Strafrecht: Trunkenheitsfahrt auf einem E-Scooter als Regelfall für die Fahrerlaubnisentziehung?

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Das Landgericht Halle (Saale) hat entschieden, dass eine Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter nicht zwingend eine Fahrerlaubnisentziehung bedeuten muss.

Dieser Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Mit Beschluss vom 12.06.2020 entzog das Amtsgericht Halle (Saale) dem Beschuldigten gemäß §111a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis. Es begründete den Beschluss damit, dass er dringend verdächtig sei, am 30.05.2020 ein Fahrzeug (E-Scooter mit Versicherungskennzeichen) geführt zu haben, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage gewesen sei, das Fahrzeug sicher zu führen. Der Blutalkohol des Beschuldigten habe mindestens 1,28 ‰ betragen. Der Ermittlungsakte sei entnehmbar, dass der Beschuldigte über eine Strecke von 15 m leichte Schlangenlinien auf einem Radweg fuhr; weitere Ausfallerscheinungen, die zu einer Gefährdung von Personen oder Sachen führten, waren nicht ersichtlich.

Der Führerschein wurde am 30.05.2020 durch die Polizei beschlagnahmt und befand sich seitdem in amtlicher Verwahrung.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschuldigte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24.06.2020 erfolgreich Beschwerde ein.

Das Landgericht stellte fest, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß §111a Absatz 1 StPO nicht vorlagen, da die Regelvermutung des §69 Absatz 2 Nr. 2 StGB, den Beschuldigten als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, ausnahmsweise widerlegt sei.

Es führte aus, dass dahinstehen könne, ob der die absolute Fahruntüchtigkeit bedeutende Grenzwert von 1,1‰ für Kraftfahrzeugfahrer oder der für Fahrradfahrer von 1,6‰ gelte.

Es komme ein Absehen der Regelwirkung des §69 Absatz 2 Nr. 2 StGB in Betracht, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß günstiger erscheinen lassen als den Regelfall oder die nach der Tat die Eignung positiv beeinflusst haben.

Die Tatsache, dass sich das abstrakte Gefährdungspotenzial von E-Scootern erkennbar von dem der klassischen Kraftfahrzeuge (PKW, LKW, Krafträder usw.) unterscheide, da diese ein geringeres Gewicht (20 bis 25 kg) und eine geringere Höchstgeschwindigkeit (20 km/h) als Kraftfahrzeuge aufweisen, stelle einen solchen Umstand dar.

E-Scooter seien eher mit Fahrrädern bzw. Pedelecs vergleichbar. Die Leistungsanforderungen (v. a. Halten des Gleichgewichtes und Lenkbewegungen) beim Führen eines E-Scooters seien nahezu identisch mit denen des Fahrradfahrens.

Von dieser Vergleichbarkeit gehe auch der Gesetzgeber selbst aus, der in der BR-Drucksacke 158/19, S. 23 festhielt, dass die Fahreigenschaften und Verkehrswahrnehmung von Elektrokleinstfahrzeugen wie E-Scootern mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 12-20 km/h am stärksten denen des Fahrrads ähnelten, sodass bei fehlenden speziellen Vorschriften die verkehrs- und verhaltensrechtlichen Regelungen über Fahrräder gelten sollen.

Eine gemäß §316 StGB möglicherweise strafbare Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad ziehe nicht zwangsläufig eine Fahrerlaubnisentziehung nach sich, vielmehr komme es dabei auf die Umstände des Einzelfalls an. Somit greife nicht ohne Weiteres die Regelvermutung des §69 Absatz 2 Nr. 2 StGB.

Bei einer Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter sei zu prüfen, ob daraus auf eine Verantwortungslosigkeit des Beschuldigten geschlossen werden kann, die mit einer Trunkenheit mit „klassischen“ Kraftfahrzeugen vergleichbar ist und somit von seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden müsse.

Für den konkreten Fall bedeute dies, dass die Voraussetzungen für die Regelvermutung des §69 Absatz 2 Nr. 2 StGB als widerlegt anzusehen sind, sodass die Voraussetzungen für eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach §69 StGB nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben seien.

LG Halle (Saale), Beschluss vom 16.07.2020 – 3 Qs 81/20


Rechtsanwalt Daniel Krug, Halle (S.) 


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