Völkermordfall Gaza - Legt ihr's nicht aus, so legt was unter

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Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat am 24. Mai 2024 unter anderem angeordnet:

"Der Staat Israel wird ... sofort seine Militäroffensive und jede andere Handlung im Bezirk Rafah, die der Palästinensischen Gruppe in Gaza Lebensbedingungen auferlegen könnte, die ihre physische Zerstörung im Ganzen oder in Teilen herbeiführen könnten, unterbrechen".

Im  Original in englischer Sprache:

"The State of Israel shall ... immediately halt its military offensive, and any other action in the Rafah Governorate, which may inflict on the Palestinian group in Gaza conditions of life that could bring about its physical destruction in whole or in part".

Versuche, den Inhalt dieser Anordnung zu verfälschen und abzuschwächen, müssen scheitern:

Die USA ließen durch ihren Vertreter im UN-Sicherheitsrat am 29.05.2024 vortragen, die Anordnung gebe nichts anderes als ihre eigene Position wieder, dass Israel "eine größere Militäroperation im Zentrum Rafahs" vermeiden müsse, "die eine große Anzahl von Zivilisten gefährden würde" ("avoid a major military operation in the heart of Rafah that would put huge numbers of civilians at risk"). 

Dies widerspricht jedoch dem Wortlaut der Anordnung, wonach Israel "seine" ("its") Operation, eine bereits begonnene Handlung, sofort beenden ("immediately halt") muss, nicht aber eine künftige Handlung vermeiden soll.

Auch die "Interpretation" einer Minderheit von drei Richtern, welche der Anordnung einen eingeschränkten Inhalt geben will, trägt nicht:

So schreibt die ugandische Richterin Sebutinde in ihrer abweichenden Meinung, die Anordnung schränke Israels Militäroperation nur "teilweise" ("partially") ein, nämlich nur insoweit, als sie "Rechte unter der Völkermordkonvention berührt" ("to the extent it implicates rights under the Genocide Convention"). Ebenso führt der rumänische Richter Aurescu in seiner gesonderten Erklärung aus, der einschränkende Teil der Anordnung  ("starting with 'which may inflict'") beziehe sich nicht nur auf "jede andere Handlung" (“any other action”), sondern auch auf die Militäroffensive in Rafah, d.h., auch die Militäroffensive in Rafah müsse nur insoweit ("to the extent") unterbrochen oder beendet werden, als sie der Palästinensischen Gruppe in Gaza die zu vermeidenden "Lebensbedingungen" auferlegen könnte ("to the extent that it may inflict on the Palestinian group in Gaza conditions of life that could bring about its physical destruction in whole or in part”). Der israelische Ad-hoc-Richter Barak schreibt gleichfalls in seiner abweichenden Meinung, die Anordnung fordere von Israel lediglich, seine Militäroffensive im Bezirk Rafah "insoweit" zu stoppen, "als es notwendig ist, Israels Verpflichtungen unter der Völkermordkonvention zu erfüllen" ("only in so far as is necessary to comply with Israel’s obligations under the Genocide Convention"). 

Jedoch ist auch die Aufteilung der gegenwärtigen Militäroffensive in einen zulässigen und einen unzulässigen, zu beendenden Teil, vom Wortlaut der Anordnung nicht gedeckt:

Würde man die Einschränkung entsprechend ihrem Wortlaut auf die "Militäroperation" anwenden, würde die Anordnung lauten:

"Der Staat Israel wird ... sofort seine Militäroffensive, die der Palästinensischen Gruppe in Gaza Lebensbedingungen auferlegen könnte, die ihre physische Zerstörung im Ganzen oder in Teilen herbeiführen könnten, unterbrechen".

Die Einschränkung wäre somit keine Einschränkung mehr, sondern eine Feststellung, nämlich, dass die Militäroffensive im Ganzen entsprechende Lebensbedingungen auferlegen könnte. Von einer Aufteilung der Militäroffensive in Rafah in einen zulässigen und einen unzulässigen Teil  kann daher keine Rede sein.




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