Kündigungsschutz während der Corona-Krise
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1. Folgen des Coronavirus SARS-CoV-2 auf Unternehmen und Arbeitsverhältnisse
Das Coronavirus SARS-CoV-2 bringt trotz der staatlichen Hilfen (Kurzarbeitergeld, zinsfreie Stundung von Steuerzahlungen etc.) insbesondere kleine und mittelständige Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten und hat sich bereits jetzt auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar gemach. Es muss mit weiteren Kündigungen gerechnet werden.
2. Kündigungsschutz in Deutschland nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
Der Kündigungsschutz ist in Deutschland stark ausgeprägt dank des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), das aus dem Jahre 1951 stammt.
Das Kündigungsschutzgesetz gilt für jeden Arbeitnehmer, der in einem Betrieb mit mehr als zehn Mitarbeitern beschäftigt ist und dessen Arbeitsverhältnis bereits länger als sechs Monate besteht. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann eine Kündigung nach § 1 Absatz 1 und 2 KSchG nur aus drei Gründen sozial gerechtfertigt sein:
- Gründe in der Person des Arbeitnehmers (personenbedingte Kündigung)
- Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers (verhaltensbedingte Kündigung)
- Dringende betriebliche Erfordernisse (betriebsbedingte Kündigung)
Fraglich ist, ob diese Kündigungsgründe duch die Folgen und Gegebenheiten der Corona-Krise vorliegen können.
a. Personenbedingte Kündigung bei einer Erkrankung am Coronavirus SARS-CoV-2
Personenbedingte Kündigungen kommen vor allem bei krankheitsbedingt geminderter Leistungsfähigkeit in Betracht ("krankheitsbedingte Kündigungen").
Eine krankheitsbedingte fristlose Kündigung infolge geminderter Leistungsfähigkeit ist nur in extremen Ausnahmefällen möglich (BAG, Urteil vom 12.07.1995 – 2 AZR 762/94). Die Infektion eines Arbeitnehmers mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 reicht für die Annahme eines solchen Ausnahmefalls nicht aus. Dem Arbeitgeber ist bei einer Erkrankung des Arbeitnehmers am Coronavirus SARS-CoV-2 auf jeden Fall zuzumuten, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten.
Auch eine krankheitzsbedingte ordentliche Kündigung ist nur in sehr engen Grenzen möglich (BAG, Urteil vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14):
- Es muss eine sog. negative Prognose hinsichtlich des weiteren Gesundheitszustandes des zu kündigenden Arbeitnehmers vorliegen, d.h. es muss davon auszugehen sein, dass die Fehlzeiten des Arbeitnehmers zumindest nicht abnehmen.
- Die prognostizierten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen.
- Diese erhebliche betriebliche Beeinträchtigung muss im konkreten Einzelfall zu einer nicht mehr hinnehmbaren betrieblichen und wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen (Interessenabwägung im Einzelfall).
Bei der Lungenkrankheit COVID-19, welche durch das Coronavirus SARS-CoV-2 hervorgerufen wird, wird man in den meisten Fällen schon keine negative Gesundheitsprognose annehmen können. Die Krankheitsverläufe bei der Lungenkrankheit COVID-19, welche durch das Coronavirus SARS-CoV-2 hervorgerufen wird, variieren stark und sind noch nicht aureichend erforscht. Es kommt gemessen an der Vielzahl der Infektionsfälle in einzelnen Fällen zu schwere Verläufen sowie zu Langzeitfolgen. Dennoch ist nach derzeitigem Kenntnisstand davon auszugehen, dass in den allermeisten Fällen der Lungenkrankheit COVID-19, welche durch das Coronavirus SARS-CoV-2 hervorgerufen wird, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit sicher oder zumindest möglich ist. Dies spricht nahezu unwiderlegbar gegen die Annahme einer Negativprognose (vgl. dazu auch BAG, Urteil vom 21.02.2001 – 2 AZR 558/99).
b. Verhaltensbedingte Kündigung bei einer Erkrankung am Coronavirus SARS-CoV-2
Verhaltensbedingte Kündigungen kommen regelmäßig in Betracht, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
aa. Pflichtverletzung
Der Arbeitnehmer muss durch sein Verhalten gegen arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflichten verstoßen haben (Pflichtverletzung).
