Pflichtteilsergänzungsansprüche: Wann bestehen diese Ansprüche bei Todesfall und wie werden sie berechnet?

  • 7 Minuten Lesezeit

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist ein zentrales Element des deutschen Erbrechts, das in den §§ 2325 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt ist. 

Dieser Anspruch gewährleistet, dass Pflichtteilsberechtigte, in der Regel nahe Angehörige wie Kinder oder Ehepartner des Verstorbenen, auch dann einen Mindestanteil am Nachlass erhalten, wenn der Erblasser zu Lebzeiten sein Vermögen durch Schenkungen reduziert hat.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch dient dem Schutz der Pflichtteilsberechtigten. Diese sind Personen, die von Gesetzes wegen einen Anspruch auf einen Teil des Nachlasses haben, auch wenn sie im Testament des Erblassers nicht bedacht wurden. Der Gesetzgeber erkennt damit an, dass bestimmte nahe Angehörige ein schutzwürdiges Interesse am Nachlass haben.

Ohne den Pflichtteilsergänzungsanspruch könnte ein Erblasser durch Schenkungen zu Lebzeiten seinen Nachlass derart reduzieren, dass für die Pflichtteilsberechtigten kaum noch etwas übrig bleibt. Dies würde dem Sinn und Zweck des Pflichtteils, nämlich dem Schutz der finanziellen Interessen naher Angehöriger, zuwiderlaufen. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch verhindert eine solche Umgehung, indem er auch Schenkungen, die bis zu zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers getätigt wurden, in die Berechnung des Pflichtteils einbezieht.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch kommt ins Spiel, wenn der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod Vermögenswerte verschenkt hat. Dabei ist es unerheblich, ob die Schenkung an einen Dritten oder an einen der Erben erfolgte. Der Anspruch richtet sich gegen die Erben, die den Pflichtteil entsprechend erhöhen müssen.

Die Geltendmachung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist komplex, sodann nachfolgend nur die Grundzüge dargestellt werden können.


Der Pflichtteilsergänzungsanspruch als Absicherung des Pflichtteils

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist eine wesentliche Erweiterung des Pflichtteilsrechts im deutschen Erbrecht. Er dient dazu, die Interessen der Pflichtteilsberechtigten zu schützen, indem er sicherstellt, dass auch Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten vorgenommen hat, bei der Berechnung des Pflichtteils berücksichtigt werden.

Rechtsnatur des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in den §§ 2325 ff. geregelt. Er stellt eine Ergänzung zum regulären Pflichtteil dar und greift in Fällen, in denen der Erblasser durch Schenkungen zu Lebzeiten sein Vermögen reduziert hat. Dieser Anspruch ist nicht als eigenständiges Erbrecht zu verstehen, sondern als eine Korrektur, um eine gerechte Verteilung des Nachlasses sicherzustellen.

Sinn und Zweck des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Der Hauptzweck des Pflichtteilsergänzungsanspruchs liegt darin, die Umgehung des Pflichtteils durch Schenkungen zu verhindern. Ohne diese Regelung könnte ein Erblasser durch gezielte Schenkungen seinen Nachlass so reduzieren, dass für die Pflichtteilsberechtigten kaum etwas übrig bleibt. Der Gesetzgeber möchte mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch sicherstellen, dass Pflichtteilsberechtigte, in der Regel nahe Angehörige des Erblassers, einen Mindestanteil am Erbe erhalten, unabhängig von den zu Lebzeiten des Erblassers getätigten Schenkungen.

Anwendungsfälle des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod Vermögenswerte verschenkt hat. Die Regelung bezieht sich auf Schenkungen an Dritte sowie an Erben. Wichtig ist hierbei, dass der Zeitpunkt der Schenkung entscheidend ist. Je näher die Schenkung am Todeszeitpunkt liegt, desto relevanter ist sie für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs.


Die relevanten Normen im BGB, die den Pflichtteilsergänzungsanspruch regeln, sind insbesondere die §§ 2325 bis 2331. Diese Paragraphen definieren, unter welchen Umständen Schenkungen in die Berechnung des Pflichtteils einbezogen werden, wie die Berechnung erfolgt und welche Fristen und Voraussetzungen für die Geltendmachung des Anspruchs gelten.


