Kann ich mich gegen Lügen und Beleidigung im Gerichtsverfahren wehren?

  • 5 Minuten Lesezeit

Gerichtsverfahren können schon mal ans Eingemachte gehen und heftig emotional werden. Das kann auch auf die Rechtsanwälte überschwappen, wenn sich diese dann noch selbst hochschaukeln.

Die Frage, die sich dann immer wieder stellt: Kann und sollte ich mich gegen die Anfeindungen, grob falsche und unzutreffende Behauptungen wehren? Kann ich auch gegen den gegnerischen Anwalt vorgehen, der solche Behauptungen oftmals wider besseres Wissen vorträgt?

Darf eine Partei im Gerichtsverfahren die Unwahrheit vortragen?

Gemäß § 138 Abs. 1 ZPO haben die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Dass bedeutet, dass eine Partei nicht lügen darf. Wahrheitspflicht bedeutet dagegen nicht, dass die Partei nur solche Tatsachen behaupten darf, die sie als wahr kennt oder nur solche bestreiten dürfte, die sie mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit als wahr kennt. Es ist ihr nur verboten, Tatsachen zu behaupten, die sie nicht kennt und nicht kennen kann. Bestreiten darf die Partei auch mit Nichtwissen.

Zwar ist einer Partei grundsätzlich verboten, ihr bekannte Tatsachen zu verschweigen, die für das Verfahren entscheidend sind; andererseits kann alles solange verschwiegen werden, solange dadurch nicht der übrige Sachvortrag bewusst entstellt wird (zum Ganzen Hirtz, AnwBl 2006, 780-783).

Als besonders ärgerlich und irritierend wird es von wenig prozesserfahrenen Zeitgenossen empfunden, wenn in Gerichtsverfahren mithilfe rhetorisch geschulter Anwälte derartige Teilwahrheiten zusätzlich mit viel Emotion und Leidenschaft vorgetragen werden. Hier stellt sich die Frage, wann Anwälte die Grenzen anwaltliche Berufsausübung überschreiten.

Darf ein Anwalt beleidigen und Lügen verbreiten?

Grundsätzlich darf sich ein Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten. Unsachlich ist insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben (vgl. § 43a Abs. 3 BRAO). Nach § 43 a Abs. 3 S. 2 BRAO darf der Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nicht bewusst die Unwahrheit verbreiten. Hiernach ist es dem Rechtsanwalt verboten, bei seiner Berufsausübung unrichtige Tatsachenbehauptungen aufzustellen. Dieses sog. Lügeverbot ist generell uneingeschränkt und gilt gegenüber jedermann.

Allerdings ist der Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege den Interessen seines Mandanten verpflichtet. Diese Aufgabe erlaubt es dem Anwalt nicht, immer so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen. Das BVerfG betont daher, dass der Anwalt im „Kampf um das Recht“ auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen und scharf argumentieren darf (BVerfG, BRAK-Mitt. 1988, 54 ff.). Dabei muss auch ein Vortrag hingenommen und toleriert werden, der im Ton als schwer erträglich und das Taktgefühl empfunden oder allgemein als unsachlich gewertet wird. Erlaubt ist es daher auch noch, wenn bei dem Vortrag eine starke und eindringliche Ausdrucksweise angewandt oder eine dem Gegner abträgliche Wertung ausgesprochen wird, die sich im Ergebnis als nicht hinreichend fundiert erweist, vgl. BGH, Urt. v. 30.01.1962, Az.: VI ZR 109/60.

Wann ist eine herabsetzende Äußerung eine strafbare Beleidigung?

Herabsetzende Äußerungen sind daher nach Inhalt oder Form nicht ohne Weiteres als strafbare Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung zu beurteilen und können darüber hinaus nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt sein.