Da es keine vergleichbare Epidemie seit dem Inkrafttreten des KSchG gegeben hat, existieren keine sog. Präzedenzfälle für Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers, die im Zusammenhang mit der Corona-Krise kündigungsrelevant sein könnten. Denkbar sind die folgenden Fälle:
- Nichtvorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Arbeitnehmer müssen ihrem Arbeitgeber nach § 5 Absatz 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen. Die wiederholte Nichtanzeige der Arbeitsunfähigkeit kann eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Daher sollten Arbeitnehmer, die sich mit dem SARS-CoV-2-Virus angesteckt haben oder bei denen dieser Verdacht besteht, ihre Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer unverzüglich dem Arbeitgeber mitteilen.
Arbeitnehmer müssen ihrem Arbeitgeber nach § 5 Absatz 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Der Arbeitgeber kann eine solche sogar schon ab dem ersten Tag der Krankheit verlangen (vgl. BAG, Urteil vom 14.11.2012 – 5 AZR 886/11). Auch die wiederholte Nichtvorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen, unter besonderen Umständen sogar eine fristlose Kündigung (vgl. dazu BAG, Urteil vom 15.01.1986 – 7 AZR 128/83) . Daher sollten Arbeitnehmer auch ihrer Vorlagepflicht nachkommen. Dies gilt umso mehr, als eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei leichten Erkrankungen der oberen Atemwege unter Umständen bereits nach telefonischer Rücksprache mit dem Arzt ohne persönliche Untersuchung ausgestellt werden kann.
- Arbeitsverweigerung
Auch die Arbeitsverweigerung (rechtswidrige Ablehnung der geschuldeten Arbeit) durch den Arbeitnehmer kann nach vorheriger Abmahnung eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung oder in schweren oder beharrlichen Fällen eine fristlose Kündigung des Arbeitsnehmers rechtfertigen.
Die bloße Sorge, sich am Arbeitsplatz eventuell mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren zu können, berechtigt den Arbeitnehmer nicht dazu, der Arbeit fernzubleiben bzw. eigenmächtig vom Home-Office aus zu arbeiten. Es läge eine Arbeitsverweigerung vor.
Erst, wenn am Arbeitsplatz eine konkrete Ansteckungsgefahr besteht, etwa weil ein Arbeitskollege bereits an COVID-19 erkrankt ist und aufgrund eines milden Krankheitsverlaufes trotzdem unverändert zur Arbeit erscheint, liegt bei Ablehnung der Arbeit oder unentschuldigtem Fernbleiben keine Arbeitsverweigerung vor. Daher dürfen Außendienstmitarbeiter Dienstreisen in Risikogebiete im Regelfall verweigern.
Fraglich ist, wie es sich verhält, wenn ein Arbeitnehmer die Anordnung von Home-Office nicht befolgt. Die einseitige Anordnung von Home-Office durch den Arbeitgeber ist rechtlich bedenklich und nach Ansicht einiger Gerichte nicht vom arbeitsvertraglichen Weisungsrechts (§ 106 GewO) gedeckt, denn der Arbeitgeber darf nicht in die geschützte Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 GG) des Arbeitnehmers hineinregieren bzw. diese teilweise zweckentfremden (LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 14.11.2018 – 17 Sa 562/18). Möchte der Arbeitgeber erreichen, dass der Arbeitnehmer wegen zunehmender Verbreitung des Coronavirus zu Hause bleibt, so muss er diesen nötigenfalls vorübergehend unter Fortzahlung der Arbeitsvergütung freistellen.
Fraglich ist, wie es sich verhält, wenn ein Arbeitnehmer der Arbeit fernbleibt, weil keine Betreuungsmöglichkeit für sein(e) Kind(er) besteht (geschlossene Kindergärten und Schulen). Dies muss im Einzelfall entschieden werden. Dem Arbeitnehmer kann unter Umständen ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Absatz 3 BGB zustehen. Danach kann er seine Leistung verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des Hindernisses (fehlende Kinderbetreuung) mit dem Leistungsinteresse des Arbeitgebers nicht zugemutet werden kann. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, ob der Arbeitnehmer zur Kinderbetreuung nicht auf Dritte, etwa Verandte, zurückgreifen kann, andererseits, ob diese Hilfe zumutbar ist, wenn die Betreuung nur durch Personen der Risikogruppen möglich ist. Nach alledem kann ein Arbeitnehmer, der trotz aller zumutbaren Anstrengungen keine Betreuungsmöglichkeit findet, im Zweifel nicht wegen Arbeitsverweigerung gekündigt werden.
