Bürgschaftswiderruf zu GmbH-Kontokorrentkredit - Aktuelle Bundesgerichtshof-Entscheidung

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In einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 22.09.2020, Az. XI ZR 219/19) hat der Bundesgerichtshof (BGH) die bislang sehr umstrittene Frage geklärt, ob Bürgschaften nach § 312g Abs. 1 BGB bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (§ 312b BGB) und bei Fernabsatzverträgen (§ 312c BGB) widerrufen werden können.

Sachverhalt

In dem vom BGH entschiedenen Fall nahm die klägerische Bank den Bürgen auf Zahlung aus einer selbstschuldnerischen Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch. Der Beklagte hatte als geschäftsführender Alleingesellschafter der Hauptschuldnerin zugunsten der Bank im Dezember 2015 eine Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 170.000,00 Euro übernommen. Hiermit sollten sämtliche Ansprüche aus dem Kreditvertrag gesichert werden. Die Bank hatte der von dem Beklagten geführten GmbH einen Kontokorrentkredit über 300.000,00 Euro mit einem Zinssatz von 7,5% p. a. eingeräumt. Bei Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung in den Geschäftsräumen der Hauptschuldnerin, war der Geschäftsführer nicht über ein Widerrufsrecht belehrt worden.

Nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt worden war, kündigte die Klägerin den Kontokorrentkredit fristlos. Sie stellte einen Saldo in Höhe von 295.779,65 Euro zur Rückzahlung fällig. Den Bürgen forderte die Bank dazu auf, diesen Betrag zuzüglich Zinsen zu zahlen Daraufhin erklärten dessen Prozessbevollmächtigte den Widerruf der auf Abschluss des Bürgschaftsvertrags gerichteten Willenserklärung des Geschäftsführers. 

Zunächst hatte das erstinstanzliche zuständige Landgericht den Beklagten zur Zahlung der eingeklagten 170.000,00 Euro zuzüglich 6.474,36 Euro sowie weiteren Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz verurteilt. In zweiter Instanz wies das Berufungsgericht die Klage ab. Die vom BGH zu entscheidende Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Rückverweisung an das Berufungsgericht.

BGH verneint Widerrufbarkeit von außerhalb von Geschäftsräumen gestellten Bürgschaften gemäß § 312g BGB

In seinem Urteil entschied der BGH, ein Widerruf sei jedenfalls für solche Bürgschaften nicht mehr möglich, die von der ab dem 13.06.2014 geltenden Neufassung des § 312 Abs. 1 BGB erfasst werden. Denn das Widerrufsrecht nach § 355 BGB i. V. m. § 312b Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB setze gemäß § 312 Abs. 1 BGB einen Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB) voraus, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand habe. Erforderlich sei daher, dass der Unternehmer aufgrund eines Verbrauchervertrages die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat. Diese Voraussetzungen eines Widerrufsrechts erfüllten Bürgschaften nicht, so der BGH als höchstes deutsches Zivilgericht. 

Entgegen der früheren Rechtsprechung zu § 1 HWiG bzw. § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung und entgegen der vom Berufungsgericht sowie Teilen der Rechtsliteratur vertretenen Auffassung genüge es für die Anwendbarkeit der §§ 312b, 312g BGB nicht, dass der Bürge sein Leistungsversprechen in der dem Gegner erkennbaren Erwartung abgibt, ihm selbst oder einem bestimmten Dritten werde daraus irgendein Vorteil erwachsen. Denn in einem solchen Fall erbringe der Unternehmer die charakteristische Leistung gerade nicht gegen ein vereinbartes Entgelt des Verbrauchers im Sinne von § 312 Abs. 1 BGB.

In diesem Zusammenhang führte der BGH weiter aus, dass auch die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB auf Verträge über Finanzdienstleistungen nicht zu einem Widerrufsrecht des Bürgen führe. Denn Bürgschaften oder sonstige Kreditsicherheiten von Verbrauchern seien von dem in § 312 Abs. 5 Satz 1 BGB legal definierten Begriff der Finanzdienstleistungen nicht erfasst.

