Tachotricks entlarvt: Wie sicher ist der Kilometerstand wirklich?
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Tacho zurück – Vertrauen weg? Warum der Kilometerstand oft trügt
Trotz jahrelanger Bemühungen zur Bekämpfung von Tachomanipulationen bleibt das Problem auch im Jahr 2025 ein weitverbreitetes Phänomen – und es betrifft längst nicht nur ältere Fahrzeuge oder dubiose Hinterhofhändler. Der Kilometerzähler eines Autos ist weit mehr als eine bloße Zahl: Er entscheidet über Preis, Wartung, Sicherheit und Vertrauen. Doch was, wenn genau dieser Wert gezielt gefälscht wurde?
Wie kann es sein, dass mit wenigen Klicks ein Fahrzeug „verjüngt“ wird – und der Betrug kaum nachweisbar ist? Warum sind selbst moderne Fahrzeuge mit vernetzter Technik nicht ausreichend geschützt? Und wie schaffen es Kriminelle, trotz Gesetzeslage und elektronischer Systeme, jährlich zehntausende Autos zu manipulieren, ohne erwischt zu werden?
Manipulationen am Kilometerstand sind nicht nur ein lukratives Geschäft für Täter – sie werden auch immer raffinierter. Was für Käufer wie ein gepflegtes Schnäppchen aussieht, kann sich schnell als Sicherheitsrisiko und Geldgrab entpuppen. Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt für technische Rechtssicherheit und Verbraucherschutz, erklärt, warum gesetzliche Schutzmechanismen bislang nicht greifen, wie die Verantwortung verteilt ist – und welche Schritte nötig wären, um diesem flächendeckenden Betrug endlich wirksam zu begegnen.
Die Entwicklung der Technik spielt Betrügern in die Karten
Früher war es notwendig, mechanische Eingriffe vorzunehmen, um den Kilometerstand eines Fahrzeugs zu manipulieren. Heute reicht ein kleines, unscheinbares Gerät, das über den OBD-Port (On-Board-Diagnose) des Fahrzeugs angeschlossen wird. Diese Geräte ermöglichen es, den Kilometerstand innerhalb weniger Minuten zu manipulieren – ganz ohne Spuren und ohne aufwendige Demontage des Tachometers. Die Technik hat sich so weit entwickelt, dass selbst Laien mit wenig technischem Wissen in der Lage sind, den Kilometerzähler zu verändern.
Ein ADAC-Test an drei Fahrzeugen aus den Jahren 2019 und 2020 zeigte, dass alle Modelle innerhalb von wenigen Minuten über den Diagnosestecker manipuliert werden konnten. Zwei der Fahrzeuge konnten allein durch den Zugriff auf den OBD-Port verändert werden. Diese erschreckende Leichtigkeit, mit der der Kilometerstand geändert werden kann, zeigt deutlich: Der Zugang zur Manipulation ist zu einfach, und die Schutzmechanismen sind bei Weitem nicht ausreichend.
Trotz der Tatsache, dass Händler, die gefälschte Fahrzeuge verkaufen, sich laut § 22b StVG strafbar machen, ist es in der Praxis schwierig, diese Verstöße nachzuweisen und eine Verurteilung zu erwirken. Die Dunkelziffer an nicht aufgedeckten Manipulationen bleibt nach wie vor hoch, und viele Händler kommen ungestraft davon.
Die Verordnung – gut gemeint, aber wirkungslos?
Bereits 2018 wurden EU-Vorgaben zum Schutz neuer Fahrzeuge vor Tachomanipulationen erlassen. Doch laut Dr. Schulte bleibt die Wirkung dieser Verordnung größtenteils auf dem Papier: „Solange es keine klare technische Vorgabe gibt, bleibt die Schutzwirkung auf dem Papier“, kritisiert Dr. Schulte. Ein zentrales Problem sei, dass viele Fahrzeuge den Kilometerstand nur in einem einzigen Steuergerät speichern – eine enorme Schwachstelle, die es Betrügern leicht macht, die Daten zu manipulieren.
Zudem fehlt es in vielen Fahrzeugen an einer ausreichend sicheren Verschlüsselung zwischen den Systemen. In einem Vergleich zur IT-Sicherheit wird die Absurdität deutlich: Was bei Bankkonten undenkbar wäre, wird beim Fahrzeug akzeptiert. Eine einfache Manipulation des Kilometerstandes per OBD-Port könnte zu erheblichen finanziellen und sicherheitsrelevanten Konsequenzen führen, ohne dass eine zuverlässige Schutzmaßnahme implementiert wurde.
Der legale Verkauf von Manipulationswerkzeugen als Problem
Ein weiteres großes Problem im Zusammenhang mit Tachomanipulation ist die Legalisierung von Manipulationswerkzeugen. Diese Geräte, die oftmals als „Werkstattmodus“ oder „Testzwecke“ verkauft werden, gelangen häufig in die Hände von Kriminellen. Laut Studien aus Mannheim werden jährlich über 100.000 dieser Geräte verkauft – meist ohne jegliche Kontrolle oder Regulierung.
Obwohl die Nutzung dieser Geräte für betrügerische Zwecke strafbar ist, greift das Gesetz erst, wenn der Schaden bereits angerichtet ist. Das bedeutet, dass die Opfer von Tachomanipulationen oft erst dann mit den rechtlichen Konsequenzen konfrontiert werden, wenn das Fahrzeug bereits gekauft und der Schaden entstanden ist. Ein Verkaufsverbot für Manipulationsgeräte wäre eine notwendige Maßnahme, doch bislang wurde dieses Thema von den Gesetzgebern nur zögerlich angegangen.