- Eigenmächtiger Urlaubsantritt
Tritt der Arbeitnehmer eigenmächtig einen vom Arbeitgeber nicht genehmigten Urlaub an, so verletzt er dadurch seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblichem Maße. Nach der Rechtsprechung kann ein solches Verhalten eine fristlose Kündigung rechtfertigen (vgl. BAG, Urteil vom 20.01.1994 – 2 AZR 521/93). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmern den genehmigten Erholungsurlaub eigenmächtig verlängert.
Die bloße Sorge, sich am Arbeitsplatz eventuell mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren zu können, berechtigt den Arbeitnehmer nicht zu einem eigenmächtigen Urlaubsantritt ode einer eigenmächtigen Urlaubsverlängerung (s.o.). Erst, wenn am Arbeitsplatz eine ganz konkrete Ansteckungsgefahr besteht, kann dies anders sein.
- Verstoß gegen Arbeitsschutz- und Sicherheitsvorschriften
Arbeitnehmer haben die Pflicht, alles zu unterlassen, was das Leben oder die Gesundheit von Arbeitskollegen gefährden kann. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung ist grundsätzlich geeignet, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 08.10.2008 – 6 Sa 158/08).
Fraglich ist, ob Arbeitnehmer verpflichtet sind, den Arbeitgeber zum Schutz des Lebens und der Gesundheit ihrer Arbeitskollegen über eine Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 rechtzeitig zu informieren. Prinzipiell sind Arbeitnehmer im Krankheitsfall lediglich dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit als solche und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen, vgl. § 5 Absatz 1 Satz 1 EFZG. Der Grund der Erkrankung muss eigentlich nicht offenbart werden. Dies kann anders sein, wenn der Arbeitgeber hieran ein berechtigtes Interesse besitzt, etwa bei ansteckende Erkrankungen, die Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers zugunsten Dritter (Arbeitskollegen, Kunden etc.) erfordern und damit im Zweifel auch im Pandemiefall (vgl. Kraft/Dohmen, Rechtliche Aspekte einer Pandemie in Deutschland, in: PharmR 2008, 401). In ganz akuten Verdachtsfällen können Arbeitnehmer sogar aufgefordert werden, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen (von Steinau-Steinrück/Mosch, Arbeitsrechtliche Maßnahmen bei ausgebrochener Pandemie, in: NJW-Spezial 2009, 578).
Daher begehen Arbeitnehmer, die wissentlich eine bekannte Corona-Infektion verschweigen und damit am Arbeitsplatz andere Menschen, insbesondere der Risikogruppen, der Gefahr einer Ansteckung aussetzen, eine schwere Pflichtverletzung, die im Einzelfall eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann.
- Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit
Das bewusste Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung ist eine schwere Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages und kann eine außerordentliche fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen (LAG Hamm, Urteil vom 10.09.2003 – 18 Sa 721/03). Dies gilt nach Auffassung des BAG nicht nur dann, wenn sich der Arbeitnehmer für die Zeit einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung gewähren lässt und damit regelmäßig einen Betrug nach § 263 Absatz 1 StGB zulasten des Arbeitgebers begeht, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit erst nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums vortäuscht.
Es ist nach objektiven medizinischen Kriterien zu beurteilen, ob der Arbeitnehmer tatsächlich aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig ist. Der diesbezügliche Nachweis obliegt dem Arbeitnehmer (BAG, Urteil vom 01.10.1997 – 5 AZR 726/96). In der Regel führt der Arbeitnehmer diesen Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber (wie auch vor dem Arbeitsgericht) durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Ein Arbeitgeber kann den Beweiswert eines solchen Attestes (nur) dann in Zweifel ziehen, wenn dieser durch besonderer Umstände des Einzelfalls erschüttert wird, etwa durch das Verhalten des Arbeitnehmers vor oder während der bescheinigten Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Will der Arbeitgeber anlässlich einer erschütterten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kündigen, trägt er als beklagte Partei im arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahren die volle Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit wissentlich vorgetäuscht und damit die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen hat (BAG, Urteil vom 02.03.2006 – 2 AZR 53/05). Der Arbeitgeber darf dabei zur Aufklärung einen Detektiv einsetzen, wenn ein ganz konkreter Verdacht besteht. Die so erhobenen Erkenntnisse unterliegen dann keinem datenschutzrechtlichen Verwertungsverbot (BAG, Urteil 29.06.2017 – 2 AZR 297/16).
