„2 Anwälte und 3 Meinungen“ – gibt es das auch im Familienrecht?

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Sie haben ein familienrechtliches Anliegen, aber inzwischen das Gefühl, von Pontius zu Pilatus zu rennen und entweder von keinem Anwalt Hilfe zu bekommen, oder sich in einem Dickicht vollkommen gegensätzlicher Ratschläge überhaupt nicht mehr zurechtzufinden? Es könnte damit zu tun haben, dass das bestehende Recht nur aufgreifen kann, was das Leben vorgibt. Das bedeutet, dass alle denkbaren Probleme niemals komplett vom Gesetzeswerk erfasst werden können, und Rechtsanwälte ein Problem mit den nur vorhandenen Regularien auf verschiedene Weise zu lösen versuchen. Da ist es eigentlich gut, wenn man eine Auswahl an Vorschlägen bekommt – auch wenn diese manchmal so kompliziert sind, dass man gefühlt bereits drei Meinungen kennt und erst bei zwei Kanzleien war. Auf welchen Rat Sie auf dem Weg zu Ihrer Scheidung oder Unterhaltsberechnung dabei am besten hören, erfahren Sie hier.

Warum gibt es im Gesetz und Recht nicht „richtig“ und „falsch“?

Wenn Mandanten mit einem Rechtsproblem zu kämpfen haben, erwarten sie, dass sie darüber informiert werden, was „ihr Recht“ ist. Es besteht der Glaube, es gäbe nur das einzig wahre Recht. Es müsse nur „gefunden“ werden. Es sei deshalb Aufgabe des Anwalts, den Mandanten über dieses einzig wahre Recht zu beraten. Schließlich brauche der Anwalt nur im Gesetzestext nachzulesen oder die einschlägige Rechtsprechung heranzuziehen, um zu wissen, was richtig und was falsch ist. Wenn dies tatsächlich so einfach wäre, bräuchten wir keine Gerichte, die im Streitfall eine Entscheidung treffen müssen. Also muss der Ansatz woanders liegen.

Beispiel 1: Trennungsjahr unter dem selben Dach

Wünschen Sie die Scheidung, müssen Sie die Trennung von Tisch und Bett vollziehen. Ist es Ihnen nicht möglich, aus der ehelichen Wohnung auszuziehen, kommt auch die Trennung innerhalb der Wohnung in Betracht. Im Gesetz finden Sie dazu nichts. Bestreitet der Partner die Trennung innerhalb der Wohnung, müssen Sie in Ihrem Scheidungsantrag die Gegebenheiten vortragen, aus denen sich die Trennung innerhalb der Wohnung nachvollziehen lässt. Ihr Sachvortrag bestimmt, ob Ihr Recht richtig oder falsch ist. Die Gerichte haben vielfach entschieden, welche Kriterien dafür maßgebend sind. Eine pauschale Regelung oder Beurteilung darüber, ob die Trennung eingehalten wurde, ist nicht möglich.

Beispiel 2: Welche Abzüge sind bei einer Unterhaltsberechnung erlaubt?

Sie wünschen eine Unterhaltsberechnung. Deren Grundlage ist das bereinigte Nettoeinkommen des unterhaltspflichtigen Partners. Um dieses zu bemessen, sind neben den Einnahmen auch bestimmte Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. Ob eine Verbindlichkeit abgezogen werden darf, sich der Unterhalt durch die Summe der Abzüge also verringert, hängt von der Begründung ab. Sie müssen damit rechnen, dass zwei Anwälte die Gegebenheiten unterschiedlich beurteilen, insbesondere dann, wenn es möglicherweise unterschiedliche Rechtsprechung dazu gibt. In diesem Fall empfiehlt sich, sich demjenigen Anwalt anzuvertrauen, der die überzeugendere und risikoärmere Begründung liefert und Sie nicht kompromisslos veranlasst, sich auf eine rechtliche Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang einzulassen.

Das Problem beginnt nicht erst beim Finden einer Lösung…

…sondern oft schon bei der unterschiedlichen Betrachtung des Problems. Klingt verworren? Auch hier wieder ein Beispiel.

Beispiel: Bezahlung von Beautybehandlungen weiter im Unterhalt enthalten?

