"Aussage gegen Aussage - das wird doch eh ein Freispruch"
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Warum dieser Satz trügt und worauf es in der Praxis wirklich ankommt
„Wozu einen Anwalt einschalten? Es steht Aussage gegen Aussage - der Richter wird mir schon glauben!“
Solche oder ähnliche Aussagen hört man häufig von Beschuldigten. Die Vorstellung: Wenn es Aussage gegen Aussage steht und es keine objektiven Beweise gibt, ist ein Freispruch sicher. Kein Gericht könne jemanden verurteilen, „nur weil eine Person etwas behauptet“. Doch diese Annahme ist ein weitverbreiteter Irrtum – und kann für Betroffene fatale Folgen haben. Denn in Wahrheit sind „Aussage gegen Aussage“ Konstellationen nicht automatisch ein Fall für den Freispruch.
Gerade bei sogenannten „Zweipersonendelikten“, wie etwa Beleidigung, Bedrohung oder Nötigung in privaten oder häuslichen Zusammenhängen, gibt es häufig keine objektiven Spuren und keine weiteren Zeugen. Das Geschehen spielt sich oft verbal ab – meist in einem privaten Raum, ohne dass Dritte etwas mitbekommen. Dass es keine objektiven Beweise gibt, bedeutet allerdings nicht, dass die Aussage der betroffenen Person weniger Gewicht hätte. Vielmehr prüft das Gericht in solchen Fällen besonders genau, ob die belastende Aussage glaubhaft und die aussagende Person glaubwürdig ist. Wer sich darauf verlässt, dass schon „nichts passieren wird“, geht ein hohes Risiko ein.
Der Grundsatz "in dubio pro reo"
Der Gedanke hinter der vermeintlichen Sicherheit: Wenn Aussage gegen Aussage steht, ist nicht zu beweisen, was tatsächlich geschehen ist – also gilt in dubio pro reo („im Zweifel für den Angeklagten“) und es muss freigesprochen werden.
Doch so einfach ist es nicht. Gerade bei "Zweipersonendelikten" kommt es regelmäßig nur zu einer Konfrontation zweier Aussagen: der des mutmaßlichen Opfers und der des Beschuldigten. Dass keine objektiven Beweise oder unbeteiligten Zeugen vorliegen, ist in solchen Fällen eher die Regel als die Ausnahme – und dennoch wird in vielen Verfahren eine belastbare Entscheidung getroffen.
Denn: in dubio pro reo bedeutet nicht, dass bei jeder Unsicherheit oder in jeder „Aussage gegen Aussage“ Situation ein Freispruch erfolgen muss. Der Grundsatz greift erst dann, wenn das Gericht nach umfassender Beweiswürdigung tatsächliche Zweifel an der Schuld des Angeklagten nicht ausräumen kann. Vorher ist das Gericht aber verpflichtet, alle Beweise sorgfältig zu würdigen und sich ein umfassendes Bild davon zu machen, ob die belastende Aussage glaubhaft und die aussagende Person glaubwürdig ist. Erst wenn danach ein nicht auflösbarer Zweifel verbleibt, muss das Verfahren zugunsten des Angeklagten ausgehen.
Worauf es wirklich ankommt: Glaubhaftigkeit der Aussage und Glaubwürdigkeit des Zeugen
Gerade in "Aussage gegen Aussage" Konstellationen ist das Gericht dazu verpflichtet, sich ein eigenes Bild von der Glaubhaftigkeit der belastenden Aussage zu machen – und gegebenenfalls auch von der Glaubwürdigkeit der Person, die sie abgibt.
Unter der Glaubwürdigkeit versteht man die generelle Vertrauenswürdigkeit einer Person. Das Gericht prüft dabei, ob es objektive Gründe gibt, an der Wahrhaftigkeit der Aussageperson zu zweifeln – etwa aufgrund von Vorstrafen, Falschaussagen in der Vergangenheit, eines erkennbaren Eigeninteresses an der Belastung des Beschuldigten oder auffälliger Widersprüche im Aussageverhalten über die Zeit hinweg. Glaubwürdigkeit ist also ein personenbezogenes Kriterium, das über die generelle Zuverlässigkeit der Aussageperson Auskunft geben soll.
