Strafrecht: Psychologie und Strafmaßverteidigung

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„Frau Zeugin, gestatten Sie, dass mein Mandant sich direkt an Sie wendet? Sind Sie bereit, meinen Mandanten anzuhören?“ Diese geschickte Einleitung eines Nürnberger Strafverteidigerkollegen für eine nachfolgende Entschuldigung des Angeklagten gehört seit langem auch zu meinem Repertoire. Selbst wenn die Zeugin verneint, kommt die dann vom Verteidiger namens seines Mandanten vorgetragene Entschuldigung „gut rüber“.

Die Verteidigung des schuldigen Angeklagten – ein von vorneherein hoffnungsloses Unterfangen? Ganz und gar nicht, wenn der Mandant mitzieht.

1. Vorbereitung
 
Eine gute Vorbereitung fängt damit an, dass man sich meldet, wenn der Verteidiger einen zu sprechen wünscht und einen Termin vereinbart. Das klingt so selbstverständlich, ist es aber nach meiner Erfahrung nicht. Wenn die Akte da ist- und erst dann – muss die Sache ausführlich besprochen werden.

Regelmäßig ist auch der Ausgleich mit dem Geschädigten ein Teil der Vorbereitung:

So macht es sich auch bei einem vollendeten Betrug gut, wenn das Geld (oder wenigstens ein Teil davon) vom Täter/der Täterin zurückbezahlt wird.

Bei Körperverletzungsdelikten ist oft ein Täter-Opfer-Ausgleich angezeigt, er ermöglicht dem Gericht eine Strafrahmenverschiebung. Der Täter entschuldigt sich im Rahmen eines persönlichen Gesprächs beim Geschädigten und zahlt ihm ein Schmerzensgeld. Der Vorgang wird protokolliert. Fertig ist der Täter-Opfer-Ausgleich. Unter Zeitdruck habe ich Derartiges als Geschädigtenvertreter schon am Vorabend der Verhandlung in der Kanzlei der Verteidigerin und als Verteidiger noch am Tag der Verhandlung eine Stunde vor dem Termin mit von mir gefertigten handschriftlichen Protokoll beim Bäcker vor dem Gerichtsgebäude durchgezogen.

2. Schule, Ausbildung, Arbeit
 
Richter und Richterinnen sind deutsche Staatsbürger und Beamte, oft „typische“ Deutsche, und sie sind vor allem eines: „Topjuristen“. Und das sind sie sicher nicht, weil sie immer auf der faulen Haut lagen. Sie haben sich - jedenfalls in Schule, Studium und Referendariat - gequält und gelernt.

So verwundert es nicht weiter, dass sie generell wenig Verständnis für Schul-/Ausbildungsabbrecher haben oder für Leute, die bewusst von Hartz-IV leben. Das können Sie jetzt blöd finden, ist aber einfach so.

Folglich macht es immer, übrigens auch bei mir, einen guten Eindruck, wenn jemand versucht, weiterzukommen, eine Ausbildung macht, abgeschlossen hat, oder einfach hart für seinen Lebensunterhalt arbeitet. Bis zu einem Prozess kann man die Voraussetzung „Arbeit“ ja auch noch schaffen, man muss sie dann eben vernünftig glaubhaft machen (Arbeitsvertrag, Lohnabrechnungen etc).

3. Äußeres
 
„Kleider machen Leute“ – so true. Ich erwarte dabei nicht, dass ein Jugendlicher mit Anzug und Krawatte erscheint. Er soll sauber und ordentlich in „seiner“ Kleidung erscheinen. Keine T-Shirts oder Hoodies mit irgendwelchen schwachsinnigen Aufdrucken bitte. Eine dunkle Hose und ein helles Hemd haben noch nie geschadet. In der Tat hatte ich mal einen Fall mit einem Kleindealer, in dem das weiße Hemd (Psychologie: weiß – Farbe der Unschuld) nach meiner Wahrnehmung das ausschlaggebende i-Tüpfelchen für die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung war.

4. Verhalten während der Verhandlung

Wer noch nie bei Gericht war, dem muss erklärt werden, wer wo sitzt (Gericht, Staatsanwaltschaft, Protokollführer), dass man aufsteht (ja förmlich aufspringt), wenn das Gericht hereinkommt. Dass man den/die Richterin nicht mit „Euer Ehren“ anspricht, sondern mit „Herr Richter“ oder „Frau Richterin“, in Bayern gerne mit „Herr Vorsitzender“ oder „Frau Vorsitzende“. Dass man nicht blöd herumlacht oder grinst, sondern ernst dreinschaut, wenn der geschädigte Zeuge spricht, schließlich ist man der Angeklagte.

5. Einlassung
 
„Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen.“ (Matthäus 5, 37 Neues Testament/EÜ). Wenn man schon schuld ist, möge man das direkt zugeben. Nicht lange drumherumreden, immer dazu stehen, nicht ausweichen, abmildern, zurückziehen. Man kann durchaus erklären, wie und warum es zu der Situation gekommen ist, in der man falsch gehandelt hat. Man darf aber nie versuchen, das falsche Handeln selbst zu rechtfertigen. 

Gerade bei Sexualdelikten rechnet das Gericht dem Geständigen hoch an, dass der/dem Geschädigten eine Aussage vor Gericht erspart wird. Muss dagegen die/der Belastungszeuge/-in gehört werden, weil der Angeklagte „mäandert“ (das heißt „im Zick-Zack“ ausweicht), ist der psychologische Eindruck äußerst schlecht. Zwar hat der Berufsrichter die Akte gelesen, aber ohne Aussage eines Zeugen in Fleisch und Blut, bleibt der Vorgang selbst abstrakt. Muss der Zeuge/die Zeugin auftreten, weil der Angeklagte mauert, hat das v.a. auf die Schöffen (Laienrichter aus dem Volk) eine fatale Wirkung.

Je nach Situation – es gibt dafür kein generelles „richtig“ oder „falsch“, muss entschieden werden, ob der Angeklagte selbst spricht oder eine Verteidigererklärung erfolgt (oder eine Kombination hiervon) und ob Fragen beantwortet werden.

Fatal bei Körperverletzungsdelikten ist auch, wenn der Angeklagte seine eigenen Verletzungen, die er bei der Gegenwehr des Angegriffenen oder auf der Flucht erlitten hat, larmoyant ins Feld führt. Hierauf kann dezent der Verteidiger hinweisen, für den Angeklagten selbst verbietet sich das. Sonst kann er etwas über „ausgeprägtes Selbstmitleid“ in seinem Urteil nachlesen.

6. Letztes Wort
Wenn alles erörtert wurde, kann sich der Angeklagte den Ausführungen seines Verteidigers anschließen und gut ist. Dann macht der Angeklagte schon nichts falsch. 

In meine Erinnerung eingebrannt ist ein letztes Wort eines Angeklagten in einer Sache wegen Handyhehlerei, das ich als junger Anwalt nicht verhindern konnte (passiert mir auch nie wieder…). Ich hatte den Angeklagten in bestem Licht gezeichnet, er hatte seine Ausbildung zum Installateur noch abgeschlossen, hatte einen Arbeitsplatz. Im berühmten letzten Wort sagte er: „Ist nicht soooo schlimm, Frau Richterin, … nichts passiert. ---Verbrechen halt!“. Weder noch: natürlich war es „schlimm“, sonst wäre mein jugendlicher Mandant ja nicht angeklagt gewesen. Und ein Verbrechen war es auch nicht, sondern (rechtstechnisch) nur ein Vergehen (weil keine Mindeststrafe von einem Jahr).

Fazit: Unterschätzen Sie die psychologischen Aspekte nicht, lassen Sie sich von jemandem mit Gespür verteidigen!



Foto(s): LIEB

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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