Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Til Lindemann: Eine Analyse der rechtlichen Situation

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Kanzlei Scharffetter & Blanke

Rechtsanwalt Medizinrecht Marco Schneider


In den vergangenen Monaten wurden gegen den Rammstein-Frontmann Til Lindemann schwerwiegende Anschuldigungen erhoben, die Vorwürfe des systematischen Drogenmissbrauchs und sexuellen Missbrauchs von Frauen nach Konzerten beinhalteten. Nun wurde bekannt, dass kein Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet wurde. In diesem Artikel werden wir die rechtliche Situation analysieren und die Gründe für die Einstellung des Verfahrens gegen Til Lindemann beleuchten.

Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens aufgrund unzureichender Tatsachen bedeutet nicht, dass die erhobenen Anschuldigungen unwahr sind oder ignoriert werden sollten. Es ist jedoch wichtig, die rechtliche Situation zu berücksichtigen und den Grundsatz der Unschuldsvermutung zu respektieren.

Da im öffentlichen Diskurs viel über „Unschuldsvermutung“ diskutiert wird und die bisher ausbleibenden juristischen Folgen  oft damit gleich gesetzt werden, dass die Anschuldigungen der mutmaßlichen Opfer wohl haltlos seien, soll hier der Maßstab im juristischen Strafverfahren erklärt werden.


Die Rolle der Ermittlungsbehörden: 

Die Ermittlungsbehörden spielen eine entscheidende Rolle bei der Untersuchung und Aufklärung von Straftaten. Wenn Vorwürfe erhoben werden, sind sie verpflichtet, diese gründlich zu prüfen und gegebenenfalls Beweise zu sammeln, um festzustellen, ob eine Straftat begangen wurde. Im Fall von Til Lindemann haben die zuständigen Behörden, hier die Polizei in Vilnius, gemeldet, dass der Staatsanwaltschaft geraten wurde, kein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Dies bedeutet, dass die Polizei in Vilnius zu dem Schluss gekommen ist, dass ausreichende Anknüpfungstatsachen für eine strafbare Handlung nicht vorliegen.


Der Maßstab für die Eröffnung von Ermittlungen:

Die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens setzt in den meisten Rechtsordnungen einen gewissen Maßstab voraus. Dieser kann je nach Land und Straftat unterschiedlich sein, aber im Allgemeinen muss ein gewisser Verdacht auf das Vorliegen einer strafbaren Handlung bestehen. Dieser Verdacht darf nicht völlig haltlos sein, sondern muss auf konkreten Tatsachen oder glaubwürdigen Informationen basieren, die eine Straftat plausibel erscheinen lassen. Hier könnte der tatbestand der sexuelen Nötigung gemäß § 177 StGB in Frage kommen.


Der Anfangsverdacht als Auslöser für Ermittlungen: 

Ein Anfangsverdacht ist der Punkt, an dem die Strafverfolgungsbehörden die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens in Betracht ziehen. Dieser Verdacht kann auf unterschiedlichen Quellen basieren, wie Zeugenaussagen, Beweisen oder anderen glaubwürdigen Informationen. Die Behörden müssen die Glaubwürdigkeit und Plausibilität dieser Informationen bewerten, um zu entscheiden, ob ein ausreichender Verdacht besteht, der eine strafrechtliche Untersuchung rechtfertigt.

Hier wurde die Untersuchung durch eine Aussage der Irin Shelby Lynn, die ein Konzert von Rammstein besuchte und daraufhin mit blauen Flecken aufwachte, eingeleitet. Sie veröffentlichte auf Twitter Bilder der Verletzungen und sprach ebenfalls die Vermutung aus, sie wäre mit K.O. Tropfen auf dem Konzert handlungsunfähig gemacht worden und könne sich nicht mehr an die Ursachen erinnern. Diese Aussage gab sie auch gegenüber der Polizei in Vilnius, dem Standort des Konzerts, an. Diese vernahm sie nach eigenen Angaben 5 Stunden lang über Fernkommunikation, nach Irland.


Die Einstellung des Verfahrens aufgrund unzureichender Tatsachen:

Die Nichteröffnung des Ermittlungsverfahrens gegen Til Lindemann deutet darauf hin, dass die Strafverfolgungsbehörden zu dem Schluss gekommen sind, dass die vorliegenden Anknüpfungstatsachen für einen Anfangsverdacht nicht ausreichend sind, um ein Ermittlungsverfahren (Vernehmung weiterer Zeugen, der Täter, Beweissicherung etc.) einzuleiten. Hier verbleibt jedoch die endgültige Entscheidung bei der Staatsanwaltschaft, als „Herrin des Verfahrens“. So wurde am 10.06.2023 lediglich verkündet, dass es sich um eine „Empfehlung der Polizei in Vilnius an die zuständige Staatsanwaltschaft“ handelt.

Lediglich eine Vermutung für die Empfehlung ist, dass Shelby Lynn selbst auf Twitter postete, dass sie klarstellen will, von Til Lindemann nicht angefasst worden zu sein und er respektiert hätte, dass sie keinen Sex mit ihm wolle. Anknüpfungstatsachen für ein Sexualdelikt wie das der sexuellen Nötigung gemäß § 177 StGB sind damit nur anhand der Verletzungen schwer begründbar.