bb. Abmahnungserfordernis
Der Arbeitnehmer muss regelmäßig vor der Kündigung wegen eines vergleichbaren Fehlverhaltens abgemahnt worden sein (Abmahnungserfordernis). Das Abmahnerfordernis folgt aus § 314 Absatz 1 BGB und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die weit verbreitete Annahme, dass vor einer verhaltensbedingten Kündigung stets dreimal abgemahnt werden muss, ist nicht korrekt.
cc. Negative Fortführungsprognose
Es muss weiter davon auszugehen sein, dass es auch künftig zu weiteren gleichartigen Vertragsstörungen kommt (negative Fortführungsprognose). Hat der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten trotz einer ordnungsgemäßen Abmahnung erneut verletzt, gehen die Arbeitsgerichte regelmäßig von dem Vorliegen einer negativen Fortführungsprognose aus.
dd. Keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
Es darf keine dem Arbeitgeber zumutbare Möglichkeit geben, den Arbeitnehmer innerhalb des Betriebes auf einem anderen freien Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen (Weiterbeschäftigungsmöglichkeit). Zumutbar bedeutet, dass davon auszugehen ist, dass der Arbeitnehmer sein Fehlverhalten am neuen Arbeitsplatz nicht wiederholt.
ee. Interessenabwägung
Das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss im konkreten Einzelfall das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses überwiegen (Interessenabwägung). Zugunsten des Arbeitnehmers sind insbesondere folgenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Geringer Grad des Verschuldens, Mitveranlassung des Arbeitgebers, Dauer der Betriebszugehörigkeit und des ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses, Lebensalter, Umfang der Unterhaltspflichten, Chancen auf dem Arbeitsmarkt, soziale Schutzbedürftigkeit infolge Krankheit oder Schwerbehinderung.
c. Betriebsbedingte Kündigung
Da die Corona-Krise insbesondere kleine und mittelständige Unternehmen stark belastet, ist leider mit betriebsbedingten Kündigungen zu rechnen. Eine betriebsbedingte Kündigung ist unter folgenden Voraussetzungen möglich:
aa. Unternehmerische Entscheidung
Es muss nach der ständigen Rechtsprechung des BAG für eine betriebsbedingte Kündigung eine unternehmerischen Entscheidung vorliegen ( etwa die Stilllegung des gesamten Betriebes oder einer Betriebsabteilung, die Umgestaltung der betrieblichen Organisationsstrukturen, die Verkleinerung der Produktpalette, die Einführung neuer Produktionsmethoden, Outsourcing, Rationalisierungsmaßnahmen etc.).
Ob eine unternehmerische Entscheidung gefällt wurde, ist gerichtlich voll nachzuprüfen. Die unternehmerische Entscheidung selbst wird aber nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin überprüft, sondern ist als bestehend hinzunehmen. Das Arbeitsgericht hat nur im Rahmen einer Missbrauchskontrolle zu fragen, ob die Unternehmerentscheidung offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.
Der Rückgang von Aufträgen und Produktionszahlen durch die Corona-Krise kann nicht ohne Weiteres zum Anlass für eine betriebsbedingte Kündigung genommen werden.
Nach der Rechtsprechung (vgl. BAG, Urteil vom 24.05.2012 – 2 AZR 124/11) muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und auf Grund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Weiterhin muss er im Rahmen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten von dem verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können.
bb. Dauerhafter Wegfall des Arbeitsplatzes
Eine betriebsbedingte Kündigung setzt weiter einen dauerhaften Wegfall des Arbeitsplatzes voraus, damit ein betriebliche Erfordernis nach § 1 Absatz 2 KSchG vorliegt.
