Sorgerecht in Kolumbien: Patria Potestad, Custodia und Ausreise von Minderjährigen

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Das kolumbianische Recht unterscheidet beim Sorgerecht zwischen „Custodia“ und „Patria Potestad“. Die Patria Potestad ist die Gesamtheit der Rechte (und Pflichten), die Eltern ihren minderjährigen Kindern gegenüber haben. Beispiele hierfür sind die Erziehungsberechtigung, die Vermögensverwaltung und die gesetzliche Vertretung des Minderjährigen. Die Custodia hingegen, die dauerhafte Betreuung des Minderjährigen und seiner Besitztümer, gleicht dem deutschsprachigen Verständnis nach mehr einer Art mehrheitlichen Aufenthalts. Jener Elternteil, bei dem das Kind nicht seinen mehrheitlichen Aufenthalt hat, kann nach wie vor seine Rechte (und Pflichten), die aus der Patria Potestad abgeleitet werden, ausüben. Die Patria Potestad steht beiden Elternteilen zu, unabhängig davon, ob sie miteinander verheiratet sind oder nicht, und kann nur durch Gerichtsbeschluss ausgesetzt oder beendet werden, sodass kein Elternteil auf die elterliche Sorge "verzichten" oder private Vereinbarungen darüber beim Notar treffen kann. Es besteht hierbei das Primat der Unverzichtbarkeit, Unübertragbarkeit und Unverjährbarkeit der Patria Potestad beider Elternteile. Der Entzug, die zeitweise Aussetzung oder die Entbindung aus der Patria Potestad, kann nur richterlich erfolgen. In diesem Sinne erlaubt das kolumbianische Recht den Eltern, die Patria Potestad über ihre minderjährigen Kinder auszuüben, auch wenn sie nicht die Custodia haben. Die Custodia ist zeitlich beschränkt, die genaue Zeitspanne kann jedoch von Fall zu Fall variieren. Über die Custodia können die Eltern selbst Vereinbarungen treffen. Vergleichbar mit der österreichischen Rechtslage trifft die Eltern die Verpflichtung, Alimente an ihre Kinder zu zahlen oder in Form von Naturalia zu geben, da alle Minderjährigen das Recht auf Nahrung und die notwendige Pflege haben, um ihre normale Entwicklung zu gewährleisten. Dies hat entweder bis zur Volljährigkeit (18 Jahre) oder bis zum 25. Lebensjahr bei Absolvierung eines Studiums zu erfolgen. Leben die Eltern getrennt, muss das Elternteil, welches nicht mit dem Kind zusammenlebt, einen monatlichen Unterhaltsbeitrag zahlen, der nicht nur die Ernährung, sondern auch Aspekte wie Kleidung, Erziehung, Freizeitgestaltung, Gesundheit, Wohnung usw. umfasst.


Patria Potestad

Abgeleitet vom Konzept des römischen Rechts der „patria potestas“ und wörtlich übersetzt mit „Vormacht des Vaters”, versteht man unter dem Begriff der „Patria Potestad“ heute die wichtigste in Kolumbien geltende Maßnahme zum Schutze des Kindes innerhalb der Familie. Sie stellt das geeignetste Mittel dar, um die Erziehung, die Bildung und die ganzheitliche Entwicklung des Kindes zu gewährleisten. Seit dem Inkrafttreten des Dekrets 2820 aus dem Jahre 1974, üben grundsätzlich beide Elternteile die Patria Potestad gemeinsam aus. In Abwesenheit eines Elternteils übt der jeweils andere die „Patria Potestad“ aus, d.h. sie wirkt nur innerhalb der Familie und wird gegenüber allen Kindern, einschließlich der adoptierten Kinder, ausgeübt. Das kolumbianische Verfassungsgericht definiert die Patria Potestad in Anlehnung an den Wortlaut des Art. 288 des kolumbianischen Codigo Civil als „Reihe von Rechten, die das Gesetz den Eltern über ihre minderjährigen Kinder einräumt, um es den Eltern zu erleichtern, ihren Verpflichtungen den Minderjährigen gegenüber nachzukommen”. Die Patria Potestad ist „obligatorisch und unverzichtbar”, es sei denn, das Gesetz entzieht sie den Eltern oder schließt sie von ihrer Ausübung aus; „höchstpersönlich und unübertragbar”, weil die Eltern verpflichtet sind, diese auszuüben, es sei denn, das Gesetz schließt sie von ihrer Ausübung aus; die Patria Potestad kann nicht zum Gegenstand von privatrechtlichen Vereinbarungen, also auch nicht von Scheidungsfolgenvereinbarungen gemacht werden, außer in den Fällen, in denen das Gesetz dies vorsieht; und schließlich stellt die Patria Potestad eine unentgeltliche Aufgabe dar, weil sie zur elterlichen Fürsorgepflicht gehört. Die elterliche Gewalt muss vom Vater oder von der Mutter persönlich ausgeübt werden. Sie kann einem Elternteil nur nach Erhebung von gerichtlicher Klage und aus den gesetzlich verankerten Gründen entzogen werden. Primat der Patria Potestad ist das Kindeswohl. Neben der gesetzlichen Vertretung des Minderjährigen und der Verwaltung seiner Güter umfasst die Patria Potestad u.a. für internationale Paare auch ein ganz wesentliches Element - die Ausreiseerlaubnis. So kann es vorkommen, dass in einer Vereinbarung über die Scheidungsfolgen einem Elternteil die alleinige Fürsorge („custodia”) und damit der mehrheitliche Aufenthalt des Kindes zugesprochen wird, wohl aber nicht dem anderen Elternteil dadurch die Patria Potestad entzogen wurde. Bei Auslandsreisen nur mit einem Elternteil kann das andere Elternteil unter Berufung auf die Patria Potestad, dem Elternteil, das die Custodia hat, die Ausreise untersagen.