Von der Glaubwürdigkeit zu trennen ist die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage. Hier stellt das Gericht nicht darauf ab, wer spricht, sondern was gesagt wird – und ob diese Aussage in sich schlüssig, detailreich, widerspruchsfrei und psychologisch nachvollziehbar ist. Dabei prüft das Gericht nach anerkannten aussagepsychologischen Kriterien, ob die Aussage spontan, konsistent und plausibel ist. Es geht also nicht um den „guten Eindruck“, sondern um methodisch abgesicherte Analyse:
Gibt es nachvollziehbare Erinnerungsfehler oder Widersprüche?
Hat die Aussage einen „Erlebnisbezug“, also Hinweise darauf, dass sie auf einer tatsächlichen Wahrnehmung und nicht auf einer erfundenen Geschichte beruht?
Bleibt die Person auch unter Nachfragen konsistent?
Gibt es Belastungstendenzen, z. B. aufgrund eines Konflikts oder anderer Motive?
Auch Menschen, die persönlich wenig vertrauenswürdig erscheinen, können glaubhafte Aussagen machen – und umgekehrt können glaubwürdige Personen eine Aussage machen, die inhaltlich nicht überzeugt. Entscheidend ist die differenzierte und sorgfältige Würdigung beider Ebenen durch das Gericht.
Die Rolle des Rechtsanwalts
Für den Beschuldigten bietet der Anwalt Unterstützung dabei, die eigene Verteidigungsstrategie zu entwickeln, eventuelle Widersprüche in der gegnerischen Aussage aufzuzeigen und die Glaubhaftigkeit der belastenden Aussage zu hinterfragen. Ein Anwalt wird gezielt auf die Widerspruchsfreiheit und mögliche Fehler in der Wahrnehmung des Zeugen achten. Zudem wird der Verteidiger die Rechte des Beschuldigten schützen und sicherstellen, dass er nicht zu Unrecht belastet wird. Es geht darum, die eigene Version der Ereignisse überzeugend darzustellen und alle relevanten Aspekte in die Beweiswürdigung einzubringen.
Auch für den Zeugen und vermeintlich Geschädigten, der in einer "Aussage gegen Aussage" Situation steht, ist die Unterstützung eines Rechtsanwalts von entscheidender Bedeutung. Der Anwalt hilft dabei, die Aussage des Zeugen strukturiert und vollständig zu formulieren, sodass keine wesentlichen Details verloren gehen. Besonders wichtig ist hier, dass der Anwalt darauf achtet, dass der Zeuge vor unzulässigen Einschüchterungen oder manipulativen Versuchen der Verteidigung geschützt wird. In einer solchen Konstellation kann es vorkommen, dass der Beschuldigte versucht, das Opfer durch Fragen oder Andeutungen zu verunsichern oder zu diskreditieren. Der Anwalt des Zeugen sorgt dafür, dass diese unzulässigen Taktiken nicht zum Erfolg führen und die Wahrheit im Verfahren Gehör findet.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass der Anwalt dem Zeugen hilft, die emotionale Belastung zu bewältigen, die häufig mit einer Aussage in einem Strafverfahren verbunden ist. Oft sind es gerade die psychologischen Belastungen, die dazu führen, dass wichtige Details vergessen oder nicht vollständig wiedergegeben werden. Der Anwalt stellt sicher, dass die Aussage klar, präzise und vollständig ist, ohne dass der Zeuge sich durch Druck oder Stress unsicher fühlt.
Fazit: Aussage gegen Aussage – kein rechtsfreier Raum
Die Vorstellung, dass „Aussage gegen Aussage“ automatisch zu einem Freispruch führt, ist ein weit verbreiteter Mythos. Selbst in solchen Konstellationen kann eine Verurteilung erfolgen, wenn das Gericht die belastende Aussage nach eingehender Prüfung für glaubhaft hält. Gleichzeitig schützt der Grundsatz in dubio pro reo davor, dass jemand allein aufgrund einer unbelegten Behauptung verurteilt wird. Doch zwischen einer bloßen Behauptung und einer glaubhaften Aussage liegt ein entscheidender Unterschied – den das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung sorgfältig und methodisch ermittelt.
Sie brauchen Hilfe in einem "Aussage gegen Aussage" Verfahren? Ich stehe Ihnen zur Seite!
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