Wie kann in Deutschland weiter ermittelt werden:

Die weiteren Entwicklungen lassen jedoch noch andere Möglichkeiten für die deutschen Ermittlungsbehörden offen. Nach der öffentlichen Äußerung von Shelby Lynn, berichteten nun weitere Frauen von ähnlichen Erfahrungen. Schließlich veröffentlichte der Spiegel einen sehr ausführlichen Artikel mit Aussagen der Frauen, Chatnachrichten über mögliche Castings vor dem Konzert und möglicherweise Missbrauch von Betäubungsmitteln um sexuelle Übergriffe auf Frauen zu ermöglichen.

Til Lindemann ist deutscher Staatsbürger, womit grundsätzlich auch hier in Deutschland ermittelt werden kann. Fraglich ist also, ob der Spiegel Artikel ausreichend ist, ein solches Ermittlungsverfahren auszulösen.

In Deutschland gilt, wie bereits erläutert, der Grundsatz, dass zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ein Anfangsverdacht vorliegen muss gemäß §§ 160, 152 Abs.2 StPO. Entscheiden tut hierüber nicht die Polizei, sondern die Staatsanwaltschaft.

Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft(§ 152 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG)

Nach § 152 der Strafprozessordnung (StPO) ist die Staatsanwaltschaft zum Einschreiten (Aufnahme der Ermittlungen) verpflichtet, sobald sie vom Verdacht einer Straftat Kenntnis hat (sogenanntes Legalitätsprinzip). Bei der Erfüllung ihrer strafrechtlichen Aufgaben wird sie durch sogenannte Ermittlungspersonen unterstützt. Ermittlungspersonen (früher: Hilfsbeamte) der Staatsanwaltschaft sind als „verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft“ solche Amtsträger, die – teilweise in Personalunion mit einer anderen beruflichen (Haupt-)Aufgabe–die Befugnis zu Anordnung und Durchführung von besonderen Maßnahmen in der Strafverfolgung haben, insbesondere auch bei Gefahr im Verzuge.

Damit könnte allein die Menge an möglichen Opfern und sich deckenden Berichten über die Systematik, mit der angeblich auf Konzerten Frauen für die Band „gecastet“ werden einen solchen Verdacht begründen. Hierzu bleibt die weitere Berichterstattung abzuwarten.


Der Grundsatz der Unschuldsvermutung: 

Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt in vielen Rechtsordnungen und besagt, dass eine Person solange als unschuldig gilt, bis ihre Schuld vor Gericht bewiesen ist. Dieser Grundsatz schützt die Rechte von Beschuldigten und stellt sicher, dass sie fair behandelt werden. Wichtig ist jedoch, dass die Unschuldsvermutung in beide Richtungen gilt. Die Nichteröffnung des Ermittlungsverfahrens gegen Til Lindemann bedeutet nicht, dass er schuldig oder unschuldig ist, sondern dass die bisherigen, vorgebrachten Tatsachen nicht ausreichten.


Fazit:

Nocheinmal: Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Til Lindemann bedeutet nicht, dass die erhobenen Anschuldigungen unwahr sind oder ignoriert werden sollten. Die Ermittlungsbehörden haben ihre Pflicht erfüllt, die Vorwürfe zu untersuchen, und sind zu dem Schluss gekommen, dass keine ausreichenden Tatsachen vorliegen, um ein strafrechtliches Verfahren fortzuführen bzw. überhaupt einzuleiten. Das bedeutet ebenfalls nicht, dass nicht neue Tatsachen, Zeugen, Berichte die Situation ändern können und auch deutsche Behörden verpflichtet sind, zu ermitteln.

Wichtig für den öffentlichen Diskurs ist, dass die Unschuldsvermutung sowohl für den vermeintlichen Täter als auch umgekehrt für die berichtenden Opfer gilt. Die juristische Bewertung eines Sachverhalts erhebt nie einen Wahrheitsanspruch sondern resultiert aus (Unschulds)Vermutungen, welche wiederum auf Wertungen der Rechtsstaatlichkeit basieren.

Dass es abseits einer juristischen Strafbarkeit und Nachweisbarkeit auch eine moralische Einordnung geben kann, ist richtig und widerspricht eben gerade nicht der juristischen „Unschuldsvermutung“. Sex Drugs and Rock n Roll sollte nach dem heutigen Gesellschaftsbild nicht idealisiert oder verklärt werden. Machtgefälle und das Ausnutzen solcher Situationen ist unabhängig einer juristischen Strafbarkeit verwerflich. Die geschaffene Aufmerksamkeit für dieses Thema ist somit in keinem Fall schlecht und gehört genauso in die öffentliche Berichterstattung.

Es bleibt also ratsam, die Entwicklung der Situation weiterhin aufmerksam zu verfolgen und mögliche zukünftige Entwicklungen abzuwarten.



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