Schadensminderungspflicht bei der Unfallfahrzeugverwertung – der BGH hält an Rechtsprechung fest

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Immer wieder versuchen die Haftpflichtversicherer den Schaden dadurch zu minimieren, indem sie dem Geschädigten weit höhere Restwertangebote vorlegen. Mit dieser Frage, ob ein Geschädigter dazu verpflichtet ist, das beschädigte Fahrzeug an den von der Versicherung vorgeschlagenen Verkäufer zu verkaufen, hatte sich der BGH erneut zu beschäftigen. 

Grundsätzlich hat der Geschädigte bei der Schadensbehebung den im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage den wirtschaftlichsten Weg zu wählen. Es ist jedoch anerkannt, dass der Geschädigte, der seinen Schaden durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beheben will, seiner Schadensminderungspflicht genügt, wenn er die Veräußerung des verunfallten Fahrzeugs zu einem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Damit hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung bestätigt (BGH Urteil vom 27.09.2016 – VI ZR 673/15).

Der Geschädigte ist weder unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots noch unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht dazu verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus noch eigene Marktforschung zu betreiben und dabei die Angebote auch räumlich entfernter Interessenten einzuholen oder einen Sondermarkt für Restwertverkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen. Auch ist er nicht verpflichtet, abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertangebote vorzulegen. 

Zwar mag es sein, dass der Schädiger bzw. der hinter ihm stehende Haftpflichtversicherer nicht nur ein besonderes Interesse an möglichst hohen Restwertangeboten hat, sondern auch über besondere Expertise darin verfügt, an entsprechende Angebote zu gelangen. Das ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber dem Geschädigten in § 249 II 1 BGB die Möglichkeit eingeräumt hat, die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen.

Diese gesetzgeberische Entscheidung würde unterlaufen, sähe man den Geschädigten schadensrechtlich grundsätzlich für verpflichtet an, vor der von ihm beabsichtigten Schadensbehebung Alternativvorschläge des Schädigers einzuholen und diesen dann gegebenenfalls zu folgen.

Die Schädigerseite darf natürlich im Rahmen einer möglichst frühzeitigen Kontaktaufnahme etwa durch wirtschaftliche Anreize darauf hinwirken, dass der Geschädigte die Verwertung des beschädigten Fahrzeugs freiwillig in die Hände des Haftpflichtversicherers legt, oder zu versuchen, dem Geschädigten auch ohne dessen Mitwirkung rechtzeitig eine günstigere Verwertungsmöglichkeit zu unterbreiten, die dieser ohne Weiteres wahrnehmen kann und die ihm zumutbar ist.

Die Rechtsprechung des BGH erscheint jedoch nur auf den ersten Blick die wirtschaftlich bessere Lösung für den Geschädigten zu sein. Ein höherer Restwert kann nämlich auch für den Geschädigten von Vorteil sein, insbesondere wenn Mitverschulden vorliegt. Dies lässt sich am folgenden Rechenbeispiel verdeutlichen:

Der Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs beträgt 30.000,00 €. Der Restwert laut Gutachten beträgt auf dem regionalen Markt 10.000,00 €. Der Haftpflichtversicherer unterbreitet ein höheres Restwertangebot, wonach der Geschädigte das Fahrzeug für 13.000,00 € verkaufen könnte. Der Geschädigte verlässt sich auf das Gutachten und verkauft das Fahrzeug für 10.000,00 €. Ihm verbleibt damit der erzielte Restwert von 10.000,00 €. Bei einer Haftungsquote von 50 %, hat er zudem einen Anspruch auf 50% des Wiederbeschaffungsaufwands. Der Wiederbeschaffungsaufwand ist die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert, hier also 20.000,00 €. Bei hälftigem Mitverschulden hat er einen Anspruch auf 50 % des Wiederbeschaffungsaufwands, also auf 10.000,00 €. Der Geschädigte erhält im Ergebnis 20.000,00 €. 

Hätte der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug jedoch für 13.000,00 € verkauft, hätte er im Ergebnis mehr Geld. Der Wiederbeschaffungsaufwand beträgt dann nämlich 17.000,00 €, davon 50 % ergibt einen Betrag von 8.500,00 €. Mit dem erzielten Restwert hätte er einen Gesamtbetrag von 21.500,00 € erhalten. Es kann sich also durchaus lohnen das Angebot des Haftpflichtversicherers genauer anzuschauen und das Fahrzeug gegebenenfalls zu einem höheren Restwert zu verkaufen.

Rechtsanwältin Helena Meißner, Kanzlei Wohlfeil, Gießen.


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