Leben und arbeiten in Deutschland: Arbeitsmigration – allgemeiner Teil

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Das Thema dieses Beitrags

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit „Leben und Arbeiten in Deutschland“ und stellt den allgemeinen Teil des Rechts der Arbeitsmigration dar. Damit sind die Vorschriften und Verfahren gemeint, die für alle Arbeitsmigranten gelten. In späteren Beiträgen werden dann die Voraussetzungen einzelner Aufenthaltstitel (z. B. der Blauen Karte/EU) untersucht.

Adressaten und Nutzen dieses Beitrages

Dieser Beitrag richtet sich zum einen an Ausländer, die in Deutschland leben und arbeiten möchten. Aus dieser Perspektive ist auch der Name des Beitrags gewählt. Zum anderen richtet sich der Beitrag an Unternehmer, die als Arbeitgeber ausländische Arbeitnehmer beschäftigen und dabei nichts falsch machen wollen, obwohl sie keine große, versierte Rechtsabteilung haben. 

Drittens sollen Rechtsanwaltskollegen angesprochen werden, die keine Fachanwälte für Migrationsrecht oder Fachanwälte für Arbeitsrecht sind, und die daher selten oder nie mit einer solchen Materie zu tun haben und sich nun überlegen, was sie beachten müssen, wenn sie einen entsprechenden Fall auf den Tisch bekommen. Für alle diese Adressaten werden die wichtigsten Stichworte geliefert, aber ohne dass dadurch eine individuelle Beratung ersetzt werden kann.

Vorrang des Verfahrensrechts vor dem materiellen Recht

In der Praxis der Arbeitsmigration hat – wie so oft im öffentlichen Recht – das Verfahrensrecht praktisch Vorrang vor dem materiellen Recht. Das bedeutet auch, dass ein Aufenthaltstitel, den die zuständige Behörde aufgrund vollständiger Informationen erlassen hat, erst einmal in der Welt ist und mit diesem Titel tatsächlich gearbeitet werden kann, auch wenn er materiell-rechtlich noch so falsch ist. 

Und umgekehrt bedeutet es, dass man noch so sehr im Recht sein kann, und gleichwohl die erstrebte Tätigkeit im Inland nicht aufgenommen werden kann, wenn die Behörde von ihrer Möglichkeit Gebrauch macht, weitere Nachweise zu verlangen oder die Erteilung einer Genehmigung auf andere Weise zu behindern, bis die Beteiligten genug haben oder es anderswo versuchen (was sich oft genug lohnt, da die lokal zuständigen Behörden von ihren Beurteilungsspielräumen unterschiedlichen Gebrauch machen). 

Ausgangspunkt der vorliegenden Überlegungen ist daher das Verfahrensrecht und überhaupt das praktische Vorgehen, während die Details materiell-rechtlicher Regelungen künftigen Beiträgen vorbehalten bleiben, die sich dann mit den einzelnen Aufenthaltstiteln befassen. 

Visumantragstellung bei der Botschaft im Heimatland

Das Nadelöhr, durch das (fast) alle Arbeitnehmer – bis auf die Angehörigen weniger privilegierter Staaten – hindurch müssen, ist die Visumantragstellung bei der Deutschen Botschaft in deren Heimatland (oder wenn es dort keine Botschaft gibt, bei der vom Auswärtigen Amt für zuständig erklärten Deutschen Botschaft). 

Es ist dringend davon abzuhalten, es erst einmal mit irgendwelchen Angaben zu probieren, da dies in der Regel nicht zum Erfolg führt und außerdem – bei unrichtigen Angaben – empfindliche Strafen und Bußgelder für den Arbeitnehmer und seinen Arbeitgeber nach sich ziehen kann. Bereits in dieser Phase ist also die Unterstützung des Arbeitsuchenden oder der Personalabteilung durch eine versierte Rechtsabteilung oder einen versierten Rechtsanwalt unverzichtbar. 

Wenn alle Unterlagen sorgfältig vorbereitet sind – und nicht vorher –, erfolgt eine Terminvergabe durch das Terminvergabesystem des Auswärtigen Amtes und sodann die persönliche Vorsprache bei der Deutschen Botschaft. Bis zu diesem Termin sollte, wie gesagt, bereits alles perfekt vorbereitet sein.

