Das Visum für digitale Nomaden – ein Schuss nach hinten?
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Im Herbst 2022 führte Kolumbien das sogenannte Visum für digitale Nomaden ein (Visa V Nómadas digitales). Die Idee dazu kam ursprünglich von der Duque-Regierung, die einen entsprechenden Resolutionsentwurf ausgearbeitet hatte. Dieser Entwurf wurde dann eins zu eins von der Petro-Regierung übernommen (Art. 46 der Resolución 5477 de 2022), nachdem diese die Wahl gewonnen hatte. Der politische Konsens hinter diesem neuen Visumstypen gründete sich vermutlich auf die Intention, jungen qualifizierten Online-Arbeitern einen längeren Aufenthalt in Kolumbien zu ermöglichen, in der Hoffnung, dass damit positive Anreize für Digitalisierung und Innovation einhergehen.
Die Lage im Jahr 2024
Ob sich die Erwartungen der Regierung realisiert haben, ist umstritten. Fakt ist, dass anfangs nur wenige findige Ausländer vom Visum für digitale Nomaden Gebrauch machten. In der Anfangsphase wurde die Vergabe des Nomadenvisums großzügig gehandhabt, d.h. oft ohne substanzielle Rückfragen für zwei Jahre bewilligt. Mit der Zeit wurde die „Karavane“ der digitalen Nomaden immer größer. Heutzutage prägen ausländische Internet-Arbeiter etwa ganze Bezirke von Medellín und sorgten vor allem mit ihrem massenhaften Auftreten dafür, dass der Begriff „nómada digital“ in der lokalen Bevölkerung immer negativer konnotiert ist. Dies vor dem Hintergrund der rasanten Gentrifizierung, Wucherung von AirBnB Wohnungen, Wohnungsknappheit, allgemeiner Teuerung und nicht zuletzt der Überfremdung und Verdrängung der lokalen Kultur.
Die Schwächen der gesetzlichen Regelung
Die Schwäche der Regelung für das Visum für digitale Nomaden liegt in ihren laxen Voraussetzungen. Während im Allgemeinen mit der Visumsreform 2022 die Rahmenbedingungen der meisten Visumstypen verschärft wurden, führte die Regierung mit dem Nomadenvisum einen Visumstypus ein, dessen Bedingungen allem Anschein nach sehr leicht zu erfüllen sind. Dem Wortlaut der Regelung nach muss man im Grunde nur nachweisen, dass man online für ein Unternehmen im Ausland tätig ist und ein monatliches Gehalt oder Honorar von im Schnitt drei kolumbianischen Mindestlöhnen erhält (aktuell insgesamt ca. EUR 900, Stand 2024). Somit konnte praktisch jeder ein solches Visum beantragen, der nachweisen konnte für monatlich EUR 900 zum Beispiel Webseiten zu aktualisieren, im Kundendienst per Chat zu arbeiten, Telefonate mit Kunden und Kollegen zu führen, etc. Der Nachweis irgendeiner Qualifikation oder eines irgendwie gearteten konkreten Nutzens für die kolumbianische Wirtschaft war nicht erforderlich.
Die Reaktion des kolumbianischen Außenministeriums
Das kolumbianische Außenministerium, welches für die Visumsverfahren zuständig ist, hat nun offenbar eingesehen, dass die gesetzliche Regelung des Nomadenvisums der praktischen Präzisierung bedarf. Denn in den Visumsverfahren werden immer mehr Anforderungen erhoben, die sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht herauslesen lassen. Insbesondere die folgenden Einschränkungen lassen sich heutzutage regelmäßig beobachten:
- Fast immer wird nun ein polizeiliches Führungszeugnis des Antragstellers verlangt, und zwar in apostillierter Form. Da es für Staatsangehörige bestimmter Nationalitäten aufwändig und teuer ist, diesen Nachweis zu erhalten, kann auf diesem Wege die Anzahl der erfolgreich beschiedenen Nomadenvisa reduziert werden. Zum Beispiel müssen US-Amerikaner vor Ort in den USA persönlich Fingerabdrücke abgeben, um einen criminal history record des FBI zu bekommen. Sollten aus dem Führungszeugnis nicht unerhebliche Straftaten ersichtlich sein, wird mit großer Wahrscheinlichkeit der Visumsantrag abgelehnt, auch wenn diese schon mehrere Jahre zurückliegen.
- Des Öfteren wird auch ein apostillierter Handelsregisterauszug des ausländischen Unternehmens verlangt, für das der Antragsteller zu arbeiten vorgibt. Denn offenbar zweifelt das Ministerium manchmal daran, ob es das Unternehmen wirklich gibt und ob wirklich ein Arbeits- oder Dienstleistungsverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem genannten Unternehmen besteht. Über diesen Filter wird die Anzahl der bewilligten Anträge weiter reduziert, denn einige Unternehmen sind nicht besonders motiviert, an der Apostillierung des Handelsregisterauszugs mitzuarbeiten, insbesondere wenn es sich um eine bloße Freelancer-Konstellation handelt. Zudem kann das Apostillenverfahren, je nach Herkunftsland, mehrere Monate dauern. Insbesondere in Deutschland dauern die Verfahren heutzutage erheblich länger als noch vor wenigen Jahren.
- Eine weitere Einschränkung ist, dass Kolumbien das Nomadenvisum in der Regel nicht mehr verlängert. Die gesetzliche Regelung sagt zwar nichts dazu, ob das Visum verlängert bzw. mehrfach bewilligt werden kann. In der Anfangsphase war die Visumspraxis in dieser Beziehung großzügig. Heutzutage muss man bei einer Neubeantragung des Nomadenvisums mit einer Ablehnung rechnen. In einem praktischen Fall begründete das Ministerium seine negative Entscheidung etwa mit dem folgenden Argument: „Es liegt in der Natur der Sache, dass ein digitaler Nomade nicht auf Dauer im selben Land bleibt, sondern seinen Aufenthaltsort von Zeit zu Zeit ändert“.
Fazit: Wer heutzutage ein digitales Nomadenvisum beantragt, sollte sich frühzeitig um die Vorbereitung bemühen und mit einem aufwändigen Verfahren rechnen. Davon abgesehen eignet sich das Nomadenvisum wegen der hohen Ablehnungswahrscheinlichkeit nicht mehr als Grundlage für einen langfristigen Aufenthalt in Kolumbien.
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