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ARD-Film „Terror“ – Tötung unschuldiger Menschen zur Rettung unschuldiger Menschen?

  • 4 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Im ARD-Film „Terror – Ihr Urteil“ schießt ein Kampfpilot eine von einem Terroristen entführte Passagiermaschine ab, damit dieser sie nicht in die mit 70.000 Zuschauern besetzte Allianz-Arena lenken kann. Die Flugzeuginsassen sterben infolge des Abschusses. Der Pilot wird anschließend wegen Mordes in 164 Fällen angeklagt. Zum Ende des Films mussten die Zuschauer dessen Urteil fällen: Verurteilung wegen Mordes oder Freispruch.

Mehrheit für Unschuld

86,9 Prozent der deutschen Zuschauer, die an der anschließenden Umfrage teilnahmen, entschieden, der Pilot sei unschuldig und daher freizusprechen. 13,1 Prozent plädierten dagegen für schuldig und damit für seine Verurteilung. Auch nach Meinung von 86,9 Prozent der österreichischen Zuschauer sei der Pilot nicht zu verurteilen. Von den Schweizer Zuschauern war mit 84 Prozent ebenfalls eine hohe Zahl gegen eine Verurteilung. Die im Internet und per Telefon mögliche Abstimmung begleiteten jedoch technische Probleme. Die Webseite sei nur schwer erreichbar und die beiden Telefonnummern seien meist besetzt gewesen. Auf das grundsätzliche Ergebnis – den Freispruch des Piloten – dürfte sich das jedoch nicht ausgewirkt haben.

Grundlage des Films ist das gleichnamige Theaterstück des Juristen und Schriftstellers Ferdinand von Schirach. Auch bei dessen Aufführung werden die Besucher nach ihrem Urteil gefragt. Laut der Website terror.theater haben bislang 59,9 Prozent der Besucher den Piloten freigesprochen. Abweichend davon sind die Besucher der vier Aufführungen in Japan deutlich für eine Verurteilung des Piloten.

Zum Abstimmungsergebnis nach dem Film dürften neben der Identifikation der Zuschauer mit dem den Schauspielern – insbesondere dem Piloten – und der allgemeinen Abneigung gegen Terror auch die Handlung des Stücks beigetragen haben. So wurde das Stadion bewusst nicht evakuiert. Auch wenn das Flugzeug nicht abgeschossen worden wäre, wären die Passagiere im Film ums Leben gekommen. Ein anderes Ziel der Terroristen als den Absturz gab es hier nicht. Was hätte der Pilot anderes tun können? Das lenkt von der grundlegenden Frage ab: Darf man unschuldige Menschen töten, um den Tod einer größeren Zahl unschuldiger Menschen zu verhindern?

Staat darf keine Unschuldigen zur Rettung anderer töten

2005 wollte der Gesetzgeber den Abschuss zulassen, wenn ein Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollte, und Waffengewalt das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr sei. Zur Rechtfertigung wurde argumentiert, wer sich an Bord eines Flugzeugs begebe, willige bei einer Entführung in seinen Tod ein. Das hielt das Verfassungsgericht aber für lebensfremd. Entsprechendes gilt für den Gedanken, das Flugzeug würde zur Waffe umfunktioniert und die Insassen dabei zu einem Teil von ihr oder die Annahme, die Insassen einer entführten Maschine seien ohnehin dem Tod geweiht.

Den entsprechenden § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG), der den Abschuss zuließ, erklärte das Bundesverfassungsgericht 2006 für rechtswidrig (BVerfG, Urteil v. 15.02.2006, Az.: 1 BvR 357/05). Es verletze das Grundrecht auf Leben in Verbindung mit der Menschenwürde der Menschen, die sich ohne Tatbeteiligung an Bord befinden. Die Menschenwürde basiere auf dem Leben. Nimmt der Staat jemandem das Leben, missachte er die Menschenwürde. Diese Missachtung ist dem Staat aber gerade durch Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gegenüber den wehr- und hilflos der Situation ausgelieferten Flugzeuginsassen verboten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Das Bundesverfassungsgericht hält ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer für unzulässig, weil ihnen das ihren Wert als Mensch abspricht. Das Bundesverfassungsgericht macht jedoch deutlich, dass das nicht für das Grundrecht auf Leben der Täter gelte. Der Staat dürfe somit den Abschuss eines ausschließlich mit Tätern besetzten Flugzeugs zulassen, da diese von ihrem Plan Abstand nehmen könnten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte dabei nur den vorsätzlichen Abschuss durch das Luftsicherheitsgesetz mit Blick auf dessen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu prüfen. Mit der strafrechtlichen Beurteilung eines Abschusses bzw. dessen Anordnung befasste es sich in seiner Entscheidung deshalb ausdrücklich nicht.

Umstrittener übergesetzlicher Notstand

Auch das derzeit in Deutschland geltende Strafrecht hilft in einer Situation wie der des Piloten nicht weiter. Die Behauptung, die Betroffenen hätten ohnehin keine Chance gehabt, zu überleben, wäre zu einfach für eine Rechtfertigung. Wer weiß schon, dass es auch sicher zum Absturz kommt? Vielleicht sind die Passagiere gerade kurz davor, die Entführer zu überwältigen. Für eine gesetzliche Rechtfertigung zur Tötung Unschuldiger reicht das nicht. Diese läuft zwangsläufig auf eine Abwägung Leben gegen Leben hinaus, die einer Seite das Recht zum Leben aus nicht von ihr zu verantwortenden Gründen abspricht.

Dennoch widerstrebt es dem Gerechtigkeitsgefühl, dass es keinen straffreien Ausweg für jene geben soll, die in eine Situation geraten, in der sie über Leben und Tod Unschuldiger entscheiden müssen und dadurch zum Täter werden. Das Gericht verweist in beiden Enden des Films auf den entschuldigenden Notstand und den sogenannten übergesetzlichen entschuldigenden Notstand. Der in § 35 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) geregelte entschuldigende Notstand kommt dem Piloten nicht zugute. Ihm fehlt es an der dafür notwendigen Nähebeziehung zu den bedrohten Flugzeuginsassen. Der Gedanke hinter dieser Einschränkung auf nahestehende Personen ist, dass Menschen sich ihnen gegenüber anders als gegenüber Fremden besonders verpflichtet fühlen. Wer deshalb zum Täter wird, ist in solchen Fällen daher entschuldigt. Sein Verhalten ist ihm nicht persönlich vorwerfbar und er kann nicht bestraft werden.

Der übergesetzliche entschuldigende Notstand ist nicht auf bestimmte Personen eingeschränkt. Er hat aber, wie der Name schon sagt, keine Grundlage im Gesetz. Im Film wird der Pilot auf Grundlage des übergesetzlichen Notstands einmal freigesprochen. Im alternativen Ende wird die Anwendbarkeit des übergesetzlichen Notstands dagegen verneint und der Pilot verurteilt. In der Praxis ist der übergesetzliche Notstand umstritten und wurde von deutschen Gerichten noch nicht angewandt. Laut Bundeswehrverband sollen Soldaten einen Abschussbefehl verweigern dürfen, da sie damit eine rechtswidrige Straftat begehen würden.

(GUE)

 

Foto(s): ©Fotolia.com

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