Weiter begründete der BGH, das Widerrufsrecht könne auch nicht nach §§ 355, 312 b Abs. 1, 312 g Abs. 1 BGB entgegen dem eindeutigen Wortlaut aus Schutzzweckerwägungen im Wege einer Analogie auf außerhalb von Geschäftsräumen gestellte Verbraucherbürgschaften ausgeweitet werden. Hierfür fehle es an einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung. Denn der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung der §§ 312 ff. BGB ausschließlich Verbraucherverträge erfassen wollen, die als Austauschvertrag mit einer Gegenleistung des Verbrauchers ausgestaltet sind. Dies ergäbe sich aus der Gesetzesbegründung. Demgegenüber sollten Verträge, in denen der Verbraucher die für den Vertragstypus charakteristische Leistung schuldet, von §§ 312 ff. BGB ebenso wenig erfasst werden wie unentgeltliche Verbraucherverträge.

Ferner hielt der BGH fest, dass die §§ 312 Abs. 1, 312 b Abs. 1, 312 g Abs. 1 BGB auch nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung oder Rechtsfortbildung auf Bürgschaftsverträge erstreckt werden könnten. Gegenteiliges lasse sich nicht aus Art. 3 Abs. 1 RL 2011/83/EU folgern. Zwar sei es zutreffend, dass die in Art. 3 Abs. 1 Abs. 2 aufgenommene Umschreibung „jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmen und einem Verbraucher geschlossen werden“, entsprechend § 310 Abs. 3 BGB zunächst alle Verträge zwischen einem Unternehmen und einem Verbraucher ohne Rücksicht auf den Vertragsgegenstand erfasse. Die Richtlinie gälte für diese Verträge nach Art. 3 Abs. 1 allerdings nur unter den Bedingungen und in dem Umfang, wie sie in den Bestimmungen der Richtlinie festgelegt seien. Insofern könne Art. 3 Abs. 1 RL nur für die Vertragsarten gelten, für die die Richtlinie auch Regelungen enthält. Für einseitige Verbraucher verpflichtende Verträge enthalte die Richtlinie jedoch nach wie vor kein Widerrufsrecht, so der BGH. Solche Verträge würden dem Anwendungsbereich der Richtlinie gerade nicht unterfallen, da sie keine Leistung des Unternehmers zum Vertragsgegenstand hätten.

Abschließend führte der BGH in seiner Entscheidung aus, es bestehe für eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV kein Anlass. Denn die Frage, ob die Richtlinie entsprechend § 312 Abs. 1 BGB voraussetze, dass der Unternehmer gegen ein vereinbartes Entgelt des Verbrauchers die vertragscharakteristische Leistung erbringt, sei angesichts des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks der Richtlinie ohne Weiteres zu beantworten, so dass für Zweifel kein Raum verbleibe („acte clair“).  

Praxistipp für GmbH-Geschäftsführer und andere Unternehmensleiter

Wie die Entscheidung zeigt, ist das persönliche Leistungsversprechen des GmbH-Geschäftsführers im Rahmen einer Bürgschaft für Kontokorrentschulden der GmbH mit weitreichenden wirtschaftlichen Konsequenzen verbunden, die vor Abgabe einer solchen Erklärung hinreichend überdacht werden sollten.

Denn obwohl die Bürgschaft eine pekuniäre Gegenleistung mit Marktwert darstellt, verneint der BGH unter den skizzierten Umständen eine Belehrungspflicht der Bank, die den Verbraucher warnend auf die wirtschaftliche Tragweite seiner Willenserklärung hinweisen könnte.

Bankrechtsexpertin Dr. Ina Becker erläutert in einem weiteren Rechtstipp "Wenn Kontokorrentkredite zur gefährlichen Abwärtsspirale werden", wie Kontokorrentkredite grundsätzlich sehr schnell eine negative, existenzbedrohende Dynamik für Unternehmen in Gang setzen können. Angesichts der strengeren Basel IV-Vorgaben ab 30.06.2021, siehe hierzu Dr. Beckers weiteren Rechtstipp "Kreditvergabe und –überwachung – Strengere Standards ab 30.06.2021 durch EBA Guidelines" wird die Problematik umso virulenter.

Rechtsanwältin Dr. Becker berät und vertritt in laufender Praxis Geschäftsführer als Bürgen sowie Unternehmen, die von einer Kreditkündigung betroffen sind. 

„Wegen ihrer persönlichen Betroffenheit sollten sich Unternehmensleiter in der existentiell bedrohlichen Situation nicht eigenständig an die Bank wenden. Ohne ausreichende juristische Kenntnisse drohen dem Bürgen und einem Unternehmen erhebliche rechtliche Nachteile“, sagt die Hamburger Anwältin.

Sobald eine Bank einen Kontokorrentkredit kündigt, sollte daher unverzüglich anwaltlicher Rat eines Bankrechtsspezialisten eingeholt werden.

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Foto(s): Dr. Ina Becker

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