§ 102 StaRUG: Zur Krisenwarnpflicht eines Steuerberaters

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Bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 der Insolvenzordnung und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist, § 102 Hinweis- und Warnpflichten nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz - StaRUG).

Die Hinweispflichten der jeweiligen Berufsgruppen sind unterschiedlich. Maßgeblich für den Wirtschaftsprüfer sind der IDW-Standard IDW S 7 (03.2021) und für den Steuerberater die Hinweise der BStBK (09.2021) („Hinweise zur Verlautbarung der Bundessteuerberaterkammer zu den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen in Bezug auf Gegebenheiten, die der Annahme der Unternehmensfortführung entgegenstehen“).

Wenn ein Steuerberater eine entsprechende Hinweispflicht auf die Insolvenzreife verletzt, sind Schadensersatzansprüche zunächst des Auftraggebers denkbar. Es käme dann darauf an, wie der Wert der Insolvenzmasse zu bemessen wäre, wenn eine rechtzeitige und zutreffende Warnung erfolgt wäre. Vorstände und Geschäftsführer wie auch Geschäftsleiter sind persönlich in den Schutzbereich des Mandatsvertrages einbezogen. Sie können ihre Forderungen an den Insolvenzverwalter abtreten oder Regress beim Berater nehmen. Der insoweit mögliche Schaden stellt einen Gesamtschaden nach § 92 InsO dar und kann nur durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Die Gläubiger sind insoweit nur quotal geschädigt.

Neben dem Gesamtschaden ist ein Einzelschaden möglich, wenn der Gläubiger mit dem insolvenzreife Unternehmen einen täuschungsbedingten Vertrag abschließt und insoweit als Neugläubiger individuelle Ansprüche geltend machen kann, BGH-Urteil vom 13.12.2018  IX ZR 66/18, LG Würzburg. Einen derartigen Individualschaden kann der Insolvenzverwalter nicht geltend machen, sondern eben nur den minimalen Quotenschaden.

Zur Krisenwarnpflicht des Steuerberaters enthalten die Hinweise zur Verlautbarung der Bundessteuerberaterkammer zu den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen in Bezug auf Gegebenheiten, die der Annahme der Unternehmensfortführung entgegenstehen, beschlossen am 7. September 2021, einige Änderungen.

Die BGH-Rechtsprechung verlangt für den Fall, dass die Liquiditätslücke innerhalb des 3-Wochen-Zeitraums nicht vollständig geschlossen werden kann, einen Nachweis hinsichtlich der zu widerlegenden Vermutung bzw. der Dauerhaftigkeit der Liquiditätslücke in „überschaubarer Zeit“. Der Zeitraum, in dem die Liquiditätslücke geschlossen sein muss, kann bis zu 6 Monate betragen, Hinweise zur Verlautbarung der Bundessteuerberaterkammer zu den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen in Bezug auf Gegebenheiten, die der Annahme der Unternehmensfortführung entgegenstehen, aaO, Randziffer 27.

Die Definition der drohenden Zahlungsunfähigkeit besteht darin, dass die Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher ist als deren Vermeidung. Der Zeitraum, in welchem gewährleistet sein muss, dass die bestehenden Zahlungsverpflichtungen erfüllt werden können, ist vom Gesetzgeber „in aller Regel“ mit einem Prognosezeitraum von 24 Monaten vorgegeben (§ 18 Abs. 2 Satz 2 InsO).  Die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im Prognosezeitraum hat anhand eines Finanzplans zu erfolgen, aaO, Randziffer 30.

Die Fortführungsfähigkeit betrifft die wirtschaftliche Lebensfähigkeit und stellt in erster Linie eine Zahlungsfähigkeitsprognose dar, die aus einer integrierten Erfolgs-, Vermögens- und Liquiditätsplanung abzuleiten ist, sie ist rein liquiditätsorientiert. Der Planungshorizont für die Ermittlung der Zahlungsfähigkeit beträgt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO zwölf Monate, beginnend mit dem Stichtag der Überprüfung. Die Fortführungsfähigkeit ist gegeben, wenn die geplanten Einnahmen die geplanten Ausgaben mit überwiegender Wahrscheinlichkeit decken, aaO, Randziffer 37.

Statt der zwölf Monate ab dem Stichtag belief sich die Frist vormals auf das laufende und zukünftige Geschäftsjahr. 

Liegen die Voraussetzungen (einer handelsrechtlichen Fortführungsprognose) nicht vor und werden die Gegebenheiten nicht durch entgegenwirkende Tatsachen überlagert (z. B. ausreichende stille Reserven, verbindliche Kapitalzusagen seitens der Gesellschafter), hat die Geschäftsführung eingehende Untersuchungen anhand qualifizierter Planungsunterlagen, insbesondere anhand einer integrierten Erfolgs-, Vermögens- und Liquiditätsplanung, durchzuführen um festzustellen, ob weiterhin (mindestens 12 Monate) von einer Unternehmensfortführung auszugehen ist, aaO, Randziffer 45.

Nach der BGH-Rechtsprechung können auch bei einem inhaltlich richtigen und somit mangelfreien erstellten Jahresabschluss offenkundige Anhaltspunkte für eine Hinweispflicht bestehen. Solche offenkundigen Anhaltspunkte liegen nach Ansicht des BGH etwa dann vor, wenn in aufeinanderfolgenden Jahresabschlüssen wiederholt nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge ausgewiesen werden oder die bilanziell überschuldete Gesellschaft über keine stillen Reserven verfügt. Maßgeblich seien nur die vom Steuerberater für den zu erstellenden Jahresabschluss zu prüfenden Umstände, aaO, Randziffer 119.

Fazit: Nach der Gesetzesbegründung handelt es sich bei § 102 StaRUG um eine (nur) klarstellende Regelung der Rechtsprechung des BGH und es sollen keine neuen Pflichten und Haftungstatbestände geschaffen werden (SanInsFoG-RegE, BR-Drs. 619/20, S. 217 f.). Deshalb ist § 102 StaRUG im Sinne der BGH-Rechtsprechung auszulegen.


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