Beteiligung anderer Behörden durch die Deutsche Botschaft

In Fällen offensichtlich aussichtsloser Antragstellung wird die Deutsche Botschaft oft selbst rasch zu einem Nein kommen. In den aussichtsreichen Fällen wird sie andere Behörden an der Entscheidungsfindung beteiligen, sodass gewisse Laufzeiten kein schlechtes, sondern ein gutes Zeichen sind, nämlich dafür, dass nach einer Lösung für den Arbeitssuchenden gesucht wird. In manchen (nicht allen) Fällen ist die Beteiligung der örtlichen Ausländerbehörde an dem Ort erforderlich, an dem der Arbeitnehmer tätig werden will. 

Und in manchen (nicht allen) Fällen ist die Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit erforderlich, die je nach dem begehrten Aufenthaltstitel mitwirken und z. B. prüfen muss, ob an ausländischen Arbeitnehmern mit der bestehenden beruflichen Spezialisierung im Inland überhaupt ein Bedarf besteht, oder ob sie auf einen gesättigten Arbeitsmarkt treffen würden und daher im Inland nicht gewollt sind. Ein mit der Sache vorab befasster Jurist wird also vor (!) der Visumantragstellung bereits prüfen, welche Behörden zu beteiligen sind, und mit ihnen das Vorliegen der Voraussetzungen im Einzelfall so weit wie möglich klären.

Visumerteilung mit oder ohne Beteiligung der Bundesagentur

Eine grundsätzliche Weichenstellung ist dabei die Frage, ob die Visumerteilung der Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit bedarf oder nicht. Generalisierend lässt sich sagen, dass für besonders begehrte Arbeitnehmer, an deren Beschäftigung im Inland ein besonderes Interesse besteht, keine Zustimmung der Bundesagentur erforderlich ist, in allen anderen Fällen schon. Zu den Fällen der Zustimmungsfreiheit gehört z. B. die Blaue Karte/EU, diese ist aber nur eine von 17 durch Verordnung freigestellten Fallgruppen. 

Wenn ein Unternehmen also einen Arbeitnehmer unbedingt im Inland haben will, dann bestehen sehr große Gestaltungsspielräume bei der Stellenbeschreibung und der Gestaltung des Arbeitsvertrages, wenn man ohne Beteiligung der Bundesagentur schnell und zielsicher zu einem positiven Ergebnis kommen will. In allen anderen Fällen wird für die Dauer von höchstens 3 Jahren eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erforderlich, die i. d. R. an ein bestimmtes Arbeitsverhältnis gebunden ist und mit ihm erlischt.

Vorabprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit 

Ist man sich nicht 100 %ig sicher, ob die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erforderlich ist, oder weiß man im Einzelfall, dass man sie benötigt, ist sich aber nicht sicher, ob sie erteilt wird, so holt man bereits vor Visumantragstellung einen Vorabprüfungsbescheid durch die Bundesagentur ein und hat im günstigen Fall einen positiven, an den Arbeitgeber gerichteten Bescheid, den der Arbeitnehmer bei der Visumantragstellung im Original bei der Deutschen Botschaft vorlegt, und der sich dann praktisch wie eine Option auf ein Visum auswirkt, die man nur noch zu ziehen braucht.

Beteiligung sonstiger Stellen

Nicht nur Ämter können im Antragsprozess beteiligt sind, obwohl es sich bei reinen Arbeitsverhältnissen auf sie beschränken wird. Bei Unternehmensgründungen, bei denen die Migration als Selbständiger oder als Geschäftsführer eines neu gegründeten Unternehmens erfolgen soll, interessiert sich der deutsche Staat natürlich auch für die Frage, ob das Unternehmen als solches nur eine nicht nachhaltige Briefkastenfirma zur Erzeugung von Visa, oder ein lebendiges und wirtschaftlich aussichtsreiches Unternehmen ist. 

