OLG München: Noch keine Klärung ob bei VW-Dieselmotor EA288 eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist

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Das OLG München hat mit Beschluss vom vom 25.07.2023 (Aktenzeichen: 34 U 1617/23 e) offengelassen, ob der VW-Dieselmotor EA 288 über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Vielmehr möchte es die Berufung gegen ein klageabweisende Urteil zurückweisen, weil sich VW  angeblich in einem "vorsatzausschließenden Rechtsirrtum" befunden habe. Der Kläger hatte am 07.12.2019 einen VW Sharan 2,0 l TDI, Abgasnorm Euro 6, mit einer Leistung von 135 kW zu einem Kaufpreis von 28.800,- € brutto gekauft. Das Fahrezeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA288 ausgestattet. Das Fahrzeug ist von keiner Maßnahme des KBA betroffen und unterliegt auch keinem Rückruf.

Zur Begründung führt das OLG München aus: 


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Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung i.S. von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Nach dieser Maßgabe hat das Landgericht die Klage jedenfalls im Ergebnis zutreffend abgewiesen.


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1. Die vom Kläger erstrebte Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs käme lediglich im Falle einer sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte nach § 826 BGB in Betracht. Insoweit fehlt es jedoch an einem tragfähigen Klagevorbringen, weshalb eine Beweisaufnahme nicht geboten ist. Auf die Frage der Zurechenbarkeit gemäß § 31 BGB oder eine Haftung aus § 831 BGB kommt es somit nicht an.


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a) Zwar ist nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein Thermofenster in bestimmten Ausgestaltungen eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S. von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 (EuGH EuZW 2022, 1073 f.). Ob eine solche Ausgestaltung hier gegeben ist, kann indes offenbleiben. Denn jedenfalls durfte die Beklagte bis zu der genannten Entscheidung davon ausgehen, dass ein Thermofenster aus Gründen des Motor- oder Bauteilschutzes nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a VO (EG) 715/2007 zulässig sei. Insofern befand sie sich zumindest in einem vorsatzausschließenden Rechtsirrtum, da bis dahin nahezu alle europäischen Hersteller ihre Dieselfahrzeuge mit einem Thermofenster ausgerüstet hatten und dies trotz umfangreicher Untersuchungen von den zuständigen Überwachungsbehörden auch nicht beanstandet wurde (OLG Schleswig BeckRS 2022, 19428 Rn. 23). Hierauf hat sich die Beklagte auch bereits erstinstanzlich berufen. Hinweise darauf, dass der Einbau des Thermofensters gleichwohl in dem Bewusstsein erfolgte, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dies billigend in Kauf genommen wurde, existieren nicht.


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b) Greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein sonstiger unzulässiger Abschalteinrichtungen, die dem KBA – aus welchen Gründen auch immer – verborgen geblieben wären und daher Anlass gäben, den Beweisangeboten des Klägers nachzukommen, bestehen nicht. Fehlt es wie hier nämlich an einem Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs, so bedarf es anderer gewichtiger Indizien für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung (OLG München BeckRS 2021, 9658 Rn. 36). Solche sind jedoch nicht vorgetragen. Eine Beweiserhebung zu den einschlägigen Behauptungen des Klägers würde sich daher als unzulässiger Ausforschungsbeweis (vgl. BGH NJW 2012, 2427/2431) darstellen.


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aa) Unergiebig ist der Verweis auf angeblich erhöhte Abgaswerte außerhalb des Prüfstandbetriebs. Denn aus diesen ergibt sich keineswegs per se, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorhanden sein muss (BGH BeckRS 2021, 37995 Rn. 30; OLG München BeckRS 2022, 29312 Rn. 18). Vielmehr liegt auf der Hand, dass eine eventuelle Überschreitung der Grenzwerte ohne weiteres darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus. Dergleichen ist auch bei Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch allgemein bekannt. Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen Euro 5 und Euro 6 im Jahr 2013 die Messung allein im Prüfstandbetrieb festgelegt hatte und erst seit Kurzem für Neufahrzeuge Messungen im Normalbetrieb nach WLTP-Standard vorschreibt, kommt es nicht darauf an, ob im Normalbetrieb die der Zulassung zugrundeliegenden Werte im NEFZ eingehalten werden (OLG Braunschweig BeckRS 2019, 38719).


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bb) Hinsichtlich der behaupteten Manipulation des OBD-Systems fehlt es schon allein deswegen an einem beachtlichen Klagevortrag im Hinblick auf § 826 BGB, weil dieses System der Prüfung der Funktion emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme dient, selbst aber nicht den Schadstoffausstoß fehlfunktionsunabhängig überwacht (OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 10880 Rn. 45). Es ist auch nicht Aufgabe des OBD-Systems, zwischen einer rechtlich zulässigen und einer rechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden (BGH BeckRS 2021, 44235 Rn. 91).