Ein nur vorübergehender Auftragsmangel während der Corona-Krise rechtfertigt demzufolge keine betriebsbedingte Kündigung. Wird im Betrieb Kurzarbeit geleistet, spricht dies gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf (BAG, Urteil vom 23.02.2012 − 2 AZR 548/10). Entfällt hingegen der Beschäftigungsbedarf für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer infolge weiterer, später eingetretener Umstände dauerhaft, kann ausnahmsweise trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung vorliegen. Dies setzt allerdings voraus, dass der Arbeitgeber die Möglichkeiten zur Reduzierung der geschuldeten Arbeitszeit, die ihm die Regelungen zur Kurzarbeit bieten, in vollem Umfang ausgeschöpft hat.
Dementsprechend ist eine vorübergehende Betriebsschließung, etwa durch behördliche Anordnung, kein hinreichender Grund für betriebsbedingte Kündigungen. Hinzu kommt, dass viele Betriebe in der Lage sein dürften, die mit den behördlichen Anordnungen verbundenen Schäden zumindest teilweise zu kompensieren, z.B. durch Betriebsunterbrechungs- und Betriebsschließungsversicherungen. Ferner bestehen für Selbständige neben Verdienstausfallansprüchen auch Ersatzansprüche für die ungedeckten Betriebskosten. Hat das Gesundheitsamt wegen einer erhöhten Ansteckungsgefahr mit dem Virus SARS-CoV-2 eine Betriebsschließung angeordnet, ist der Arbeitgeber zwar längstens für die Dauer von sechs Wochen zur Weiterzahlung der Vergütung verpflichtet, jedoch werden die ausgezahlten Beträge dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet.
cc. Unvermeidbarkeit der Kündigung
Die Kündigung muss unvermeidbar sein, damit die Dringlichkeit nach § 1 Absatz 2 KSchG vorliegt.
Insoweit haben die Arbeitsgerichte zu prüfen, ob es der Arbeitgeber versäumt hat, vor Ausspruch der Kündigung andere geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Personalabbau zu vermeiden. Nach der Jurisdiktion des BAG darf ein Arbeitgeber betriebsbedingte Kündigungen nämlich erst dann aussprechen, wenn er zuvor erfolglos den ernsthaften Versuch unternommen hat, durch andere zumutbare technische, organisatorische oder wirtschaftliche Maßnahmen die drohenden Entlassungen zu verhindern.
Diese Rechtsprechung wird von Arbeitgebern auch während der Corona-Krise zwingend zu beachten sein.
Der Abbau von Überstunden kann ein probates Mittel zur Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen darstellen. Ebenso auch die Arbeitsstreckung („slowdown“ oder „go-slow“: Herabsetzung der Arbeitsmenge pro Arbeitznehmer und Zeiteinheit bei episodischem Arbeitsmangel etwa durch Lieferkettenunterbrechung) sowie eine vorübergehende Produktion „auf Halde“. Dies wird dem Arbeitzgeber regelmäßig zuzumuten sein, da sich in vielen Produktionsbereichen bereits ein Ende der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Lieferschwierigkeiten abzeichnet und etwa Chinas Wirtschaft wieder zurück auf die Überholspur gefunden hat. Als mildere Maßnahme zur Vermeidung von Kündigungen wird schließlich gerade in der Corona-Krise die Einführung von Kurzarbeit in Frage kommen, wie in Deutschland bereits umgangreich geschehen. Eine betriebsbedingte Kündigung kann indes dann bei Kurzarbeit gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitsbedatrf dauerhaft wegfällt und der Arbeitgeber alle Mittel ausgeschöpft hat (vgl. BAG, Urteil vom 23.02.2012 − 2 AZR 548/10, in: NZA 2012, 852; BAG, Urteil vom 17.10.1980 – 7 AZR 675/78).
dd. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
Eine ordentliche Kündigung ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stets ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz gegebenenfalls auch zu geänderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen (BAG, Urteil vom 05.06.2008 – 2 AZR 107/07).
Als „frei“ ist ein Arbeitsplatz jedenfalls dann anzusehen, wenn der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung schon mit ausreichender Gewissheit vorhersehen kann, dass ein geeigneter Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stehen wird.
Als nicht besetzt gelten auch Arbeitsplätze, auf denen Leiharbeitnehmer eingesetzt sind (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 – 12 Sa 2468/08).
