Der belastete Erb- oder Pflichtteil - und welche Möglichkeiten Erbe und Pflichtteilsberechtigter haben

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Als Erbe eingesetzt zu werden, ist nicht immer beglückend.

Denn oft verfügen Erblasser nicht nur Erbeinsetzungen, sondern auch Vermächtnisse oder Auflagen zugunsten anderer Personen oder es wird eine Teilungsanordnung getroffen oder eine Testamentsvollstreckung angeordnet. Die Folge solcher Beschwerungen des Erbteils sind, dass der Erbe gegenüber dem Begünstigten des Vermächtnisses oder der Auflage zur Erfüllung verpflichtet ist, die Teilungsanordnung befolgen oder sich dem Testamentsvollstrecker unterordnen muss.

Beispiel 1: Belastung der Erben

Nach dem Tod ihres geschiedenen Vaters stellten seine beiden Söhne fest, dass ein Testament vorhanden war, in welchem sie beide als Erben eingesetzt worden waren und eine ihnen unbekannte Person das Grundstück, auf dem der Vater gelebt hatte, vermacht bekommen hatte.

Nachdem die Söhne den Nachlass gesichtet hatten, stellte sich heraus, dass der Nachlass zwar noch ein Giro- und ein Sparkonto sowie ein Wertpapierdepot mit jeweiligen Guthaben enthielt, dass das Grundstück aber der weitaus wertvollste Nachlassgegenstand war.

Beispiel 2: Der belastete Pflichtteil

Im umgekehrten Fall, nämlich wenn eine pflichtteilsberechtigte Person enterbt wird, ist es häufiger so, dass Erblasser versuchen, dem Betreffenden die Enterbung zu „versüßen“, indem sie ihm ein oder mehrere Vermächtnisse zuwenden, wie der folgende Fall zeigt:

Die Eheleute E waren beide in zweiter Ehe verheiratet und hatten aus diesen Ehen Kinder, aber keinen gemeinsamen Nachwuchs. Beide wollten, dass ihre jeweiligen einseitigen Kinder den jeweiligen Elternteil beerben und der überlebende Ehegatte enterbt werden sollte. Entsprechendes wurde in einem gemeinschaftlichen Testament verfügt. Außerdem verfügten die Eheleute, dass dem überlebenden Ehegatten das Hausinventar, das Guthaben auf dem Gemeinschaftskonto und das Guthaben aus dem gemeinsamen Wertpapierdepot vermacht wurde.

Zuerst verstarb die Ehefrau, einige Monate später der Ehemann. Nach dessen Tod stellten seine Töchter fest, dass ihre Stiefmutter den Stiefgeschwistern unter anderem ein wertvolles Grundstück hinterlassen hatte. Außerdem stellte sich heraus, dass das Hausinventar weitgehend wertlos war und die Konto- und Depotguthaben keineswegs so hoch, wie angenommen.

Häufige Verzweiflungstaten: 

Die Annahme der belasteten Erbschaft oder des Vermächtnisses

In Fällen wie den beschriebenen sind die Betroffenen meist nicht glücklich, wissen aber nicht, wie sie sich verhalten sollen. Nach dem Motto „besser den Spatzen in der Hand…“ nehmen sie das Erbe oder das Vermächtnis an, was ungeahnte Folgen haben kann.

Die Grenze der auszuhaltenden Belastungen: Der Pflichtteil

Der Pflichtteil einer wie auch immer bedachten pflichtteilsberechtigten Person ist sakrosankt.  Das heißt, sowohl im Fall einer Erbeinsetzung mit Beschwerung als auch im Fall einer Enterbung mit Vermächtniszuwendung steht dem Betroffenen mindestens ein Anspruch in Höhe seines Pflichtteils zu.

Es gilt für den Betroffenen also, die Quote des eigenen Pflichtteils zu errechnen:

Der Pflichtteil beläuft sich auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Bei den Ehegatten ebenso wie bei den Kindern des Erblassers hängt die Höhe des gesetzlichen Erbteils davon ab, in welchem Güterstand Erblasser und Ehegatte verheiratet waren:

Im Beispiel 1 war kein Ehegatte vorhanden, weshalb die beiden Söhne gesetzliche Erben zu je ein Halb und pflichtteilsberechtigt zu je einem Viertel waren.

Im Beispiel 2 waren die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet, also gesetzliche Erben zu ein Halb und pflichtteilsberechtigt zu einem Viertel. Dieses Viertel war vom Vater auf die beiden Töchter übergegangen, so dass jede von ihnen pflichtteilsberechtigt zu einem Achtel war.

Wenn der Nachlass (möglichst alsbald nach dem Erbfall!) gesichtet worden ist, sind Schreibzeug und Taschenrechner gefragt, um

  • zunächst den Wert des gesamten Nachlasses,
  • sodann den Wert des eigenen Erwerbs
  • und schließlich den Wert des eigenen Pflichtteilsanspruchs zu ermitteln,

bevor weitere Maßnahmen ergriffen werden.

Die Kenntnis des Wertes des Pflichtteilsanspruches ist sehr wichtig, um die eigene wirtschaftliche und rechtliche Position richtig einschätzen zu können.

Die taktische Ausschlagung eines Erbes oder Vermächtnisses

Dies gilt für den pflichtteilsberechtigten Erben, dessen Erbe beschwert ist durch Einsetzung einer Vor- oder Nacherbschaft betreffend seine Person, durch die Ernennung eines Testamentsvollstrecker, durch eine Teilungsanordnung, ein Vermächtnis oder eine Auflage:

Er kann das Erbe ausschlagen (durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht) und den vollen Pflichtteil verlangen.