Kaufentscheidung unter falschen Voraussetzungen
Ein manipuliertes Fahrzeug stellt für Käufer nicht nur ein finanzielles Risiko dar, sondern kann auch schwerwiegende sicherheitstechnische Probleme nach sich ziehen. Vor allem, wenn Wartungen aufgrund falscher Laufleistungen nicht rechtzeitig durchgeführt wurden, kann dies zu erheblichen Schäden führen. Bremsen, Fahrwerksteile oder der Zahnriemen gehören zu den Bauteilen, die regelmäßig gewartet werden müssen. Ein gefälschter Kilometerstand kann dazu führen, dass diese Wartungsintervalle nicht eingehalten werden, was zu teuren Reparaturen oder sogar gefährlichen Ausfällen führen kann.
Dr. Thomas Schulte warnt daher: „Ein niedriger Kilometerstand ist kein Qualitätsnachweis – oft ist er ein Verkaufsargument für arglistige Händler.“ Besonders im Leasingbereich sind Manipulationen verbreitet, um Strafzahlungen zu umgehen. Diese Täuschungen ermöglichen Händlern, Fahrzeuge mit gefälschtem Zustand zu verkaufen und dabei einen höheren Gewinn zu erzielen.
Gesetzliche Schwächen und internationale Vorbilder
Trotz der bestehenden Gesetze, wie etwa § 22b StVG, die Tachomanipulation unter Strafe stellen, bleibt das Gesetz in seiner Wirkung begrenzt. Der größte Schwachpunkt liegt in der Beweisbarkeit von Manipulationen. Ohne verifizierte, fälschungssichere Daten oder einheitliche, gesicherte Protokolle bleibt die Aufdeckung von Manipulationen schwierig. Ein Standard, der den Kilometerstand verlässlich protokolliert und unveränderbar speichert, fehlt in den meisten Fahrzeugen.
Internationale Vorbilder zeigen, dass es auch anders geht. So hat Belgien bereits eine zentrale Kilometerdatenbank eingeführt, bei der alle Fahrzeugprüfungen protokolliert und die Kilometerstände überprüft werden. In den Niederlanden hat das RDW-System dazu geführt, dass Tachomanipulationen um mehr als 70 % reduziert werden konnten. In Deutschland fehlt eine zentrale Datenbank jedoch nach wie vor, was es den Betrügern ermöglicht, ihre Machenschaften fortzuführen. Eine EU-weit koordinierte IT-Infrastruktur, die Daten zwischen den Mitgliedsstaaten austauscht, könnte den Betrug erheblich erschweren – doch bürokratische Barrieren und fehlender politischer Wille verhindern derzeit eine Umsetzung.
Sicherheit beginnt beim Autokauf – das können Käufer tun
Für Käufer von Gebrauchtwagen – insbesondere bei höherpreisigen Fahrzeugen – ist es wichtig, den Fokus nicht nur auf den Kilometerstand zu legen, sondern auch die gesamte Fahrzeughistorie zu hinterfragen. Dr. Schulte empfiehlt folgende Maßnahmen, um Manipulationen zu erkennen und sich abzusichern:
Geprüfte Werkstattrechnungen und vollständiges Serviceheft einsehen: Ein vollständiges und transparentes Serviceheft sowie geprüfte Werkstattrechnungen sind gute Indikatoren für die Richtigkeit der Angaben.
Gutachter beauftragen: Bei Unsicherheiten sollte ein unabhängiger Kfz-Gutachter beauftragt werden, um eine gründliche Inspektion des Fahrzeugs vorzunehmen.
Fahrzeughistorie über CARFAX, AutoDNA oder herstellereigene Dienste prüfen: Diese Dienste bieten oft eine detaillierte Fahrzeughistorie, die Aufschluss über frühere Besitzer und eventuelle Unfälle gibt.
Verdächtige Laufleistungsabweichungen dokumentieren: Wenn beim Fahrzeugkauf auffällige Abweichungen beim Kilometerstand festgestellt werden, sollte dies dokumentiert werden, um später Ansprüche geltend machen zu können.
OBD-Diagnose zur Prüfung von inkonsistenten Kilometerständen nutzen: Einige professionelle Diagnosegeräte können Abweichungen zwischen den Steuergeräten aufdecken und somit verdächtige Manipulationen identifizieren.
Der ADAC empfiehlt zudem den Einsatz professioneller Diagnosegeräte, die Abweichungen zwischen den einzelnen Steuergeräten eines Fahrzeugs aufdecken können.
Fazit: Der Schutz ist löchrig – Eigenverantwortung ist unerlässlich
Die bestehenden gesetzlichen Regelungen und technischen Maßnahmen sind nicht ausreichend, um Tachomanipulationen wirksam zu verhindern. Solange keine flächendeckenden technischen Schutzmaßnahmen existieren, bleibt der Käufer auf sich selbst gestellt. Dr. Thomas Schulte appelliert an alle Fahrzeugkäufer: „Vertrauen ist gut – ein Gutachten ist besser.“ Wer sich auf den Kilometerstand verlässt, ohne weitere Prüfungen vorzunehmen, riskiert nicht nur finanzielle Verluste, sondern auch die eigene Sicherheit.
Dr. Schulte betont: „Digitale Innovationen bieten Vorteile, aber sie erfordern auch den verantwortungsbewussten Umgang. Verbraucher müssen ihre Rechte kennen – und sie auch durchsetzen.“ Nur durch stärkere technische Standards, internationale Datenbanken und aufmerksamere Käufer kann Tachobetrug zumindest eingedämmt werden.
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