Kündigung Krankheit Probezeit Entgeltfortzahlung

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Es wird schnell geschossen

Es ist ein vielbeobachteter Reflex: Eine Mitarbeiterin, die sich noch in der Probezeit  befindet, erkrankt arbeitsunfähig. Dies zeigt sie morgens rechtzeitig per Telefon der Personalabteilung an; es sei etwas komplizierter, sagt sie, sie werde wohl noch operiert, es könne ca. 4 bis 6 Wochen dauern, bis sie wiederkommt.

Das Telefonat ist noch nicht ganz beendet, da wird schon die Kündigung in der Probezeit geschrieben, die noch am selben Tag zur Post geht. Und mit Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Wochen stellt der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung ein.

Doch plötzlich, man hat als Arbeitgeber die Sache schon längst vergessen, kommt ein Aufforderungsschreiben der Mitarbeiterin, Entgeltfortzahlung auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus bis zur Sechs-Wochen-Grenze zu leisten, und es kommt auch noch ein Schreiben der Krankenkasse, der Arbeitgeber möge doch bitte das an die Mitarbeiterin gezahlte Krankengeld für die Zeit vom Ende des Arbeitsverhältnisses bis zur Sechs-Wochen-Grenze erstatten.

§ 8 EFZG ist offenbar nicht allgemein bekannt

Noch in einem Gütetermin im Oktober 2021 vertrat eine Kammer des Arbeitsgerichts Bonn in einer solchen Sache die Auffassung, mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses ende auch die Pflicht zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Nein, das stimmt nicht immer.

Der § 8 EFZG ist eine praktisch ziemlich relevante Norm, aber offenbar ist ihre Existenz nicht allgemein bekannt.

§ 8 Abs. 1 S. 1 EFZG lautet:

          Der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wird nicht dadurch berührt, dass der
          Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt.

§ 8 Abs. 2 EFZG regelt:

          Endet das Arbeitsverhältnis

               a)   vor Ablauf der in § 3 Abs. 1 … bezeichneten Zeit nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit,
                     ohne dass es einer Kündigung bedarf, oder

               b)   infolge einer Kündigung aus anderen als den in Absatz 1 bezeichneten Gründen,

          so endet der Anspruch (auf Entgeltfortzahlung) mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses.

Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 8 EFZG

Damit also ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus entsteht, muss als erstes eine Arbeitsunfähigkeit des gekündigten Mitarbeiters über das Ende hinaus vorliegen, was dieser nachweisen muss.

Als zweites muss die Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden sein. Aus Abs. 2 ergibt sich, dass eine Kündigung aus einem anderen Grund den Anspruch mit Ende des Arbeitsverhältnisses entfallen lässt.

Aber man wollte doch sowieso kündigen

Der Arbeitgeber schreibt dem Anwalt der Arbeitnehmerin und der Krankenkasse deshalb: „Wir wollten der sowieso kündigen, die war nämlich total schlecht und hat massiv den Betriebsfrieden gestört; die ist uns mit ihrer Krankheit zuvorgekommen, wir haben ihr also gar nicht wegen der Krankheit gekündigt und zahlen deshalb nichts“.

Da kann natürlich jeder kommen, und gerade die Richter lassen sich ungerne solch ungewaschene Bären aufbinden.

Gerichte können noch keine Gedanken lesen und solche „Motive“ deshalb nicht überprüfen. Sie müssen schauen, ob es irgendwelche objektiven Anhaltspunkte dafür gibt, dass Krankheit und Kündigung eventuell doch zusammenhängen.

Zeitpunkt und Anlass der Kündigung

Ein solcher Anhaltspunkt ist der Zeitpunkt der Kündigungserklärung.

Besteht nämlich ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Beginn einer Arbeitsunfähigkeit und einer Kündigung, wird eine Anlasskündigung i. S. d. § 8 EFZG vermutet.

Der Arbeitgeber muss dann beweisen, dass eine Anlasskündigung nicht vorliegt. Hierzu bedarf es eines entsprechenden, detaillierten (substantiierten) Sachvortrags und eines Beweisantritts.

Dabei muss man bedenken, dass selbst dann, wenn der Arbeitgebers im Vorfeld den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in Frage gestellt hat (es gab schon mal ein Kritikgespräch oder Ähnliches), es doch die eingetretene Erkrankung gewesen sein kann, die erst den entscheidenden Anstoß zum Ausspruch der Kündigung gab. Es zählt also weniger das Motiv oder der wirkliche Grund, was man ja kaum überprüfen kann, sondern der Anlass, der zeitlich festgemacht wird.

