OLG Celle: Leichterer und mehr Ausgleichsanspruch bei Bestandsübernahme

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In einem Urteil vom 16.02.2017 schuf das Oberlandesgericht Celle unter dem Aktenzeichen 11 U 88/16 neue Grundlagen für die Gewährung des Ausgleichsanspruchs gem. § 89 b) HGB.

Dies betrifft alle Handelsvertreter, die einen Bestand übernommen haben.

Einen Ausgleich für einen übernommenen Bestand erhält der Handelsvertreter gem. § 89 b) Abs. 1, Satz 2 HGB nur dann, wenn der Werbung eines neuen Kunden es gleichsteht, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, dass sie wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht.

Die höchstinstanzlichen Gerichte hatten bisher entschieden, dass dazu eine 100%ige Umsatzsteigerung erforderlich ist. Nur dann also, wenn ein Kunde, der durch den Handelsvertreter betreut wird, den Umsatz verdoppelt, steht dem Handelsvertreter für diesen Kunden ein Ausgleichsanspruch zu. In der o. g. Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle hatte das Gericht ausgeurteilt, dass ein solcher Ausgleichsanspruch für einen Kunden bereits dann gegeben ist, wenn „nur“ eine 50%ige Umsatzsteigerung festzustellen ist.

Ein Handelsvertreter, der bestimmte Markenprodukte an Apotheken und Kosmetikinstitute vertrieb, hatte einen Ausgleich auch für drei Kunden geltend gemacht, bei denen eine Umsatzsteigerung zwischen rund 58 % und 76 % lag. Das OLG Celle entschied, dass dem Handelsvertreter im Rahmen der Rohausgleichsberechnung auch für diese drei Kunden ein Ausgleich zustehe. Das Gericht begründete dies mit dem europäischen Recht. Eine nationale Rechtsprechung, wonach eine Umsatzverdoppelung erforderlich sei, entspreche nicht der Handelsvertreterrichtlinie (RL 86/653/EWG), auf der das deutsche Handelsvertreterrecht beruht. Dort nämlich werde nur eine wesentlicheErweiterung der Kundenbeziehung verlangt. Als wesentliche Erweiterung seien nach Ansicht des Gerichts aber auch diejenigen Umsatzsteigerungen anzusehen, die einen Prozentsatz von mehr als 50 % erzielten.

Das OLG Celle schließt sich damit einer Auffassung an, die schon länger darauf hingewiesen hat, dass der Wortlaut des Paragrafen 89b Abs. 1 Satz 2 HGB nicht mit dem der europäischen Richtlinie konform gehe und es auf eine Umsatzverdoppelung nicht ankommen dürfe. Das Urteil wurde inzwischen rechtskräftig.

Über diese Entscheidung dürfen sich viele freuen, die als Handelsvertreter einen Bestand übernommen und „ausgebaut“ haben. Die Bestandsübernahme ist in vielen Branchen, in denen Warenvertreter und Bezirksvertreter tätig sind, ja noch üblich.

Ebenso freuen dürfen sich die Versicherungsvertreter, die einen Bestand übernehmen oder ihren Bestand zu einem neuen Vertrieb mitbringen. Die DVAG hat beispielsweise in einer Nachfolgeregelung Vermögensberatern in Aussicht gestellt „nach Erreichen des 60. Lebensjahres und vor Vollendung des 70. Lebensjahres“ unter bestimmten Bedingungen „die Betreuung der von ihm betreuten Kunden auf andere Vermögensberater“ zu übertragen. Würde das OLG Celle entscheiden, dürfte sich der Übernehmende freuen.

Eine Übertragung von Kunden findet auch statt, wenn ein Vertrieb ausgegliedert wird, z. B. als der Vertrieb der Central Krankenversicherung und der AachenMünchener auf die DVAG überging. Ein ähnliches Prozedere findet jetzt zwischen DVAG und Generali statt, wenn die DVAG den Generali-Vertrieb übernehmen wird. Viele Generalis fragen sich, was bei der vorstehenden Übernahme mit dem Ausgleichsanspruch wird. Da die Kunden ja bereits bei der Generali aufgebaut wurden, und der wechselnde Berater seinen alten Bestand „übertragen bekäme“, könnte ein frischer Wind in der Rechtsprechung, mit dem OLG Celle als Vorbild, nötig sein.

Viele Handelsvertreter erleben bei der Bestandsübertragung sonst ihr blaues Wunder, wenn wie bisher verlangt würde, dass sich der Umsatz tatsächlich verdoppeln müsste, um am Ende einen finanziellen Ausgleich zu bekommen.


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