„Dieselskandal 2.0“ – aktuelle Rechtsprechung rund um den EA288-Dieselmotor – wegweisender Beschluss OLG Oldenburg

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Das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) hat mit Hinweisbeschluss vom 1. Juli 2021, Az. 14 U 91/21, deutlich gemacht, dass der durch uns vertretene Kläger durch seinen Vortrag greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in seinem Fahrzeug mit dem Motor EA288 geliefert hat.

Die verbaute Funktion unterscheidet zwischen zwei Betriebsmodi, von denen einer ausschließlich auf dem Prüfstand aktiv ist und dafür sorgt, dass dort die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden. Im realen Fahrbetrieb hingegen werden die Grenzwerte weiterhin überschritten. Der Prüfstand wird dabei mittels einer sog. Fahrkurvenerkennung erkannt. All dies sehen die Richter des Oberlandesgerichts als naheliegend an und weisen das Bestreiten der Volkswagen AG als unzureichend ab. Diese „verstecke“ sich lediglich hinter bisherigen Messungen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA).

Auch das OLG Naumburg hat mit Beschluss vom 19. Juli 2019, Az. 8 U 1/21, zum Ausdruck gebracht, dass es beabsichtige, dem von der Kanzlei Rogert & Ulbrich vertretenden Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz zuzusprechen.

Die verbaute Abschalteinrichtung in dem Motor des Typs EA288 EU6 mit SCR-Katalysator wird auch hier als unzulässig angesehen. Das Gericht sah den Sachvortrag des Klägers als in hinreichender Art und Weise belegt an. Auch aus erst kürzlich veröffentlichten internen Dokumenten der Volkswagen AG sowie von dieser selbst eingeholten Gutachten geht hervor, dass unterschiedliche Betriebsstrategien bestehen. Mit Hilfe der sogenannten Fahrkurvenerkennung wird der Prüfstand erkannt, woraufhin eine bestimmte Betriebsstrategie angesteuert wird, welche wiederrum die Abgasrückführungsrate auf dem Prüfstand steigert. Ziel dabei ist es, die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte nur auf dem Prüfstand sicher einzuhalten. Wie sich das Umschalten zwischen den verschiedenen Betriebsstrategien auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs im realen Fahrbetrieb auf der Straße auswirkt, könne darüber hinaus dahinstehen. Allein die Tatsache, dass diese Funktionen von vornherein einzig dazu dienten, während des Prüfstands ein abweichendes Abgasreinigungsverhalten herbeizuführen, als dies im realen Fahrbetrieb der Fall ist, sorgt bereits für eine Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen.

Mehr und mehr Gerichte ziehen nach - Für Volkswagen wird es immer enger 

Das OLG Naumburg hatte bereits in einem Parallelverfahren mit Urteil vom 9. April 2021, Az. 5 O 90/20, entschieden, dass eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung bei einem mit einem EA288-Motor ausgestatteten PKW vorliegt, da eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer Fahrzykluserkennung zum Einsatz kam.

Nun zieht das LG Bielefeld mit der bereits dritten verbraucherfreundlichen Entscheidung in Sachen EA288 nach:

Mit Urteil vom 21. Juli 2021, Az. 8 O 467/20, sprachen die Richter dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz zu. Streitgegenständlich war ein VW Golf VII 1.6 TDI Sportsvan. Das Fahrzeug des Klägers ist mit dem Motortyp EA288 EU6 mit NOx-Speicherkatalysator ausgestattet. Auch hier ist eine Fahrkurvenerkennung verbaut.   

Das LG Bielefeld sieht ein sittenwidriges Verhalten darin, dass die Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. Das Dagegenhalten der Volkswagen AG sieht das Gericht ebenfalls nicht als ausreichend an. Mit der Fahrkurvenerkennung war gerade beabsichtigt, dass durch die Prüfungserkennung im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens ein besserer Abgaswert erreicht wird als im realen Fahrbetrieb auf der Straße. Damit täuschte VW bewusst die Käufer dieser Fahrzeuge. Der Kläger vertraute nämlich gerade darauf, dass das streitgegenständliche Fahrzeug und der darin verbaute Motor ordnungsgemäß und gesetzeskonform sind.  

Thermofenster bei EA288-Dieselfahrzeug berechtigt zum Rücktritt vom Kaufvertrag 

Das OLG Nürnberg ließ mit Hinweisbeschluss vom 9. August 2021, Az. 12 U 4671/19, verlauten, dass der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 17.12.2020, Az. C-692/18) und somit unserem Vortrag zu folgen sei, wonach eine Abschalteinrichtung im Rahmen der Abgasrückführung europarechtlich unzulässig ist. In diesem Verfahren macht der Käufer eines Seat-Fahrzeugs mit EA288-Dieselmotor Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Fahrzeughändler geltend.