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cc) Eine Fahrkurvenerkennung ist haftungsrechtlich nur dann relevant, wenn sie im Prüfstand Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (BGH BeckRS 2023, 15117 Rn. 48). Dass dies vorliegend der Fall wäre, stellt sich als bloße Behauptung ins Blaue hinein dar. Es ist insofern und auch im Hinblick auf sonstige angebliche unzulässige Abschalteinrichtungen nicht statthaft, alle Fahrzeuge der Beklagten dahingehend gleichsam über einen Kamm zu scheren, dass, wenn eine solche Abschalteinrichtung in einem Motor eines Fahrzeugherstellers vorliege, dies im Regelfall die gesamte Motorenreihe oder gar alle Fahrzeuge dieses Herstellers bzw. dieses Konzerns betreffe (OLG Hamm BeckRS 2021, 31189 Rn. 78; OLG Koblenz BeckRS 2019, 18418 Rn. 22). Ein solcher Erfahrungssatz kann nicht angenommen werden, schon weil damit sämtliche Motoren einer Motorenfamilie bzw. einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale einem Generalverdacht unterworfen würden (OLG München BeckRS 2021, 9658 Rn. 23; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 41726 Rn. 29).


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2. Ebensowenig lässt sich der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz stützen. Auf die Frage der Zurechenbarkeit gemäß § 31 BGB oder eine Haftung aus § 831 BGB kommt es daher auch insoweit nicht an.


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a) Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung kann der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Kraftfahrzeugs nicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den Normen des europäischen Abgasrechts vom Hersteller die Rückabwicklung des mit dem Verkäufer abgeschlossenen Vertrags verlangen (BGH BeckRS 2023, 15117 Rn. 23). Schon allein deshalb kann die Klage auf dieser Grundlage jedenfalls in ihrer bisherigen Fassung und somit auch die Berufung keinen Erfolg haben.


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b) Hieran würde sich allerdings selbst bei – zulässiger (vgl. BGH BeckRS 2023, 14774 Rn. 25) Umstellung des Klagebegehrens auf den sogenannten Differenzschaden im Hinblick auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz nichts ändern.


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aa) Der unter 1. a) dargelegte Rechtsirrtum lässt auch den Vorwurf einer fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S. von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 in Gestalt eines Thermofensters entfallen, und zwar wiederum unabhängig von dessen konkreter Ausgestaltung. Denn die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass ihre Rechtsauffassung selbst bei einer konkreten Nachfrage beim KBA von diesem bestätigt worden wäre. Es ist in der Tat gerichtsbekannt, dass im Zuge der damaligen Typgenehmigungsverfahren den Beteiligten bewusst war, dass die Messwerte der Fahrzeuge im Realbetrieb von den Werten im NEFZ angesichts der gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messungen erfolgen, abwichen (KG BeckRS 2022, 24950 Rn. 20). Dennoch wurde behördenseits der Einsatz von Thermofenstern regelmäßig nicht beanstandet. Zwar ist diese Verwaltungspraxis insofern nicht schon per se maßgeblich. Aus ihr kann allerdings gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden, die der Annahme von Fahrlässigkeit bei der Verwendung der betreffenden, ggf. unzulässigen Abschalteinrichtung entgegensteht (BGH BeckRS 2023, 15117 Rn. 67).


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bb) § 263 StGB ist zwar nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich ein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB. Es besteht aber keine Stoffgleichheit der Vermögenseinbuße des Klägers mit den Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte. Insbesondere kann die Bereicherung des Verkäufers um den Anteil des Kaufpreises, der über den Wert des Fahrzeugs hinausging, nicht als notwendiges und beabsichtigtes Zwischenziel zur Erreichung der eigenen Ziele der verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten angesehen werden. Deren Ziel im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit unzulässiger Abschalteinrichtung bestand – die Richtigkeit des entsprechenden Klägervortrags unterstellt – darin, diese Fahrzeuge kostengünstiger als ihr sonst möglich zu produzieren, möglichst viele von ihnen abzusetzen und damit ihren Gewinn zu erhöhen. Dieses Ziel ließ sich mit dem Verkauf der Neuwagen erreichen. Hierfür war es jedoch nicht notwendig, dass bei etwaigen späteren Zweit- oder Drittverkäufen derselben Fahrzeuge als Gebrauchtwagen zugunsten des jeweiligen Verkäufers ein über dem Wert des jeweiligen Fahrzeugs liegender Kaufpreis erneut realisiert würde (BGH NJW 2020, 2798/2801 f.). Zudem fehlt es am für einen Verstoß gegen § 263 StGB erforderlichen Vorsatz, siehe bereits 1. a).


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cc) Hinsichtlich der weiteren behaupteten Manipulationen wird auch unter dem Aspekt einer Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz auf die Ausführungen unter 1. b) verwiesen.

Einschätzung der Kanzlei Stenz & Rogoz:

Die Berufung darf nach Einschätzung unserer Kanzlei durch das OLG München nicht im Beschlusswege nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden. Die Annahme, der weltgrößte Autohersteller - die Volkswagen AG - habe beim Einbau einer Abschalteinrichtung einem  vorsatzausschließenden Rechtsirrtum unterlegen, ist abwegig und dürfte vor dem Bundesgerichtshof wohl kaum Bestand haben.

Unsere Kanzlei vertritt zahlreiche Besitzer von VW-Fahrzeugen mit dem EA288-Motor. Wir geben Ihnen innerhalb von nur 48 Stunden eine kostenfreie Einschätzung zu den Risiken und Chancen eines Vorgehens gegen Volkswagen. 

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