Die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit muss individuell geeignet sein, d.h. der Arbeitnehmer muss unter Berücksichtigung einer angemessener Einarbeitungszeit den Anforderungen des neuen Arbeitsplatzes entsprechen (LAG Hamm, Urteil vom 05.06.2009 – 19 Sa 358/09).
Bei der Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gehen die Arbeitsgerichte von einem Unternehmensbezug und nicht von einem Konzernbezug aus (BAG, Urteil vom 24.05.2012 – 2 AZR 62/11, in: NZA 2013, 277).
Eine betriebsbedingte Kündigung ist auch dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung zu geänderten Vertragsbedingungen als deutlich milderes Mittel nicht geprüft und aus diesem Grunde anstelle der Beendigungskündigung keine Änderungskündigung ausgesprochen hat (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. etwa Urteil vom 27.09.1984 – 2 AZR 62/93).
ee. Sozialauswahl
Eine betriebsbedingte Kündigung ist nach § 1 Absatz 3 KSchG auch dann sozialwidrig, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Hier sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten sowie die etwa vorhandene Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu brücksichtigen.
Dies muss der Arbeitgeber auch während der Corona-Krise beachten. Arbeitgeber werden wohl versuchen, sich mit dem Betriebsrat auf einen Interessenausgleich verständigen, in welchem die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind (sog. Namensliste). In diesem Fall wird nicht nur gemäß § 1 Absatz 5 Satz 1 KSchG vermutet, dass die einzelnen Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sind. Auch hinsichtlich der Sozialauswahl ergeben sich Vorteile, da diese bei Vorliegen einer Namensliste nur noch auf grobe Fehler überprüft werden kann (§ 1 Absatz 5 Satz 2 KSchG).
ff. Interessenabwägung
Das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss im konkreten Einzelfall das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses überwiegen (Interessenabwägung).
3. Kündigungsschutzklage
Erhält der Arbeitnehmer trotz bestehendem Kündigungsschutz eine Kündigung, kann er sich mit einer Kündigungsschutzklage innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung beim zuständigen Arbeitsgericht dagegen wehren.
Die Kündigungsschutzklage ist auf die Feststellung gerichtet, dass das Arbeitsverhältnis durch die streitgegenständliche Kündigung nicht aufgelöst wurde.
Der Arbeitnehmer kann damit eine Weiterbeschäftigung oder eine Aufhebung des Arbeitsverhältnis unter Aushandlung für ihn günstiger Konditionen erreichen, etwa Zahlung einer Abfindung, Erstellung eines guten Arbeitszeugnisses etc. Für die Höhe der Abfindung gilt die sog. „Halbregelung“ als Orientierungshilfe. Angemessen ist hiernach als Entlassungsentschädigung ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr. Hiervon kann natürlich etwa je nach Betriebsgröße oder Verantwortlichkeit der Position des Arbeitnehmers nach unten oder insbesonbere oben abgewichen werden.
4. Kündigungsschutz in Kleinbetrieben
Bei Kleinmbetrieben mit zehn oder weniger Mitarbeiter ist das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht anwendbar. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist daher leichter möglich. Nach der Rechtsprechung ist aber auch im Kleinbetrieb ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme zu wahren, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und dem verfassungsrechtlichen Schutz des Arbeitsplatzes (Artikel 12 GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip.
Bei betriebsbedingten Kündigungen hat der Arbeitgeber auch im Kleinbetrieb eine „Sozialauswahl in abgeschwächter Form“ durchzuführen (BAG, Urteil vom 21.02.2002 – 2 AZR 15/00; LAG Köln, Urteil vom 28.05.2003 – 3 Sa 723/02).
In jedem Fall ist es im Falle des Erhalts einer Kündigung auch während der Corona-Krise ratsam, sich von einem hierauf spezialisierten Rechtsanwalt insbesondere über die Möglichkeiten des Kündigungsschutzes und der Wahrung der eigenen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis beraten zu lassen.
Ich bedanke mich für ihre Lektüre und hoffe, ich konnte Ihnen mit meinem Beitrag einen kurzen Überblick über die Thematik des Kündigungsschutzes während der Corona-Krise verschaffen.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Benjamin Reimold
Rechtsanwalt
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