Arbeitnehmer und Krankenkassen haben es also relativ leicht, Entgeltfortzahlung bzw. Krankengelderstattung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus zu realisieren, wenn „während einer Erkrankung“ gekündigt wird.

Jeder zeitliche Zusammenhang oder ein enger?

Doch wie eng muss der Zusammenhang sein? Hierbei scheiden sich ein wenig die Geister: Manche Richter erkennen Krankheit als Anlass nur dann an, wenn mehr oder weniger unmittelbar nach der Krankmeldung gekündigt wird, also ein enger zeitlicher Zusammenhang vorliegt, andere sehen den Zusammenhang immer schon dann, wenn während der Arbeitsunfähigkeit gekündigt wird. Die zweite Meinung ist wohl die richtige, da das Gesetz nur auf den Anlass abstellt und der kann ja auch noch drei Wochen nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorliegen.

Es gibt sogar Fälle, da sind die Arbeitgeber noch schneller: der Arbeitnehmer kündigt während der Probezeit an, sich nächste Woche einer Operation unterziehen zu müssen und anschließend ca. 4 Wochen auszufallen, der Arbeitgeber kündigt sofort. Auch hier ist die Arbeitsunfähigkeit Anlass der Kündigung mit der Folge, dass mit Beginn der Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung für bis zu 6 Wochen zu leisten ist.

Zahlung selbst bei Kündigung in den ersten 4 Wochen

Selbst wenn der Arbeitgeber in den ersten 4 Wochen des Arbeitsverhältnisses wegen Arbeitsunfähigkeit kündigt und zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Entgeltfortzahlungsanspruch entstanden war, vgl. § 3 Abs. 3 EFZG, entsteht der Anspruch noch nach Ende des Arbeitsverhältnisses.

Beispiel: Bauarbeiter B fängt am 1.7. an zu arbeiten, er erkrankt am 10.7., der Arbeitgeber kündigt am selben Tag mit der tariflichen Kündigungsfrist von einem Tag in der Probezeit. Die Krankenkasse zahlt Krankengeld bis zum 28.7. (Wartefrist), und vom 29.07. bis zum 20.08. besteht ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 8 EFZG (wenn der Arbeitnehmer so lange krank bleibt).

Vermeidung der Zahlungspflicht?

Wann kommt man als Arbeitgeber eventuell um die Fortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses herum?

Befristung

Das Arbeitsverhältnis war für die Dauer der Probezeit befristet, s. oben § 8 Abs. 2 bei a). Mit Ablauf der Befristung endet dann auch die Pflicht zur Entgeltfortzahlung.

Keine Kenntnis von Krankheit

Die (drohende) Krankheit kann nur dann Anlass für eine Kündigung gewesen sein, wenn der Arbeitgeber hiervon wusste. Hier müsste man schauen, bei wem der Mitarbeiter sich krank gemeldet hat. Es reicht nicht, dass irgendein Kollege im Betrieb wusste, dass die Mitarbeiterin krankheitsbedingt nicht kommen würde. Hier muss man den Einzelfall genau untersuchen.

Weiß der Arbeitgeber nicht genau, weshalb die Mitarbeiterin fehlt, wartet er aber die Frist von drei Tagen nicht ab, den Nachweis der Erkrankung (gelber Schein) beizubringen, wird der Arbeitgeber so behandelt, als wusste er von der Erkrankung.

Erst, wenn nach dem vierten Tag ein Nachweis über die Erkrankung nicht vorliegt, darf der Arbeitgeber von einem unentschuldigten Fehlen ausgehen und deshalb kündigen (hat dann also ein anderes Motiv), so das Bundesarbeitsgericht. Es besteht bei unentschuldigtem Fehlen auch gar kein Grund sofort zu künden; es entstehen keine Lohnansprüche des Arbeitnehmers. Stellt sich aber im Nachhinein heraus, der Arbeitnehmer war in Wirklichkeit arbeitsunfähig, war man als Arbeitgeber etwas vorschnell.

