Darlehenswiderruf – jetzt erst recht!

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Neue Urteile von Land- und Oberlandesgerichten bestätigen: Sehr viele nach dem 10. Juni 2010 abgeschlossene Darlehensverträge können auch heute noch widerrufen werden. Der Widerrufsjoker besteht für eine Vielzahl von Verträgen fort.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 1. August 2016 – Az. 14 U 1780/15 – ist ein Paukenvorschlag: Wie schon zuvor das Oberlandesgericht München – Urteil vom 21.05.2015, Az. 17 U 334/15 – und wohl auch das Oberlandesgericht Düsseldorf – Urteil vom 17.04.2015, Az. 17 U 127/14 –, das Landgericht Ravensburg – Urteil vom 19.11.2015, Az. 2 O 223/15 –, das Landgericht Hamburg – Urteil vom 11.04.2016, Az. 318 O 284/15 –, das Landgericht Saarbrücken – Urteil vom 06.05.2016, Az. 1 O 247/15 – beurteilt nun auch das Oberlandesgericht Nürnberg die gesetzliche Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 6 zu Artikel 247 § 6 Absatz 2 Satz 3 EGBGB a. F. als unzureichend.

„Die dem Verbraucher mitgeteilte Information, die Frist beginne nach Abschluss des Vertrags, aber erst nach Erhalt aller Pflichtangaben nach § 492 II BGB, ermöglicht es dem Verbraucher nicht, den Fristbeginn verlässlich und mit zumutbarem Zeitaufwand zu ermitteln. Denn ihm wird – von den beispielhaft genannten drei Pflichtangaben abgesehen – nicht aufgezeigt, wie viele und welche Pflichtangaben auf seinen konkreten Vertrag bezogen existieren und welche weiteren Pflichtangaben er ggf. noch erhalten muss. Damit ist nicht klar, wann die Frist zum Widerruf beginnt. Insofern liegt (entgegen LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 25.02.2016 – 6 O 6071/15, juris Rn. 57) eine der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 10.02.2015 – II ZR 163/14, juris Rn. 14; Urteil vom 15.08.2012 – VIII ZR 378/11, juris Rn. 9; Urteil vom 01.12.2010 – VIII ZR 82/10, juris Rn. 12), wonach die Formulierung „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ den Verbraucher über den Fristbeginn nicht richtig belehre, vergleichbare Situation vor. Die Argumentation, dem Wort „frühestens“ ließen sich keine weiteren Voraussetzungen für den Fristbeginn entnehmen, wohingegen der Verbraucher sich vorliegend „Klarheit über den Fristbeginn verschaffen [könne], wenn auch in aller Regel wohl nur unter Heranziehung des Normtextes des § 492 Abs. 2 BGB a. F. und des Art. 247 §§ 6-13 EGBGB a. F.“ (so LG Nürnberg-Fürth, aaO), überzeugt den Senat nicht. Da auch in dem Fall, in dem der Verbraucher die Information erhalten hat, die Frist beginne „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“, die Lektüre der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen Aufschluss darüber gibt, von welchen in der Belehrung nicht genannten Voraussetzungen der Fristbeginn abhängt, besteht der einzige Unterschied zur vorliegenden Belehrung darin, dass dem Verbraucher die Suche nach der einschlägigen Gesetzesvorschrift, die ihrerseits nur den Ausgangspunkt einer längeren Verweisungskette bildet, abgenommen wird. Letztlich unternimmt die vorliegende Widerrufsbelehrung nicht einmal den Versuch, dem Verbraucher die relevanten Faktoren (vollständig) aufzuzeigen; auch die beispielhafte Benennung weniger Pflichtangaben vermag der Belehrung den Charakter einer pauschalen Aufforderung an den Verbraucher, sich anhand des Gesetzes selbst das nötige rechtliche Wissen und Verständnis zur Bestimmung des Fristbeginns anzueignen und entsprechende Subsumtionsleistungen zu erbringen, nicht zu nehmen.“

Mit Urteil vom 9. September 2016 – Az. 4 O 486/15 – hat sich nun auch die 4. Zivilkammer des Landgerichts Berlin ein einem gegen die Deutsche Kreditbank AG (DKB) geführten Verfahren dieser Auffassung angeschlossen.

Den in der Muster-Widerrufsbelehrung enthaltene Verweis auf den Erhalt aller Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB hält das Landgericht Berlin nicht für ausreichend, denn diese Vorschrift „verweist ihrerseits auf insgesamt 11 Vorschriften aus dem EGBGB, aus denen der Verbraucher sich die nötigen Informationen heraussuchen muss, was bereits für einen rechtskundigen Leser nicht einfach ist.“

„Um ihm [Anm.: dem Verbraucher] die notwendige Kenntnis [Anm.: vom Fristbeginn] zu verschaffen, ist der Verweis auf § 492 BGB in der Widerrufsinformation nicht ausreichend.“

Damit haben nun bereits drei Oberlandesgerichte und eine größere Zahl von Landgerichten entschieden, dass auch die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 6 zu Art. 247 § 6 Absatz 2 Satz 3 EGBGB a. F. inhaltlich fehlerhaft ist.

Nachdem sehr viele Kreditinstitute die gesetzliche Muster-Widerrufsbelehrung verwendet haben, liegt in allen diesen Fällen eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung vor, sodass ein Widerruf auch heute noch grundsätzlich in Betracht kommt.

Einen Haken hat die Angelegenheit jedoch: Gemäß Artikel 247 § 6 Absatz 2 Satz 3 EGBGB kann sich das Kreditinstitut dann auf eine sogenannte Gesetzlichkeitsfiktion der verwendeten Widerrufsbelehrung berufen, wenn sie das geltende Muster ohne Veränderungen in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form verwendet hat.

Dies ist nach der Rechtsprechung bereits bei kleinsten Veränderungen oder Ergänzungen des Textes oder auch bei Fehlern bei einer Umrahmung oder anderweitigen Hervorhebung nicht mehr der Fall. Der Weg des Widerrufs steht offen.

Die Prüfung der Ihnen konkret erteilten Widerrufsbelehrung hat ihre Tücken und sollte daher von einem Fachmann vorgenommen werden. Gerne übernehmen wir dies für Sie. Rufen Sie kostenfrei an oder senden Sie uns eine E-Mail mit Ihren Vertragsunterlagen.

Ein solcher Darlehenswiderruf kann sehr lohnend sein. Waren in den Jahren 2010 bis 2012 für Immobiliendarlehen mit 10-jähriger Zinsbindung noch Zinssätze zwischen 3 % und 4 % üblich, so bekommt man solche Darlehen heute schon ab 1 % p. a. Bei einem zum Beispiel mit 100.000 Euro valutierenden Darlehen lassen sich so bis zu 3.000,00 Euro pro Jahr sparen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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