Für einen enterbten Pflichtteilsberechtigten, der mit einem Vermächtnis bedacht wurde, gilt:

Er kann das Vermächtnis ausschlagen (durch Erklärung gegenüber demjenigen, der das Vermächtnis erfüllen muss) und seinen vollen Pflichtteil verlangen.

Es handelt sich um die sogenannten taktischen Ausschlagungsrechte im Erbrecht, die allerdings kaum ein Laie kennt. Diese Ausschlagungsrechte haben die Besonderheit, dass sie dem Betroffenen trotz der Ausschlagung den vollen Pflichtteil erhalten, der normalerweise bei einer Erbausschlagung verloren geht.

Aus mangelnder Kenntnis dieser erbrechtlichen Besonderheiten schrecken die meisten Betroffenen vor einer Ausschlagung zurück.

Keine Ausschlagung nach Annahme der Erbschaft oder des Vermächtnisses

Wichtig: Eine Ausschlagung ist nur zulässig, wenn das Erbe oder das Vermächtnis noch nicht angenommen worden sind. Vor einer vorschnellen Annahme des Erbes oder des Vermächtnisses wird daher gewarnt!

Nimmt der Erbe das beschwerte Erbe an, dann muss er auch die darauf ruhenden Belastungen tragen.

Nimmt der enterbte Pflichtteilsberechtigte das Vermächtnis an, dann muss er sich den Wert des Vermächtnisses auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen.

In beiden Fällen gilt:

Bleibt der Wert des belasteten Erbteils oder bleibt der Wert des Vermächtnisses hinter dem Wert des Pflichtteilsanspruches zurück, dann kann sowohl der beschwerte, pflichtteilsberechtigte Erbe als auch der vermächtnisbegünstigte Pflichtteilsberechtigte gegen den Nachlass seinen Zusatzpflichtteil verlangen. Der Zusatzpflichtteil oder auch Pflichtteilsrest ist die Differenz zwischen dem Wert der Zuwendung und dem Wert des Pflichtteilsanspruchs.

Den Betroffenen steht also in jedem Fall, sowohl bei der Annahme als auch bei der Ausschlagung, ein Wert in Höhe des Pflichtteilsanspruchs zu.

Warum also die Zuwendung ausschlagen?

Weil die Erfüllung der Beschwerungen für den Erben mit Belastungen verbunden ist und weil das zugewendete Vermächtnis dem Enterbten auch nicht unbedingt gefallen muss.

Der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Auskunft über den Nachlassbestand

Der Erbe schuldet dem enterbten Pflichtteilsberechtigten eine umfassende Auskunft über den Bestand des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls durch die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses (lesen Sie hierzu meinen Rechtstipp Der Pflichtteilsanspruch, die Auskunft und der Beleg).

Für den enterbten Pflichtteilsberechtigten, der statt des Pflichtteils ein Vermächtnis zugewendet bekommen hat, gilt: Er sollte von diesem sehr wichtigten Auskunftsanspruch unbedingt Gebrauch machen, bevor er sich entscheidet, ob er das Vermächtnis annehmen oder den vollen Pflichtteil fordern soll. Wenn der Erbe den Pflichtteilsberechtigten zwischenzeitlich auffordert, binnen einer bestimmten Frist zu erklären, ob der das Vermächtnis annimmt, dann sollte der Pflichtteilsberechtigte ihm erwidern, dass er die Erklärung erst bei genauer Kenntnis des Nachlassbestandes abgeben kann.

Für den beschwerten Erben, der sein Erbe ausgeschlagen hat, gilt ähnliches: Wer sein Erbe wegen einer Beschwerung ausgeschlagen hat, kann den Auskunftsanspruch trotzdem geltend machen. Dies war bisher umstritten, der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Meinungsstreit aber kürzlich entschieden (BGH, VU v. 30.11.2022, Az. IV ZR 60/22, NJW 2023, 452 ff, BeckRS 2023, 455163).

Der umfassende Auskunftsanspruch ist aber erst gegeben, wenn der beschwerte Erbe die Ausschlagung erklärt hat, und nicht schon vorher (OLG Düsseldorf, Urteil v. 04.08.2022, Az. 7 U 202/21, BeckRs 2022, 35790, NJW Spezial 2023, 22).

Im Notfall: Die Anfechtung der Annahme einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses

Betroffene, die das Erbe oder das Vermächtnis vorschnell angenommen haben, aber die rechtlichen Konsequenzen nicht kannten, werden sich nun fragen, ob sich das noch rückgängig machen lässt, etwa durch eine Anfechtung der Annahme.

Anfechten lässt sich eine Erklärung oder auch eine Rechtshandlung nur, wenn ein Anfechtungsgrund vorliegt. Im Fall der Unkenntnis der rechtlichen Konsequenzen einer Erklärung oder Rechtshandlung (Rechtsfolgenirrtum) käme eine Anfechtung wegen eines Inhaltsirrtums in Betracht: Der Betroffene hat sich hinsichtlich der Rechtsfolgen der Annahme geirrt.

Die Rechtsprechung ordnet Rechtsfolgenirrtümer aber in der Regel den sogenannten Motivirrtümern zu, die nicht zur Anfechtung berechtigen.

Im Fall eines Irrtums über die Rechtsfolgen der Ausschlagung eines beschwerten Erbes hat der Bundesgerichtshof (BGH) allerdings eine Ausnahme gemacht und eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums zugelassen (BGH, Beschl. V. 05.07.2006, Az. IV ZB 39/05, NJW 2006, 3353; BGH, Urt. v. 29.06.2016, Az. IV ZR 387/15, ZEV 2016, 574).

Über ein Anfechtungsrecht im Fall der irrtümlichen Annahme eines Vermächtnisses haben die Obergerichte und der BGH, so weit ersichtlich, noch nicht entschieden, jedoch dürfte die Rechtsprechung des BGH hier auch einschlägig sein.         


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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