Anderes Motiv

Der Arbeitgeber hatte ein anderes Motiv und der Anlass war ein anderer, § 8 Abs. 2 bei b) EFZG. Dies nachzuweisen ist allerdings schwierig, wenn während der Krankheit gekündigt wurde. Hier bedarf es schon mehr als nur der Behauptung, „die hätten wir sowieso gekündigt, die hat genervt“. Die Gerichte nehmen an, dass zu einer möglichen Schlechtleistung jetzt auch noch eine Krankheit kam, die das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Krankheit muss nämlich nicht die einzige Ursache gewesen sein, sondern nur der Anlass.

Ein anderer Anlass mag vorliegen, wenn die Mitarbeiterin die Arbeitsunfähigkeit nicht schon morgens, sondern schuldhaft zu spät, zB. erst nachmittags oder am nächsten Tag angezeigt hätte oder sie die Arbeitsunfähigkeit mittels gelben Scheins erst am fünften Tag nachgewiesen hätte.

Wurde vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit bereits die Betriebsratsanhörung eingeleitet, kann das den Arbeitgeber durchaus retten. Meist steht bei Probezeitkündigungen in der Anhörung aber nur drin, dass sich das Arbeitsverhältnis "nicht so entwickelt hat, wie erwartet“. Vielleicht sollte man bei Probezeitkündigungen doch noch einen Satz mehr schreiben.

Gibt es keinen Betriebsrat, braucht man andere Nachweise. Waren vor der Erkrankung bereits Prozesse eingeleitet, sollten diese sauber dokumentiert sein, zB. Protokolle von Kritikgesprächen und vor der Erkrankung eine Email vom Chef an die Personalabteilung „bitte bereiten Sie die Kündigung vor“ oder Ähnliches. Allein die Tatsache, dass es vorher Ärger gab, wird den Anschein nicht beseitigen können.

Glück

Mit etwas Glück hat man einem Mitarbeiter gekündigt, der die Vorschriften nicht kennt und der auch noch Mitglied bei einer Krankenkasse ist, die keine Lust hat, Erstattungsansprüche geltend zu machen. Einige Krankenkassen hingegen, und hier tut sich vor allem das eifrige „Team Krankengeld“ der Techniker hervor, wollen es allerdings wissen und klagen die Erstattung auch gerichtlich ein; zuständig sind die Arbeitsgerichte. Als Arbeitgeber sollte man daran denken, dass die Krankenkasse den gekündigten Mitarbeiter als Zeuge benennen kann.

Aber meine Erfahrung ist, dass man sich auch mit Krankenkassen vergleichen kann (§ 12 SGB V gilt hier nicht); denn die Krankenkassen – ohne den Herrschaften zu nahe treten zu wollen – sind erstinstanzlich meist nicht anwaltlich vertreten, und die bei Gericht auftretenden Personen (oft nur Sachbearbeiter) schließen sich mangels Akten- und Rechtskenntnis gerne gerichtlichen Vorschlägen an.

Oder man gelangt im Klagefall an einen Richter, der nur einen engen zeitlichen Zusammenhang als Anhaltspunkt akzeptiert; wer dann nicht schon am Tag der Krankmeldung gekündigt hat, sondern vielleicht eine Woche später, kann davonkommen.

Nur einmal zahlen

Der Arbeitgeber muss natürlich nur einmal bezahlen. Meist zahlt die Krankenkasse ab Ende des Arbeitsverhältnisses Krankengeld an die ausgeschiedenen Mitarbeiter.

Der Entgeltfortzahlungsanspruch des Mitarbeiters geht in Höhe des Krankengeldes auf die Krankenkasse über, § 115 Abs. 1 SGB X. In dieser Höhe kann der Mitarbeiter Entgeltfortzahlung nicht geltend machen, ihm steht nur die Differenz zwischen Krankengeld und Lohn zu.

Wenn also die Mitarbeiterin den Anspruch geltend macht, sollte man als Arbeitgeber die Sache hinauszögern und erstmal einen Nachweis verlangen, dass sie über das Ende des Arbeitsverhältnisses noch arbeitsunfähig war (nach Ablauf der Kündigungsfrist werden ja meist keine Krankenscheine mehr eingereicht) und dass die Krankenkasse kein Krankengeld gezahlt hat. Denn es dauert oft länger, bis sich die Krankenkasse meldet und mitteilt, dass man nicht mehr an den Mitarbeiter zahlen dürfe, da der Anspruch in Höhe X auf die Krankenkasse übergegangen ist; und wer da schon an den Arbeitnehmer bezahlt hat, zahlt doppelt; eine Erstattung vom Arbeitnehmer zu erhalten, ist meist aussichtslos.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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