EA 288 – der neue Skandalmotor von Volkswagen

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Recherchen unabhängiger Medien und immer mehr Gerichtsentscheidungen belegen: Auch beim vermeintlich sauberen Euro-6-Motor EA 288 sind unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut. Hunderttausende Dieselfahrer sind betroffen – und haben gute Chancen, Schadensersatzansprüche durchzusetzen.

Eigentlich schien die juristische Aufarbeitung des VW-Abgasskandals schon fast abgeschlossen zu sein. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Abschalteinrichtungen im Dieselmotor EA 189 unmissverständlich als Mangel eingestuft und den Volkswagen-Konzern wegen besonders verwerflicher und vorsätzlich sittenwidriger Verbrauchertäuschung verurteilt. Damit hat das höchste deutsche Zivilgericht den Weg für Schadensersatzklagen von Dieselkäufern frei gemacht und eine klare Richtschnur für die Rechtsprechung vorgegeben. Mit den Verhandlungen über wichtige Detailfragen sollte der VW-Abgasskandal nun eigentlich in die letzte Runde gehen.

Doch auch wenn der BGH endgültig seine Entscheidungen zu Nutzungsentschädigung, deliktischen Zinsen und der Verjährung von Schadensersatzansprüchen bekannt gibt, ist der größte Industrieskandal in der Geschichte der Bundesrepublik noch lange nicht vorbei – schon gar nicht für Volkswagen. Denn illegale Abschalteinrichtungen hat Volkswagen nachweislich auch im EA 288 verbaut. Mit dem vermeintlich „sauberen“ Nachfolger des Skandalmotors EA 189 hat der Autokonzern von 2012 zumindest bis 2016 hunderttausende Euro-6-Diesel der Marken VW, Audi, Seat und Skoda mit 1,4, 1,6 und 2,0 Litern Hubraum ausgestattet. Eine Übersicht der betroffenen Fahrzeuge finden Sie auf unserer Website.

Recherchen des SWR haben interne Dokumente von Volkswagen ans Licht gebracht, die klare Hinweise auf eine „Zykluserkennung“ im EA 288 enthalten: In der „Entscheidungsvorlage „Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ ist von einer streckengesteuerten „Umschaltung der Rohemissionsbedatung“ und von einer „Dosierstrategie im Zyklus und außerhalb des Zyklus“ die Rede.

Für Peter Mock, Europa-Direktor der Forschungsorganisation ICCT, geht es dabei eindeutig um eine unzulässige Abschalteinrichtung, denn die Erkennung des Fahrprofils sei definitiv nicht erlaubt. Aufgrund dieser Softwaremanipulation erkennt die Motorsteuerung nämlich, ob sich das Fahrzeug im Testmodus oder auf der Straße befindet. Auf dem Prüfstand wird die Abgasreinigung verstärkt, indem mehr AdBlue eingespritzt wird. So werden die zulässigen Grenzwerte für den Stickoxid-Ausstoß eingehalten. Im Realbetrieb hingegen werden die Abgase weitgehend ungefiltert ausgestoßen. Experten schätzen, dass die Stickstoff-Emissionen im Straßenverkehr bis zu zehn Mal höher sind als erlaubt.

Als weitere unzulässige Abschalteinrichtung wirkt im EA 288 ein Thermofenster, das die Abgasreinigung so steuert, dass sie nur bei Temperaturen zwischen 17 und 30 Grad funktioniert. Also auf dem Prüfstand, wo angenehme 25 Grad herrschen. Im Straßenbetrieb hingegen funktioniert die Abgasreinigung weder im Hochsommer noch im Herbst oder Winter. Diese Abschalteinrichtung hat Eleanor Sharpston, Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EUGH) ausdrücklich für unzulässig erklärt. Ebenfalls verdächtig ist das Onboard-Diagnose-System. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat wegen der Abgasmanipulationen beim EA 288 Ermittlungen gegen Volkswagen aufgenommen und Ende 2019 Büroräume des Konzerns durchsuchen lassen. 

In einem Verfahren um einen VW Golf 7 TDI (Euro 6) vor dem Landgericht Duisburg hat Volkswagen selbst eingeräumt, dass beim EA 288 sowohl eine Zykluserkennung (im VW-Jargon „Umschaltlogik“) als auch ein Thermofenster eingesetzt wurden. Allerdings bestreitet der Autobauer beharrlich, dass es sich dabei um unzulässige Abschalteinrichtungen handelt: Es gebe keine Verknüpfung zwischen dem Erkennen von Fahrkurven und der Steuerung der Abgasreinigung. Und überhaupt seien die Grenzwerte für Stickoxid-Emissionen nur für die Typgenehmigung relevant, also für den Betrieb auf dem Prüfstand und nicht für den Straßenverkehr.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), das eigentlich dafür zu sorgen hat, dass die geltenden Abgaswerte eingehalten werden, hat laut Bundesverkehrsministerium den EA 288-Dieselmotor bereits 2016 untersucht, aber keine unzulässigen Manipulationen der Motorsteuerung bzw. des Abgassystems gefunden. Folgerichtig hat die Behörde bislang auch keine offiziellen Rückrufe von Dieselfahrzeugen mit diesem Motor veranlasst, allerdings mit einer Ausnahme: Im April wurden VW T6-Transporter in die Werkstätten gerufen, angeblich wegen einer „Konformitätsabweichung“ (Code 23Z7). Ende 2019 hat Volkswagen zudem einen freiwilligen Rückruf für Golf-Modelle mit EA 288-Motor gestartet und möchte so einem Pflichtrückruf zuvorkommen.

Nachdem das KBA in Sachen EA 288 bislang weitestgehend untätig geblieben ist, liegt die Aufarbeitung des VW-Abgasskandals 2.0 in der Hand von Gerichten und Sachverständigen. Sie haben Abgasmanipulationen am EA 189-Nachfolger aufgedeckt und Volkswagen in etlichen Fällen zur Rücknahme der Fahrzeuge und zu Schadenersatz an geschädigte Kunden verurteilt bzw. Hinweisbeschlüsse erlassen, darunter beispielsweise:

• Landgericht Regensburg: Urteil gegen Volkswagen wegen sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB (19.03.2020, Az. 73 O 1181/19)

• Landgericht Wuppertal: Anordnung eines Beweisbeschlusses (15.03.2019, Az. 2 O 273/18)

• Landgericht Baden-Baden (13.01.2020, Az. 4 O 247/19)

• Oberlandesgericht Köln (12.09.2019, Az. 15 U 234/18 und 19.09.2019, Az. 15 U 117/19)

• Landgericht Ingolstadt  (Verfügung vom 24.06.2019, Az. 54 O 240/19)

• Landgericht Duisburg (30.10.2018; Az. 1 O 231/18)

Volkswagen hat offensichtlich nichts dazugelernt. Die Verbrauchertäuschung, die Vertuschungsversuche, die Argumentation vor Gericht und der Umgang mit geschädigten Kunden: Alles läuft wie schon beim EA 189. Der EA 288 ist der neue Skandalmotor – und dafür bekommt der Konzern jetzt die Quittung. Mit der neuen Runde des VW-Abgasskandals rollt eine weitere Klagewelle auf Volkswagen zu. Die Chancen für Geschädigte, ihre Schadensersatzansprüche vor Gericht durchzusetzen, stehen jedenfalls sehr gut. Und damit nicht genug: Mit dem EA 897 und dem EA 898 stehen weitere Dieselmotoren des Konzerns unter dem Verdacht der Abgasmanipulation. Wir raten allen Betroffenen Käufern, sich von einem kompetenten Anwalt beraten zu lassen.


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