Schließlich, so das OLG Nürnberg, sei von einem Mangel des Fahrzeugs aufgrund des unstreitigen Vorliegens eines „Thermofensters“ in dem Fahrzeug mit dem Motortyp EA288 zum Zeitpunkt der PKW-Übergabe auszugehen. Dieser berechtigte den Kläger wiederum zum Rücktritt vom Kaufvertrag.

BGH urteilt: Auch Anspruch auf Ersatz des Minderwerts bei Kauf eines VW-Diesels mit Prüfstanderkennungssoftware 

Mit Urteil vom 6. Juli 2021, Az. VI ZR 40/20, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dem Käufer eines Volkswagen mit Dieselmotor, welcher mit einer Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet ist, ein Anspruch auf Ersatz des „Mindestwerts“ - sog. kleiner Schadensersatz - gegenüber dem Fahrzeughersteller zustehen kann.

Das in dem Verfahren streitgegenständliche Fahrzeug, ein VW Passat Variant, welcher mit dem 2,0-Liter Dieselmotor des Typs EA189 EU5 ausgestattet ist, verfüge über eine Software, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand im Testbetrieb befindet und sodann den Stickoxidausstoß optimiere.

Eine solche Software zum Zwecke der Erkennung des Prüfstands ist in Form der Fahrkurvenerkennung ebenfalls in Fahrzeugen mit dem Motorentyp EA288 verbaut, sodass hier eine Parallele zu dem Motortyp des EA288 gezogen werden kann. Das Urteil des BGH sollte also auch noch einmal die Erfolgsaussichten für solche Verfahren steigern, in denen der Nachfolgemotor des „Skandalmotors“ streitgegenständlich ist. 

Erfolgsaussichten im „Dieselskandal 2.0“ steigen stetig

Aus all den vorgenannten Entscheidungen sowie einer Vielzahl weiterer Urteile und Beschlüsse verschiedener Land- und Oberlandesgerichte lässt sich deutlich erkennen, dass die Erfolgsaussichten in Verfahren betreffend den Motortyp EA288 stetig steigen. Weitere Informationen zur Thematik sowie eine nicht-abschließende Übersicht ergangener Urteile finden Sie auf unserer Internetseite unter https://ru.law/expertise/abgasskandal/ea288/.

Nehmen Sie gerne unsere kostenlose und unverbindliche Erstberatung in Anspruch und lassen Sie Ihren Anspruch individuell prüfen.  

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Über Rogert & Ulbrich  

Die seit 2007 bestehende Rechtsanwaltskanzlei Rogert & Ulbrich kämpft bundesweit auf Seiten der Verbraucher gegen Großkonzerne.   

Seit Beginn des Diesel-Abgasskandals im Jahr 2015 setzen sich die Verbraucheranwälte für die Rechte geschädigter Dieselfahrer ein. Dabei verhilft das Anwaltsteam der Kanzlei betrogenen Kunden nicht nur zu Schadensersatz, sondern leistet darüber hinaus einen wertvollen Beitrag für den Schutz der Umwelt und zur Senkung von Emissionen. Die Kanzlei steht für eine nachhaltige Arbeitsweise, arbeitet papierlos und bietet Mitarbeitenden Elektrofirmenwagen an. Dank automatisierter Abläufe steht R&U als sog. Legaltech-Kanzlei für erstklassige Beratung und professionelle Betreuung während des gesamten Verfahrens.   

Es ist den Verbraucherschützern gelungen, für inzwischen mehr als 25.000 Mandanten Schadensersatz in Millionenhöhe zu erzielen. Die kanzleieigene Datenbank umfasst sämtliche Angaben manipulierter Fahrzeuge in Verknüpfung mit erstrittenen Urteilen und ermöglicht den Rechtsexperten die Identifikation der optimalen Klagestrategie mit den bestmöglichen Erfolgsaussichten.  

2020 gelingt den geschäftsführenden Partnern Dr. Marco Rogert und Tobias Ulbrich in Kooperation mit weiteren Experten außerdem der erfolgreiche Abschluss der ersten deutschen Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG. Es konnte ein Vergleich von über 830 Mio. Euro für ca. 260.000 betrogene VW-Kunden erzielt werden – ein bislang einzigartiger Erfolg der deutschen Rechtsgeschichte.   

Für FOCUS-Online beleuchtet Dr. Marco Rogert als Rechtsexperte seit 2016 nicht nur die Komplexität des Abgasskandals.   


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