Sonderfall: Kinder verursachen einen Verkehrsunfall
- 3 Minuten Lesezeit
Ob Kinder oder deren Eltern haften müssen, kommt auf den Einzelfall an.
Zunächst muss hierbei die Prüfung der Deliktsfähigkeit des Kindes erfolgen. Wenn Kinder ihr Verhalten und die Konsequenzen daraus nicht überblicken können, gelten sie als deliktsunfähig.
Nach § 828 BGB besteht für Kinder unter sieben Jahren grundsätzlich keine Haftung. Dies gilt auch für Kinder im Alter von sieben bis zehn Jahren bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, wenn der Schaden nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde.
Darüber hinaus haften Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres nur, wenn sie bei Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht haben.
Sofern das Kind nach der ersten Prüfung nicht verantwortlich ist, kann eine Verletzung der Aufsichtspflicht der Eltern geprüft werden nach § 832 BGB. Der Umfang der Aufsichtspflichten richtet sich danach, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen tun müssten, damit eine Schädigung Dritter verhindert werden kann. Insbesondere ältere Kinder müssen nicht ständig beaufsichtigt werden. Von Bedeutung für den Umfang der Aufsicht sind dabei das Alter und der Charakter des betroffenen Kindes, sowie die konkrete Situation. Je jünger und unvernünftiger das Kind also ist, desto mehr müssen dessen Eltern in die Aufsicht investieren. Dabei gelten laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs unterschiedliche Grundsätze (Urteil vom 24. März 2009, Az.: VI ZR 51/08). So ist bei Sieben- bis Achtjährigen keine regelmäßige Kontrolle erforderlich. Kinder in diesem Alter können im Freien demnach auch ohne Aufsicht spielen. Es genügt, dass die Eltern sich über das Tun „in groben Zügen“ einen Überblick verschaffen.
Wenn das Kind, das den Schaden verursacht hat, noch deliktsunfähig ist und die Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt haben, hat der Geschädigte keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Entschädigungsleistung.
Vielerorts und insbesondere an Baustellen werden Schilder montiert, welche Eltern vor Haftungsansprüchen warnen sollen. Bekannt ist hier insbesondere das Schild „Eltern haften für ihre Kinder!“. Der Aufsteller dieses Hinweises meint, dass durch dieses Schild die oben genannten gesetzgeberischen Voraussetzungen umgangen werden. Dies ist aber nicht der Fall, sodass weiterhin eine Einzelfallprüfung nach den gesetzlichen Anforderungen erforderlich ist.
Das OLG Celle (Urteil v. 19.05.2021, Az.: 14 U 129/20) hatte zu entscheiden, ob einem elfjährigen Kind ein Mitverschulden anzulasten ist, wenn es beim unvorsichtigen Überqueren einer Straße von einem Fahrzeug erfasst wird. Das Mädchen wollte vor Schulbeginn den Anschluss an ihre Freunde nicht verlieren und überquerte die Straße, ohne ausreichend auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Daraufhin hatte sie den Fahrzeugführer und dessen Haftpflichtversicherung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagt. Das Gericht entschied, dass der Elfjährigen kein Mitverschuldensvorwurf gemacht werden könne. Zwar hatte sie die erforderliche Einsichtsfähigkeit, die Gefährlichkeit ihrer Handlung zuerkennen. Doch ist das Verschulden anhand eines objektiven Maßstabs zu bewerten, ob das Mädchen im konkreten Fall die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Hierbei sind neben dem Alter auch die konkrete Unfallsituation zu berücksichtigen. Insbesondere kommt es auch darauf an, ob Kinder gleichen Alters und derselben Entwicklungsstufe die Gefahr hätten erkennen müssen und sich entsprechend anders verhalten hätten. Das Gericht verneinte dies im vorliegenden Fall. Da sich bereits drei vorausgehende Kinder auf der Fahrbahn befanden, sei eine Gruppendynamik entstanden, nicht als einziges Kind zurückzubleiben. Bereits das OLG Oldenburg (Az. 8 U 229/03) stellte fest, dass gerade bei Gruppenbildung minderjähriger Verkehrsteilnehmer mit Abgelenktheit und Unachtsamkeit einzelner Kinder zu rechnen ist.
Weitere Artikel finden Sie hier:
Artikel teilen: