OP-Absage wegen Corona - und jetzt?

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Angesichts stark steigender Corona-Zahlen springen immer mehr Krankenhaus-Ampeln auf Rot. Knappe Ressourcen zwingen viele Kliniken und Krankenhäuser, Schritt für Schritt in den Notfallmodus zu schalten. Um die Versorgung von Covid-Patienten in der aktuellen Situation zu gewährleisten, wird die Versorgung von Patienten mit anderen Krankheiten teilweise stark heruntergefahren oder sogar ganz ausgesetzt. Vor allem im orthopädischen Bereich kommt es derzeit verstärkt zu OP-Absagen. Aber auch Krebs- oder Herzkranke müssen mitunter längere Zeit auf ihre stationäre Behandlung warten. Dabei geht es nicht nur darum, dass Operationen verschoben werden. Vielmehr fallen auch andere wichtige medizinische Maßnahmen aus (z.B. im diagnostischen Bereich).

Wie ist die Rechtslage?

Grundsätzlich sind die Krankenhäuser und Kliniken im Rahmen ihres Versorgungsauftrags dazu verpflichtet, die Versorgung aller Patienten (also nicht nur die der Corona-Patienten) sicherzustellen. Seit dem Ausbruch der Coronapandemie haben aber viele Bundesländer sog. Freihaltequoten festgelegt. Danach müssen Krankenhäuser eine bestimmte Anzahl von Betten auf Normal- und Intensivstation von vorneherein ausschließlich für Corona-Patienten reservieren („freihalten“). Dabei gilt: Je stärker das Infektionsgeschehen ist, umso mehr Betten müssen für diese spezielle Patientengruppe freigehalten werden. Und umso weniger „normale“ Operationen, Aufnahmen und Eingriffe, die planbar und aus medizinischer Sicht nicht eilig sind, können durchgeführt werden.

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Hintergrund der staatlich angeordneten Freihaltequoten ist der Infektionsschutz (vgl. z.B. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.04.2021 – 1 S 66/21): Wenn schwerkranke Corona-Patienten aufgrund fehlender Krankenhauskapazitäten nicht mehr stationär aufgenommen werden können, würde dies zu neuen Ansteckungen und damit zu einer weiteren Verschärfung der Pandemie führen. Eine effiziente Verhütung und Bekämpfung von Corona sei also nur möglich, wenn von vorneherein genug Kapazitäten zur Diagnostik, Behandlung und Isolation (einer Vielzahl) infizierter Corona-Patienten vorgehalten würden.

Das Problem: Welcher Eingriff darf abgesagt werden?

Durch die Freihaltequoten kommen Ärzte und Pflegekräfte jedoch in ein Dilemma: Denn wann genau liegt überhaupt ein Eingriff vor, der verschoben werden darf, weil er aus medizinischer Sicht – salopp gesagt – „nicht ganz so wichtig“ oder nicht ganz so zeitkritisch ist? Die Freihalteverordnungen geben auf diese Frage jedenfalls keine befriedigende Antwort. Ihr Wortlaut weicht teilweise stark voneinander ab und ist im Übrigen auch sehr unbestimmt und allgemein gehalten.

Klare rechtliche Aussagen lassen sich allenfalls zu den beiden Extrempolen treffen – und dazwischen liegt eine große, schwierige Grauzone:

  • Absage/Verschiebung unzulässig, Behandlungspflicht (+):
    • Notfallpatienten (Unfall, Schlaganfall, Herzinfarkt, Vergiftung, akute Blinddarmentzündung, Netzhautablösung etc.)
    • Schwangere kurz vor der Entbindung
  • Absage/Verschiebung möglich:
    • Maßnahmen, die medizinisch nicht erforderlich sind (z.B. Schönheits-OPs)
    • Maßnahmen, die medizinisch erforderlich, aber nicht unmittelbar zeitkritisch sind (z.B. Einsatz von Knieprothesen) -> bei einer Verschiebung dürfen keine schweren gesundheitlichen Folgen drohen
  • „Grauzone“
    • Maßnahmen, die medizinisch erforderlich und zeitkritisch sind (z.B. Transplantationen, schwere und schnell fortschreitende Herz- und Krebserkrankungen) -> Patient ist zwar noch kein Notfallpatient, aber auf eine möglichst zeitnahe Therapie angewiesen, um eine schwere gesundheitliche Verschlechterung oder vitale Bedrohung aufzuhalten

Einige medizinische Fachgesellschaften haben mittlerweile Listen von Erkrankungen erstellt, die aus ihrer Sicht auch in der Corona-Pandemie z.B. eine sofortige Operation notwendig machen. Dort werden beispielsweise Tumorentfernungen, Bauchspeicheldrüsenentzündungen, akutes Abdomen oder Hernien genannt (weitere Details s. z.B. bei der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Visceralchirurgie). Diese Listen und Empfehlungen sind aber nicht rechtsverbindlich. Sie vermitteln weder dem Patienten einen „OP-Anspruch“, noch entlasten sie den Arzt in einem späteren Zivil- oder Strafverfahren.

Worauf Ärzte achten sollten

Ob und wie lange Operationen oder andere ärztliche Maßnahmen letztlich verschoben werden können, lässt sich im Vorfeld nicht abstrakt-generell beantworten. Dies ist vielmehr von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig. Um das Haftungsrisiko hier so klein wie möglich zu halten, sollten Ärzte auf Folgendes achten:

  • Priorisierungsentscheidungen sollten stets in einem geordneten Verfahren nach dem Mehraugenprinzip und unter Einbeziehung der verschiedenen medizinischen Fachrichtungen getroffen werden.
  • Es geht um Einzelfallentscheidungen, die sachlich nachvollziehbar sein sowie transparent und sorgfältig dokumentiert werden müssen.
  • Abwägungskriterien für die Dringlichkeit einer Behandlung können sein: konkrete Diagnose und mutmaßliche Krankheitsprognose, Abwägung OP-Risiken/OP-Nutzen, Schadenspotential bei Verschiebung des Eingriffs (z.B. Lebensgefahr, Organverlust, schwerwiegender Dauerschaden, irreversible Funktionsbeeinträchtigung) etc.
  • Bei unklarer Sachlage sollte auf jeden Fall eine engmaschige Überwachung bzw. rechtzeitige Wiedervorstellung des Patienten festgelegt werden.
  • Sofern andere Krankenhäuser das entsprechende Elektivprogramm noch anbieten, sollte der Patient darauf hingewiesen werden. Unter Umständen muss der Arzt die Verlegung auch direkt anordnen.
  • Der Patient muss für die Dauer der Wartezeit zumindest eine adäquate medikamentöse Therapie (z.B. Verordnung von Schmerzmitteln) oder eine „Überbrückung“ mittels anderer Maßnahmen erhalten (Krankengymnastik etc.). Im Übrigen müssen ihm Verhaltensregeln/-informationen mitgegeben werden (Was ist im Falle einer plötzlichen Verschlechterung zu tun? Wann muss die Wiedervorstellung erfolgen? Usw.)

Was Patienten beachten müssen

Wenn Krankenhäuser aufgrund der aktuellen Corona-Situation Operationen oder andere ärztliche Behandlungen verschieben oder absagen, ist dies für die betroffenen Patienten und deren Angehörige oftmals eine schwere physische und psychische Belastung. In der Praxis lässt sich hiergegen meist nicht viel unternehmen. Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen ist es möglich, direkt gegen eine OP-Absage vorzugehen und z.B. gerichtlich einen Anspruch auf unverzügliche Behandlung durchzusetzen.

Unserer Erfahrung nach kommen derartige Fälle in der Regel erst zeitverzögert, und zwar im Rahmen von Arzthaftungsprozessen vor die Gerichte. In unserer Kanzlei verzeichnen wir mittlerweile eine deutliche Zunahme von Mandaten, bei denen es um Behandlungsfehler während der Lockdowns geht. Hierbei handelt es sich vor allem um gesundheitliche und finanzielle Schäden, die unsere Mandanten/innen aufgrund schuldhafter Behandlungsverzögerungen, Befunderhebungs- und Diagnosefehler erlitten haben. In solchen Fällen ist es sinnvoll, schnell zu handeln und sich nicht nur medizinisch, sondern auch rechtlich gut beraten zu lassen. Wenn Sie hierzu nähere Fragen haben oder sogar selbst Betroffene/r sind, stehen wir Ihnen gerne mit unserer anwaltlichen Expertise zur Seite.

von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld (LL.M.)

Kanzlei Dr. Schuld – Anwaltskanzlei für Medizin- und Wirtschaftsrecht 

Foto(s): @pixabay.com/fernandozhiminaicela / 2459


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