Daher wird in solchen Fällen die Bereitstellung eines überzeugenden Business Plans und seine Prüfung und Bestätigung durch eine sachkundige Stelle, beispielsweise durch die örtliche Industrie- und Handelskammer (IHK) oder eine von der Stadt des Zuzugs eingerichtete Wirtschaftsförderung (WiFö) unverzichtbar sein. Bei Gründungssachverhalten wird der involvierte Rechtsanwalt daher immer einen Steuerberater oder Betriebswirt einbinden, der bei der Erstellung des Businessplans Hilfe leistet.

Nachweise durch – echte – Urkunden

Alle für die Visumantragstellung erforderlichen Urkunden sind von dem Antragsteller rechtzeitig im Original und in beglaubigter Übersetzung bereitzustellen. Soweit die Beglaubigung nicht durch einen deutschen vereidigten Übersetzer erfolgt, sondern, wie meist, im Ausland vorgenommen wird, ist mindestens eine Apostille, oft sogar eine Legalisation erforderlich. 

Handelt es sich um einen Mehrfach-Migranten, für den zwar die Botschaft in seinem derzeitigen Wohnsitzland zuständig ist, der aber seine Zeugnisse aus einem weiteren Land, z. B. seinem ursprünglichen Heimatstaat, mitbringt, so kann der Beglaubigungsprozess, der die Echtheit des Originals und die Richtigkeit der Übersetzung bestätigen soll, sehr aufwendig werden. 

Da die Behörden in der Vergangenheit oft durch (strafbar!) gefälschte Urkunden getäuscht worden sind, wird von Jahr zu Jahr genauer hingeschaut, vor allem bei denjenigen Herkunftsländern, mit denen die betreffende Behörde bereits schlechte Erfahrungen gemacht zu haben glaubt. 

Richtige Gestaltung des Arbeitsvertrages

Die Gestaltung des Arbeitsvertrages unterliegt drei Perspektiven, von denen die Personalabteilung der meisten kleinen Unternehmen allenfalls eine wirklich fest im Blick hat: Zum ersten muss klar geregelt sein, was der Arbeitnehmer tut und was er dafür bekommt. Insoweit unterscheidet sich der Arbeitsvertrag mit einem Ausländer inhaltlich nicht von einem normalen Inländerarbeitsvertrag. 

Es kann aber geboten sein, eine zweisprachige Fassung (Deutsch und Heimatsprache oder wenigstens Deutsch und Englisch) zu produzieren und festzulegen, welche Fassung verbindlich sein soll. Zum zweiten ergeben sich aus der Tätigkeit in einem für den Arbeitnehmer fremden Land gefühlte hundert zusätzliche Fragestellungen, die in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden müssen, wie z. B. Übernahme von Umzugskosten, Heimaturlaubskosten, Rückkehrkosten, Miet- oder Baukosten, Kosten für Rechts-, Steuer- und Sozialberatung, für Privatschul- und Internatskosten, für (ggf. doppelten) Versicherungsschutz in der Kranken-, Unfall-, BU-, Renten-, Hausrat-, Haftpflicht- und mancher anderen Versicherung, besondere Regelungen für Probezeit, vorzeitige Rückkehr, Anschlussverwendung usw. Hier sollte man in einen fachlich versierten Rechtsanwalt investieren und die Besonderheiten der Vereinbarung Schritt für Schritt entwickeln, um Konfliktpotential zu vermeiden. 

Auch hinsichtlich des kollektiven Arbeitsrechts (Beteiligungsrechte des Betriebsrates, Bindungswirkung von Tarifverträgen, etc.) können sich je nach lokaler Beschäftigung, Entsendung, Überlassung oder sonstiger Fallgestaltungen ganz verschiedene Konsequenzen ergeben. Zum dritten muss der Arbeitsvertrag, der der Anfrage bei der Bundesagentur für Arbeit nach ihrer Zustimmung und der Beantragung eines Visums bei der Deutschen Botschaft zugrunde liegt, auch für das Ziel der Erlangung eines Aufenthaltstitels optimiert sein. 

Wenn es z. B. darum geht, eine bestimmte Gehaltsschwelle zu knacken, dann ist es geradezu widersinnig, wenn zahlreiche Spesenübernahmen vorliegen, dadurch aber das Grundgehalt zu niedrig wird. Ebenso ist es nicht zielführend, wenn die Stellenbeschreibung an eine Geschäftsführungsposition geknüpft ist, obwohl eine niedrigere Position für den Aufenthaltstitel bereits ausreichen würde, und dann der Aufenthaltstitel später wegfällt, nur weil der Geschäftsführer ausgetauscht wird. 