Bei dem Vorwurf, jemand habe gestohlen und veruntreut, handelt es sich nach Auffassung des OLG Frankfurt lediglich um die Wertung unstreitiger Tatsachen, nämlich im konkreten Fall der Mitnahme von Möbeln und Akten des Klägers beim Auszug aus den gemeinsamen Büroräumen, unter strafrechtlichen Aspekten. Dies muss dem Verfügungsbeklagten als Rechtsanwalt aber möglich sein, um die Rechte seines Mandanten zu verteidigen, OLG Frankfurt a.M., Beschl. V. 22.01.2003 – Az.: 23 W 62/02 v. 22.01.2003.

Kann ich falschen Vortrag einfach ignorieren?

In Zeiten von Achtsamkeit und Mindfulness könnte es man leicht auf den Gedanken kommen, unsinnige oder beleidigende Unterstellungen einfach zu ignorieren. In einem gerichtlichen Verfahren kann das aber sehr gefährlich werden, wie eine neue Entscheidung des OLG München (Urt. v. 04.07.2018 – 7 U 4028/17)

Die Beklagte hatte erstinstanzlich behauptet, der Anwalt des Klägers habe mit diesem eine Kostenfreistellungsvereinbarung getroffen, wonach der Kläger ohne Kostenrisiko klagen könnte. Eine solche Vereinbarung führt nach Auffassung des OLG München im konkreten Fall zur Klageabweisung, wenn sie vorliegt.

Die Klägerseite hat behauptet, dass es für diesen Vortrag überhaupt kein Anzeichen gebe, sondern die Beklagtenseite vielmehr eine Behauptung ins Blaue aufgestellt habe, die unbeachtlich sei.

Das OLG München weist dies Argumentation mit für den Kläger und seinen Anwalt sehr schmerzhaften Argumenten zurück.

Eine unbeachtliche Behauptung ins Blaue hinein ist nur anzunehmen, wenn sie völlig aus der Luft gegriffen ist und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellt. Bei der Annahme eines solchen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist jedoch Zurückhaltung geboten. Denn eine Partei ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Die Grenze ist erst erreicht, wenn der Behauptende ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufs Geratewohl aufstellt. In der Regel wird Willkür nur angenommen werden können, wenn jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte fehlen (OLG München, a.a.O. u.H.a. BGH, Beschl. v. 17.4.2018 – II ZR 277/16, BeckRS 2018, 9756 Rn. 7 mwN).

Indizien zur Rechtfertigung eine solchen Vorwurfes sah das OLG München in einer Pressemitteilung über ein anderes von der Partei angestrengtes Gerichtsverfahren. In der Folge stufte das Gericht den Vortrag als eine einlassungsfähige Behauptung der Beklagten ein.

Der Kläger war daher verpflichtet, sich hierauf einzulassen und diesen Vorwurf ausdrücklich zu bestreiten. Das dies nicht geschehen ist, stufte das Gericht die Behauptung als unstreitig ein (vgl. § 138 III ZPO).

Da die Klägerseite erst in der Berufung anfing den Vortrag zu bestreiten, stufte das OLG München den Vortrag weiterhin als verspätet ein (§ 531 Abs. 2 ZPO), mit der Folge, dass der Kläger das Verfahren wegen dieser Nachlässigkeit verloren hat.

Fazit: besser rechtzeitig bestreiten

Wer sich auf einen Rechtsstreit einlässt, braucht gute Nerven und muss auch einstecken können, kann natürlich auch in den gesetzlichen Grenzen austeilen (eine andere Frage ist, ob dies immer sinnvoll ist.). Jeder Vortrag der Gegenseite ist im Gerichtsverfahren leider zur Kenntnis zu nehmen und daraufhin zu überprüfen, ob er eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Aussagen erforderlich ist.

Strafrechtliche Sanktionen kommen nur in Ausnahmefällen in Betracht. Aussichtsreicher bleibt es, die Behauptungen des Anwaltes im Einzelfall von der zuständigen Rechtsanwaltskammer auf deren Vereinbarkeit mit dem Anwaltsberuf überprüfen zu lassen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Marc Laukemann

Beiträge zum Thema

Ihre Spezialisten