Arzthaftung bei Behandlungsfehlern: Strafanzeige gegen den behandelnden Arzt führt selten zum Erfolg!

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Unterschiedliche Chancen von Zivil- und Strafverfahren im Arzthaftungsprozess – Patient erstickt im Krankenhaus!

Unser Fall

Unsere Mandantin bat aufgrund des Todes ihres erst 62-jährigen Ehemanns nach einem Behandlungsfehler um anwaltlichen Rat. Nach der zunächst erfolgreichen und komplikationslosen Operation eines Mundbodenkarzinoms wurde ihrem Ehemann vorübergehend ein künstlicher Luftröhrenzugang gelegt. Er erholte sich bestens und konnte bereits nach nur 12 Stunden von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt werden. Da die zuständigen Pflegekräfte den künstlichen Luftröhrenzugang nicht ausreichend spülten, kam es zu einer Verstopfung durch Sekretansammlungen und der Ehemann unserer Mandantin bekam keine Luft mehr. Er kollabierte daraufhin und musste reanimiert werden. Durch die Sauerstoffunterbrechung erlitt er schwerste Gehirnschädigungen und verstarb schließlich.

Das Problem

Viele Patienten, die selbst oder als Angehörige Opfer einer fehlerhaften Behandlung geworden sind, wünschen sich aufgrund des oftmals auch psychisch immensen Leidensdrucks neben der Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie dem Ersatz des entstandenen Schadens zusätzlich zur emotionalen Verarbeitung eine öffentlichkeitswirksame Bestrafung des Arztes.

Einige Anwälte raten ihren Mandanten, den behandelnden Arzt im Fall des Verdachts auf einen Behandlungsfehler strafrechtlich zu belangen. Diese Auffassung kann von professionellen Patientenanwälten keinesfalls geteilt werden. Eine Strafanzeige gegen den Arzt bringt zwar eine für den Mandanten kostenlose Beschlagnahmung der Krankenunterlagen sowie eine Gutachtenerstellung im Auftrag der Staatsanwaltschaft mit sich, birgt jedoch auch erhebliche juristische Nachteile.

Das Zivilverfahren

Um eine zivilrechtliche Haftung zu bejahen, genügt es, wenn im Rahmen eines Behandlungsvertrags ein durch den Behandelnden zu verantwortender Verstoß gegen den medizinischen Standard zu einem Gesundheitsschaden bei dem Patienten führt. Hierbei muss die Pflichtverletzung lediglich nach der allgemeinen menschlichen Lebenserfahrung geeignet sein, den tatsächlich eingetretenen Schaden zu verursachen (Adäquanztheorie). Dass ein nicht ordnungsgemäß gespültes Röhrchen verstopfen kann und dies auch geeignet ist, letztlich den Erstickungstod des Patienten herbeizuführen, liegt innerhalb dieser allgemeinen Lebenserfahrung.

Zivilrechtlich handelt es sich bei der unterlassenen Spülung des künstlichen Luftröhrenzugangs sogar um einen groben Behandlungsfehler, da dieser im Nachhinein überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Dies hat die Folge, dass sich die Beweislast zugunsten unserer Mandantin umkehrt (§ 630h Abs. 5 BGB). Das bedeutet, dass die Behandelnden beweisen müssen, dass es auch bei ordnungsgemäßer Spülung des künstlichen Luftröhrenzugangs zu einer Sekretverstopfung, einer dadurch bedingten Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr und schließlich zu den massiven Gehirnschädigungen und dem Tod des Patienten gekommen wäre. Diesen Nachweis können die Behandelnden nicht führen. Dem folgt, dass aufgrund der Beweislastumkehr im Rahmen eines Zivilprozesses Schmerzensgeld- und Schadenersatzansprüche durch die Witwe des verstorbenen Patienten erfolgreich durchgesetzt werden können.

Das Strafverfahren

Strafrechtlich gilt ein deutlich strengerer Beweismaßstab. Eine Beweislastumkehr existiert nicht. Im Gegenteil, hier gilt die Unschuldsvermutung zugunsten des Behandlers („in dubio pro reo“). Das bedeutet, dass eine strafrechtliche Haftung nur dann zu bejahen ist, wenn die Pflichtverletzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für den eingetretenen Gesundheitsschaden ursächlich war (Äquivalenztheorie). Diese Wahrscheinlichkeit ist in der Praxis kaum nachweisbar und hat zur Folge, dass Strafverfahren gegen Ärzte regelmäßig aus rechtlichen Gründen eingestellt werden. Zudem berücksichtigt der Strafrichter auch die persönlichen Umstände des Arztes, sodass es häufig auch zu Verfahrenseinstellung aus tatsächlichen Gründen wegen geringer Schuld und fehlenden öffentlichen Interesses oder aber nach Erfüllung von wiedergutmachenden Auflagen kommt.

Der häufig durch den Strafantrag erwünschte Druck auf den Arzt führt indes im Ergebnis zu kaum kalkulierbaren Auswirkungen auf dessen „Vergleichsbereitschaft“, da der Arzt im Strafverfahren auch persönliche berufsrechtliche und öffentlichkeitswirksame Konsequenzen zu befürchten hat, während im Zivilverfahren regelmäßig die Haftpflichtversicherung die wirtschaftliche Schadensregulierung übernimmt.

Der Fall

In unserem Fall wurde das Strafverfahren aus rechtlichen Gründen gemäß § 170 II StPO von der Staatsanwaltschaft eingestellt, da die behandlungsfehlerhaften Sorgfaltspflichtverletzungen der beteiligten Ärzte und Pfleger nicht mit der im Strafverfahren erforderlichen „mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ bewiesen werden konnten. Schmerzensgeld- und Schadenersatzansprüche werden nun von unserer Kanzlei mit erheblicher Zeitverzögerung zivilrechtlich geltend gemacht. Zwar sind Straf- und Zivilverfahren grundsätzlich voneinander unabhängig, in der Praxis wird sich der Arzt jedoch auf ein eingestelltes Strafverfahren berufen und auch eine zivilrechtliche Haftung ablehnen.

Fazit

Der auf Patientenvertretung spezialisierte Fachanwalt für Medizinrecht muss seinem Mandanten grundsätzlich von der Durchsetzung seiner Ansprüche im Strafprozess abraten. Anderenfalls könnte ihm sogar ein anwaltlicher Kunstfehler vorgeworfen werden. In Einzelfällen kann eine Strafanzeige bei Behandlungsfehlern mit tödlichem Ausgang jedoch ausnahmsweise sinnvoll sein, wenn beispielsweise eine ordnungsgemäße Obduktion durch einen Rechtsmediziner gewährleistet und die (selten objektive) Beurteilung durch den Krankenhaus-Pathologen verhindert werden soll. Auch bei unterlassener Hilfeleistung kann ein strafrechtliches Vorgehen angezeigt sein.

Sollten Sie Opfer eines Behandlungsfehlers geworden sein oder auch nur den Verdacht haben, ist eine Beratung bei einem Patientenanwalt unumgänglich, um sich über die für Ihren individuellen Fall erfolgversprechendsten Maßnahmen zu informieren.

Anne Schunack, Dipl. Wirtschaftsjuristin (FH)

Tätigkeitsschwerpunkt Medizin-& Arzthaftungsrecht


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