Diese Optimierung wird der Arbeitsrechtler alleine in der Regel nicht leisten können, sondern wird er zusammen mit dem Migrationsrechtler abstimmen und bewältigen müssen. Der schönste Arbeitsvertrag mit einem Ausländer nützt ja nichts, wenn er nicht aufenthaltsrechtlich hinreichend abgesichert ist und das auch bei geringfügigen Veränderungen so bleibt.

Beteiligung der Arbeitnehmervertretung

Soll ein ausländischer Arbeitnehmer in einem lokalen deutschen Betrieb eingesetzt werden, so greifen wie bei einem inländischen Arbeitnehmer Beteiligungsrechte des Betriebsrates. Sie können aber hinsichtlich des Umfangs der z. B. bei einer Einstellung dem Betriebsrat vorzulegenden Dokumente einen ganz anderen Inhalt und Umfang erreichen, weil der Betriebsrat ohne die Dokumente, die der Erlangung des Visums dienen (sollen), gar nicht beurteilen kann, ob die Beschäftigung rechtmäßig ist. 

Will man hier späteren Ärger vermeiden, so sollte man schon in der Anbahnungsphase des Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsrat klären, welche Dokumente er bekommen zu müssen meint, und diese ggf. im Entwurf vorlegen. 

„Freundliche Koordination“ – das A und O der Arbeitsmigration

Wie dargestellt hat man es also mit einer Vielzahl von Akteuren im privaten und im behördlichen Bereich sowie im Bereich dazwischen zu tun: Auf privater Seite Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Betriebsrat sowie ggf. eine Vielzahl von Versicherungen mit besonderen Angeboten und Tarifen. Auf behördlicher Seite die Deutsche Botschaft, die Ausländerbehörde, die Bundesagentur für Arbeit und die für Apostille und Legalisation von Urkunden zuständigen Stellen in ggf. mehreren Staaten. 

Im Grenzbereich zwischen Privaten und Behörden die IHK und die WiFö als sachkundige Stellen. Wie überall, wo zehn oder mehr Akteure reibungsfrei zusammenwirken sollen, ist „freundliche Koordination“ das Schlüsselwort. „Koordination“, weil der Antragsteller einen präzisen Ablaufplan im Kopf haben muss, wann er – ggf. im Entwurf – was wo vorlegt, um was von wem wie dafür zu bekommen. 

„Freundlich“ deshalb, weil es anders als bei einem einfachen Sachverhalt mit wenigen Beteiligten (z. B. der Beantragung einer Baugenehmigung, die sich genau und ohne Abweichungen an die Vorgaben des Bebauungsplans hält und daher ganz sicher erteilt werden muss) absolut tödlich wäre, hier auf seinem (vermeintlichen) Recht zu beharren und Positionen gar noch vor den zuständigen Gerichten erstreiten zu wollen. 

Vielmehr ist ganz außerordentliches Fingerspitzen- und Feingefühl gefordert, um mit der Vielzahl von Beteiligten und deren Einflussmöglichkeiten auf den weiteren Fortgang des Verfahrens stets „freundlich“ umzugehen und mit juristisch kreativen und sachlich hilfreichen Lösungen zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen.

Ausblick

Bitte bewerten Sie diesen Beitrag. Besonders freuen würde ich mich über eine positive Bewertung. Dann habe ich auch Freude daran, diese Reihe weiter fortzusetzen. Der nächste Beitrag nach dem vorliegenden „Allgemeinen Teil“ der Arbeitsmigration wird sich dann mit einem „Überblick über die Aufenthaltstitel“ befassen. 

Dabei wird es darum gehen, welcher Aufenthaltstitel für wen in Betracht kommt. An dem dritten Teil sollen dann die einzelnen Aufenthaltstitel untersucht werden, beginnend mit der „Blauen Karte/EU“, der Eintrittskarte für Fach- und Führungskräfte in den europäischen Arbeitsmarkt.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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