Sozialrechtliche Bedarfe von Obdachlosen: Heizkosten auch ohne „klassische Unterkunft“ erstattungsfähig ?

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Neuester Rechtsprechung zufolge kann auch obdachlosen Menschen ein Anspruch auf Erstattung ihrer Heizkosten zustehen.

So hat das Sozialgericht Freiburg im Falle eines dauerhaft in einem Zelt lebenden obdachlosen Menschen die Kosten für den Betrieb eines Camping-Gasheizstrahlers als sozialrechtlichen Bedarf im Sinne des § 22 SGB II anerkannt. (vgl. Beschluss SG Freiburg vom 13.01.2022, veröffentlicht auf:  https://rdl.de/sites/default/files/Beschluss-13-01-22.pdf )

Die Entscheidung ist bedeutsam, da Heizkosten für Zelte bisher nicht als Bedarfe für Unterkunft- und Heizung anerkannt wurden.

Anders als die bisherige Rechtsprechung und Fachliteratur zu § 22 SGB II betont das Gericht vorliegend die erhebliche grundrechtliche Bedeutung eines solchen Anspruchs.

Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 und 3 i.V.m. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat eine hilfebedürftige Person Anspruch auf Leistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen.

Der weit verbreiteten Annahme, Leistungen für den Heizbedarf würden eine Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II voraussetzen, folgt das Gericht nicht.

Das „und“ im Gesetzestext besage, dass beide Bedarfe (Unterkunft und Heizung) soweit sie vorliegen- durch denselben Träger erbracht werden müssten.

Der Begriff Heizung in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei vorrangig nach Zweck und an den Grundrechten orientiert auszulegen. So zähle der Heizbedarf zu den wichtigsten menschlichen Bedürfnissen, nämlich sich durch eine künstliche Wärmequelle vor einer gesundheits- oder gar lebensgefährdenden Unterkühlung des Körpers zu schützen.

Die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 22 Abs. 1 SGB II dürfe sich nicht pauschal an einer „bürgerlichen Normalexistenz“ orientieren. Vielmehr sei der existenzielle Heizungsbedarf auch in davon abweichenden Fällen anzuerkennen. Das Gericht bezieht sich dabei auch auf das BVerfG, welches gerade im Bereich der Grundsicherung den individuellen Bedarf betone.

Andernfalls würden ausgerechnet denjenigen, die besonders schutzbedürftig seien, Leistungen zur Deckung des existenziellen Heizungsbedarfs gerade aufgrund ihrer Unterkunftslosigkeit vorenthalten.

Es liefe aber der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip geradezu diametral zuwider, wenn demjenigen, der bereits „kein Dach über dem Kopf“ hat, gerade deswegen auch noch die Mittel vorenthalten würden, sich wenigstens zu wärmen, so das Sozialgericht Freiburg.

Dieser Argumentation ist meines Erachtens uneingeschränkt zuzustimmen. Auch wenn diese Gerichtsentscheidung im Rahmen eines Eilverfahrens getroffen wurde und nur vorläufig und für den Einzelfall gilt, kann aufgrund der ausführlichen Begründung des Beschlusses in ähnlichen Fällen durchaus entsprechend argumentiert werden.

Es bleibt zu hoffen, dass auch in anderen atypischen Fällen, solche sozialrechtlichen Bedarfe anerkannt werden und weitere Gerichtsentscheidungen in diese Richtung folgen.  

Fazit: Auch im Falle einer scheinbar verfestigten Rechtsmeinung bei Gerichten und Fachleuten kann es sich lohnen, sich gegen behördliche Entscheidungen zu wenden. Dies gilt vor allem in atypischen Fallkonstellationen.    


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