Zeitweise Aussetzung und Beendigung der Patria Potestad

Die Patria Potestad kann nur aus den gesetzlich vorgesehenen Gründen zeitweise ausgesetzt oder ganz beendet werden. Neben der Beendigung durch zB Volljährigkeit oder Eheschließung sind Gründe zeitweiser Aussetzung zB lange Abwesenheit oder geistige Behinderung eines Elternteils (Gesetz 1306 aus 2009, Art. 15). In der kolumbianischen Gesetzgebung gibt es verschiedene Formen der Beendigung der Patria Potestad, welche freiwillig, gesetzlich oder gerichtlich erfolgen kann. Die freiwillige Beendigung wird durch eine öffentliche Urkunde vollzogen, in welcher die Eltern die Beendigung der Patria Potestad über das erwachsene Kind erklären und das Kind zustimmt. Damit diese gültig ist, bedarf es der Genehmigung durch den Richter, der Kenntnis von der Sache haben muss. Eine einmal gewährte freiwillige Beendigung der Patria Potestad ist unwiderruflich.


Die rechtliche Emanzipation ist diejenige, die durch den tatsächlichen oder mutmaßlichen Tod der Eltern, durch die Heirat des Kindes, durch das Erreichen der Volljährigkeit oder durch ein Dekret eintritt. Die gerichtliche Emanzipation erfolgt gemäß Artikel 315 des Codigo Civil durch richterlichen Beschluss, wenn die Eltern, die die Patria Potestad ausüben, einen der in dem Artikel genannten Tatbestände erfüllen. Der in der Praxis wohl relevanteste Fall ist die Kindesmisshandlung („maltrato”) oder dauerhafte Vernachlässigung. Demnach kann dem betroffenen Elternteil die Patria Potestad etwa entzogen werden, wenn das Leben des Kindes gefährdet ist oder diesem Leid zugefügt wird. Darunter wird, je nach Schweregrad, auch psychische Gewalt subsumiert. Ein weiterer in der Praxis besonders relevanter Grund zur Beendigung der Patria Potestad ist das „Verlassen” des Kindes („abandono”). Darunter ist u.a. emotionale oder faktische Entfremdung zu verstehen. Dem Minderjährigen soll also Schutz vor unbegründetem Desinteresse bzw. Imstichlassen und der Nichterfüllung der elterlichen Pflichten, wie z. B. die Pflicht zur Fürsorge, Liebe, guten Behandlung oder Kommunikation eines Elternteils geboten werden. Wer sich nicht für sein Kind interessiert, soll also dem kolumbianischen Rechtsverständnis nach auch nicht mehr die Patria Potestad ausüben dürfen. Jedenfalls beizuziehen ist in derartigen gerichtlichen Verfahren die für das Kindeswohl zuständige Behörde, „Defensoría de Familia“. Die Patria Potestad, darf dem Gesetzeswortlaut nach auch nicht zum Vorteil der Eltern ausgeübt werden, sondern versteht sich als Schutznorm für das minderjährige Kind. Daher stellt die missbräuchliche Ausübung der Patria Potestad ebenfalls einen Entzugsgrund dar.


Ausreise von Minderjährigen

Reist das minderjährige Kind aus dem kolumbianischen Staatsgebiet mit nur einem Elternteil aus, so muss dieses Elternteil eine Ausreisebewilligung des anderen Elternteils vorlegen. Das gilt auch für Urlaubsreisen! Eine solche Bewilligung kann mit Unterschrift vor einem kolumbianischen Notar, in einem kolumbianischen Konsulat oder einer sonst zuständigen Behörde erteilt werden. Auf der Website der Migrationsbehörde Migración Colombia steht eine Vorlage für die Bewilligung zum Download bereit, die in mehreren Sprachen verfügbar ist, sollte die Bewilligung mehrsprachig benötigt werden (http://migracioncolombia.gov.co/index.php /de/recommendaciones-salida-de-ninos). Erteilt der andere Elternteil vehement keine Ausreiseerlaubnis, kann gerichtlich auf zwei Arten vorgegangen werden: Eltern, die sich überhaupt nicht um das Kind kümmern oder vielleicht gar nicht auffindbar sind, können auf Entzug der Patria Potestad verklagt werden. Ginge ein Entzug der Patria Potestad zu weit, weigert sich der andere Elternteil aber dennoch ungerechtfertigter Weise die Ausreise zu genehmigen, kann er vor dem Familiengericht auf Erteilung der Ausreiseerlaubnis geklagt werden.


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