Berechnung des Pflichtteilsergänzungs-anspruchs

Die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist ein komplexer Prozess, der darauf abzielt, die Pflichtteilsberechtigten vor einer Benachteiligung durch Schenkungen des Erblassers zu schützen. Diese Berechnung erfolgt in mehreren Schritten und berücksichtigt verschiedene Faktoren, einschließlich des Werts der Schenkung und des Zeitpunkts der Schenkung.

Grundprinzip der Berechnung

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch basiert auf dem Wert der vom Erblasser getätigten Schenkungen. Der Wert der Schenkung zum Zeitpunkt der Schenkung ist maßgeblich für die Berechnung. Dieser Wert wird dem Nachlass hinzugerechnet, um den Gesamtwert des Erbes zu ermitteln, von dem die Pflichtteilsberechtigten ihren Anteil beanspruchen können.

Das Abschmelzungsmodell

Ein zentrales Element bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist das sogenannte Abschmelzungsmodell, das in § 2325 Abs. 3 BGB geregelt ist. Dieses Modell sieht vor, dass der Wert der Schenkungen für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs jährlich um 10% abnimmt, beginnend ein Jahr nach der Schenkung. Dies bedeutet, dass Schenkungen, die länger als zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers erfolgten, nicht mehr in die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs einfließen.

Beispiel zur Veranschaulichung

Angenommen, der Erblasser hat fünf Jahre vor seinem Tod eine Schenkung im Wert von 100.000 Euro getätigt. Zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers würde der Wert dieser Schenkung für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs um 50% reduziert, also auf 50.000 Euro. Dieser Betrag würde dann dem Nachlass hinzugerechnet, um den Gesamtwert für die Berechnung des Pflichtteils zu ermitteln.

Berücksichtigung mehrerer Schenkungen

Wenn der Erblasser mehrere Schenkungen getätigt hat, muss jede Schenkung einzeln nach dem Abschmelzungsmodell bewertet werden. Die abgeschmolzenen Werte aller relevanten Schenkungen werden dann zum Nachlass hinzugefügt, um den Gesamtwert für die Pflichtteilsberechnung zu bestimmen.


Die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist ein wichtiger Mechanismus im deutschen Erbrecht, der sicherstellt, dass Pflichtteilsberechtigte einen gerechten Anteil am Erbe erhalten, auch wenn der Erblasser zu Lebzeiten Schenkungen vorgenommen hat. Durch das Abschmelzungsmodell wird eine ausgewogene Berücksichtigung der Schenkungen erreicht, wobei der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle spielt. Für Pflichtteilsberechtigte ist es daher essenziell, sich über die Schenkungen des Erblassers und deren Auswirkungen auf ihren Pflichtteil zu informieren.


Auskunftsanspruch gegenüber Erben und Geltendmachung

Der Auskunftsanspruch gegenüber den Erben und die Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs sind wesentliche Aspekte im Rahmen des Pflichtteilsrechts. Sie ermöglichen es Pflichtteilsberechtigten, Informationen über den Nachlass und vorgenommene Schenkungen zu erhalten und ihren Anspruch entsprechend durchzusetzen.

Auskunftsanspruch gegenüber Erben

Pflichtteilsberechtigte haben einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Auskunft über die Zusammensetzung des Nachlasses sowie über alle Schenkungen, die der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod getätigt hat. Dieser Auskunftsanspruch ist in § 2314 BGB geregelt und umfasst:

  1. Nachlassverzeichnis: Die Erben sind verpflichtet, ein detailliertes Verzeichnis des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls zu erstellen. Dieses Verzeichnis sollte alle Vermögenswerte und Schulden umfassen.
  2. Schenkungsverzeichnis: Zusätzlich müssen die Erben Auskunft über alle relevanten Schenkungen geben. Dies beinhaltet Informationen über den Zeitpunkt der Schenkung, den beschenkten Dritten und den Wert der Schenkung.

Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Nach Erhalt der Auskunft können Pflichtteilsberechtigte ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen. Dieser Prozess beinhaltet mehrere Schritte:

  1. Berechnung des Anspruchs: Basierend auf den Informationen aus dem Nachlass- und Schenkungsverzeichnis wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet. Hierbei ist das Abschmelzungsmodell zu berücksichtigen.
  2. Fristen: Die Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs muss innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis vom Erbfall und den relevanten Schenkungen erlangt. Gemäß § 2332 BGB beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre.
  3. Rechtliche Durchsetzung: Falls die Erben den Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht freiwillig erfüllen, kann der Pflichtteilsberechtigte gerichtliche Schritte einleiten. Dies kann eine Klage auf Zahlung des Pflichtteils oder auf Erstellung eines ordnungsgemäßen Nachlassverzeichnisses umfassen.


Fazit

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch wurde vom Gesetzgeber normiert, um den eigentlichen Pflichteilsanspruch abzusichern.

Der Auskunftsanspruch gegenüber den Erben und die Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs sind entscheidende Instrumente, die Pflichtteilsberechtigten zur Verfügung stehen, um ihren rechtmäßigen Anteil am Erbe zu sichern. Sie stellen sicher, dass Pflichtteilsberechtigte umfassend über den Nachlass und über Schenkungen informiert werden und ermöglichen es ihnen, ihren Anspruch effektiv durchzusetzen.

Die Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs kann komplex sein, insbesondere wenn die Erben die erforderlichen Auskünfte nicht erteilen oder wenn Unstimmigkeiten bei der Bewertung von Schenkungen auftreten. 

In solchen Fällen kann die Inanspruchnahme rechtlicher Unterstützung durch einen auf Erbrecht spezialisierten Anwalt sinnvoll sein.


Dieser Artikel stellt keine konkrete und individuelle Rechtsberatung dar, sondern gibt lediglich einen groben Erstüberblick über die geschilderte und sehr komplexe rechtliche Materie. Rechtliche Sicherheit für Ihre konkrete Fallkonstellation können Sie nur durch abgestimmte Prüfung und Beratung eines fachkundigen Rechtsanwalts erhalten. 


Gerne stehe ich Ihnen als Rechtsanwalt und Fachanwalt für eine rechtliche Beurteilung und Einschätzung Ihres Falles zur Verfügung und vertrete durchsetzungsstark und resolut auch Ihre Interessen ggü. Miterben, dem Testamentsvollstrecker, dem Nachlassgericht, dem Finanzamt und Behörden. Kontaktieren Sie mich gerne telefonisch oder Schreiben Sie mich an.

Ich berate bundesweit vor Ort oder via Zoom als Fachanwalt in den Rechtsgebieten Gesellschaftsrecht, Steuerrecht, Insolvenzrecht und Erbrecht, u. a. in den Städten und Großräumen um Stuttgart, Heilbronn, Karlsruhe, Freiburg, Ulm, Augsburg, München, Frankfurt, Wiesbaden, Saarbrücken, Kaiserslautern, Bonn, Wuppertal, Duisburg, Nürnberg, Münster, Saarbrücken, Düsseldorf, Köln, Dortmund, Hannover, Kassel, Leipzig, Dresden, Bremen, Hamburg und Berlin.




#Erbrecht #Pflichtteil #Pflichtteilsergänzungsanspruch #Erbschaft #Nachlass #Erben #Schenkungen #Testament #Erblasser #Rechtsberatung #Anwaltskanzlei #RechtsanwaltErbrecht #Erbschaftsrecht #Nachlassregelung #Erbansprüche #Pflichtteilsrecht #Erbenberatung #Erbschaftsanspruch #RechtshilfeErbrecht #KanzleiErbrecht #Erbschaftsberatung #Erbschaftsplanung #Testamentsgestaltung #Nachlassverwaltung #Erbschaftssteuer #ErbenundVererben #RechtsanwaltfürErben #Erbstreitigkeiten #Erbschaftsklage #Erbfolge #ErbschaftsrechtExperte #AnwaltfürNachlass #ErbschaftsrechtBeratung #ErbenSchutz #AuskunftPflichtteil #DurchsetzungPflichtteilsergänzungsanspruch #RechtsanwaltErbrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. iur. Holger Traub - Dipl. Kfm.

Beiträge zum Thema