Reifen, Schlauch und Felge zu einem Einklemmen des Schlauches zwischen Reifendraht und Felgenschulter geführt hat und dadurch der Schlauch geplatzt ist, hat der Sachverständige unzweifelhaft bewiesen. Dies wiederum führte dann zu dem folgenschweren Sturz.

Mitverschulden liegt vor

Allerdings minderten die Richter den Schadensersatzanspruch des Klägers wegen Mitverschuldens nach § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf 50 % des materiellen und 50 % des immateriellen Schadens, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Das Schmerzensgeld minderten sie auf 30.000 Euro. Zur Begründung führten sie an, dass der Kläger sein Speed-Pedelec, welches Geschwindigkeiten von bis zu 40 km/h erreichen kann, ohne Helm benutzt hat. Bereits seit 1978 existiert § 21 a Straßenverkehrsordnung (StVO) der regelt, dass für Fahrräder mit Hilfsmotor und einer durch die Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 25 km/h eine Helmpflicht besteht. Daher hätte der Kläger erkennen müssen, dass er bei der Benutzung des Elektrofahrrads einen Helm tragen müsse.

(Landgericht Bonn, Grundurteil v. 11.12.2014, Az.: 18 O 388/12)

(WEI)

Foto(s): ©fotolia.de

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