Filesharing - Sind Schadensersatzansprüche verwirkt?

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Seit einiger Zeit hat insbesondere die Kanzlei Frommer Legal, zu deren Filesharing-Abmahnungen wir hier regelmäßig gestellte Fragen beantworten, damit begonnen, Schadensersatz in alten Filesharingfällen einzuklagen, in denen die behauptete Rechtsverletzung bis zu zehn Jahre zurückliegt. Unabhängig davon, wer in Filesharingkonstellationen überhaupt für eine – einmal als gegeben angenommene – Rechtsverletzung einzustehen hat, wirft Frommer Legals Vorgehen weitere Fragen auf.

Sind so alte Ansprüche nicht längst verjährt?

Zunächst stellt sich die Frage nach der Verjährung der behaupteten Ansprüche. Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung „Everytime we touch“ (I ZR 48/15, Urteil vom 12.05.2016) festgestellt, dass Schadensersatzanspüche aus Filesharing nicht schon nach drei, sondern erst nach zehn Jahren verjähren. Oft wird jedoch übersehen, dass die Verjährungsfrist früher zu laufen beginnt als bei der kurzen Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt erst am Ende des Jahres zu laufen, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von seinem Anspruch Kenntnis erlangte. Das ist jedenfalls zum Zeitpunkt der Abmahnung der Fall. Anders ist es bei der zehnjährigen Verjährungsfrist: Sie beginnt taggenau mit dem Entstehen des Anspruchs. Schadensersatzansprüche aus Filesharing, die im März 2013 entstanden sind, sind heute (19.04.2023) bereits verjährt. Die Verjährung tritt nicht erst zum Jahresende ein. Hier muss genau geprüft werden.

Was ist „Verwirkung“?

Aber auch Ansprüche, die noch nicht verjährt sind, können unter Umständen nicht durchgesetzt werden. Angerufene Gerichte haben immer zu prüfen, ob der geltend gemachte Anspruch nicht verwirkt ist. Die Verwirkung ist ein besonderer Fall des Prinzips von Treu und Glauben, das im gesamten Recht gilt. Ein Anspruch ist verwirkt, wenn drei Voraussetzungen vorliegen:

  • Der Berechtigte weiß, dass er einen Anspruch hat, setzt ihn aber nicht durch
  • Es ist relativ viel Zeit vergangen (sog. Zeitmoment)
  • Der Verpflichtete hat sich aufgrund bestimmter Umstände darauf eingestellt, dass der Anspruch nicht durchgesetzt wird (sog. Umstandsmoment)

Bei den Filesharingfällen, in denen Frommer Legal jetzt noch Schadensersatz verlangt, hat es jedenfalls eine Abmahnung gegeben; Frommer Legal und deren Mandanten haben daher jedenfalls von ihren Ansprüchen gewusst bzw. sind davon ausgegangen, dass diese ihnen zustünden.

Zeitmoment

Hinsichtlich des Zeitmoments muss jeder Einzelfall gesondert betrachtet werden. Grundsätzlich kann nur gesagt werden, dass Schadensersatzansprüche um so wahrscheinlicher verwirkt sind, je länger Frommer Legal geschwiegen und abgewartet hat und je näher die Verjährung rückt. Klar ist allerdings, dass Ansprüche während der kurzen, dreijährigen Verjährungsfrist nicht verwirkt sein können. Das hat der BGH bereits vor einigen Jahren entschieden. Bei der zehnjährigen Verjährungsfrist, um die es hier geht, ist das allerdings anders. Der BGH sagt ausdrücklich, dass Ansprüche verwirken können, während die Verjährung gehemmt ist (vgl. BGH, XII ZB 133/17, Beschl. v. 31.01.2018). Das gilt erst recht bei laufender Verjährungsfrist.

Reiner Zeitablauf genügt jedoch grundsätzlich nicht, um den Schadensersatzanspruch zu verwirken. Hinzukommen müssen Umstände, die den Abgemahnten berechtigten Anlass geben zu glauben, dass der Anspruch nicht durchgesetzt wird. Es muss also ein vom Gläubiger durch sein Verhalten gesetzter Vertrauenstatbestand vorliegen.

Umstandsmoment

So ein Vertrauenstatbestand könnte nach unserer Überzeugung jedoch ausnahmsweise in der langen Nichtverfolgung der Ansprüche durch Frommer Legal gesehen werden. Frommer Legal hat nämlich regelmäßig in den von ihnen geführten Verfahren Schadensersatz und Kostenerstattung eingeklagt. War auch nur ein Teil der Forderungen verjährt, wie also regelmäßig der Kostenerstattungsanspruch nach drei Jahren, hat Frommer Legal die Ansprüche nicht weiterverfolgt. Das hat sich auch zunächst nicht geändert, nachdem der BGH im Anschluss an die Entscheidungen „Bochumer Weihnachtsmarkt“ (I ZR 175/10, Urteil vom 27.10.2011) und „Motorradteile“ (I ZR 148/13, Urteil vom 15.01.2015) in dem genannten Urteil „Everytime we touch“ konsequenterweise festgestellt hatte, dass Schadensersatzansprüche in Filesharingfällen ebenfalls der zehnjährigen Verjährungsfrist unterliegen. Bereits im Fall des „Bochumer Weihnachtsmarktes“ hatte der BGH entschieden, dass Ansprüche erst nach zehn Jahren verjähren, wenn der Verletzer durch die Verletzungshandlung etwas erlangt. Erlangt wurde hier wie dort der Gebrauch eines Rechts, so dass dessen Wert zu ersetzen ist. Dies war seit Oktober 2011 bekannt, so dass Frommer Legal zu diesem Zeitpunkt wusste, dass in keinem einzigen der von Ihnen betriebenen Filesharingverfahren Schadensersatzansprüche verjährt sein konnten; Frommer Legal hatte nämlich erst seit dem Jahr 2006 erste Abmahnungen wegen Filesharings ausgesprochen.

Die Gerichtspraxis der damaligen Kanzlei Waldorf Frommer (heute Frommer Legal) war in Bezug auf Filesharing stets im Fokus der Öffentlichkeit. Hier ist kein Fall bekannt, in dem Frommer Legal in Filesharingfällen aus den Jahren bis 2009 lediglich Schadensersatzansprüche, aber keine Kostenerstattungsansprüche geltend gemacht hätte. Beides wurde stets zusammen eingeklagt. Wenn Kostenerstattungsansprüche verjährt waren, wurden auch keine Schadensersatzansprüche durchgesetzt, obwohl bekannt war, dass diese noch nicht verjährt waren. Dadurch hat nach unserer Überzeugung Frommer einen Vertrauenstatbestand gesetzt, der zu Gunsten der Abgemahnten wirkt und die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen treuwidrig macht. Dies führt dazu, dass Schadensersatzansprüche in großem Umfang verwirkt sein dürften.

Foto(s): Adobe Stock

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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