Sie möchten wissen, wie viel Unterhalt Sie nach Ihrer Trennung beanspruchen können. Trennungsunterhalt berechnet sich u.a. nach Ihren ehelichen Lebensverhältnissen. Allein dadurch ergibt sich viel Interpretationsspielraum. Hatten Sie sich in der Ehe wöchentliche Massagetermine gegönnt, könnten Sie beanspruchen, dass in den Unterhaltszahlungen auch der Kostenaufwand für die Massage enthalten ist. Ihr Ehepartner wird wahrscheinlich bestreiten, dass die wöchentlichen Massagetermin für Ihren Lebensstandard in der Ehe prägend waren.

Fragen Sie Anwalt Nr. 1, werden Sie vielleicht hören, dass der Massagetermin zum Lebensstandard gehört, während Anwalt Nr. 2 vorsichtig äußert, dass Sie allein wegen der Trennung und der damit verbundenen finanziellen Einschränkungen nicht mehr erwarten dürfen, dass Ihre Massagetermine auch künftig vom Ex-Partner finanziert werden müssen. Schließen Sie sich der Meinung von Anwalt Nr. 1 an, riskieren Sie Streit und die Zurückweisung Ihres Anspruchs im Unterhaltsstreit, während Sie im Hinblick auf die Meinung von Anwalt Nr. 2 möglicherweise darauf verzichten, einen vielleicht durchaus begründeten Anspruch geltend zu machen.

Beispiel: Firma des Partners zerschlagen oder für sich arbeiten lassen

Ihr Ehepartner ist unternehmerisch tätig, bei der Scheidung fordern Sie Zugewinnausgleich. Die Summe übersteigt jedoch das, was in reinem Geld vorhanden ist; das größere Vermögen liegt in immobilen Werten. Vertrauen Sie der Empfehlung von Anwalt Nr. 1, dass Sie den Zugewinnausgleich bedingungslos durchsetzen sollten, riskieren Sie, dass der Ehegatte sein Unternehmen möglicherweise verkaufen muss, damit er Ihren Ausgleichsanspruch bezahlen kann. Sie riskieren damit, von den Firmenerlösen in puncto Unterhalt nicht mehr zehren zu können.

Vertrauen Sie der Meinung von Anwalt Nr. 2 und verständigen sich auf einen modifizierten Zugewinnausgleich, bei dem Ihr Ausgleichsanspruch in Raten gezahlt wird oder Sie ersatzweise die Übertragung eines anderen Vermögenswertes akzeptieren, vermeiden Sie eine rechtliche Auseinandersetzung, auch wenn Sie in diesem Fall vielleicht eine hohe Kompromissbereitschaft an den Tag legen müssen. Beide Meinungen sind unterschiedlich und lassen sich weder bedingungslos als richtig noch als falsch beurteilen. Letztlich entscheiden Sie selbst.

Auch die Gegenpartei hat ihre Meinung

Dass die Vorstellung von „richtig“ oder „falsch“ nicht sachgerecht ist, ergibt sich im Übrigen daraus, dass in einer streitigen Rechtsangelegenheit auch die Gegenpartei eine eigene Vorstellung davon hat, was „ihr Recht“ ist. Lässt sie sich gleichfalls anwaltlich beraten, erwartet auch diese von ihrem Anwalt die Aussage, was richtig und was falsch ist. Da Anwälte Interessenvertreter ihrer Mandanten sind, ergeben sich daraus meist zwangsläufig bereits zwei unterschiedliche und oft gegensätzliche Meinungen.

Außergerichtliche Lösungen anstreben

Auch wenn Sie der Auffassung sind und auch nach der Information und Beratung eines Anwalts glauben, im Recht zu sein, sollten Sie eine rechtliche Auseinandersetzung immer mit dem Ziel führen, eine vernünftige, angemessene und für beide Parteien wirtschaftlich vertretbare Regelung zu erreichen.

Dazu gehört im Regelfall immer, dass Sie selbst eine gewisse Kompromissbereitschaft an den Tag legen. Signalisieren Sie der Gegenpartei, dass Sie an einer solchen Regelung interessiert sind. Wurden Sie bislang von einem Rechtsanwalt beraten, der bedingungslos eine rechtliche Auseinandersetzung anstrebt, sollten Sie wirklich genau überlegen, ob Sie endgültig das Mandat erteilen.

Besser könnten Sie bei einem Anwalt aufgehoben sein, der Ihnen nicht nur aufzeigt, was für Ihre rechtliche Position spricht, sondern auch offen sagt, was nicht. In einer rechtlichen Beratung kommt es immer auf eine Abwägung an, auf der die Entscheidungsfindung erfolgt. Dazu ist es immer gut, wenn Sie offen und ehrlich beraten werden.

Beispiel: Alles vor Gericht klären oder davor

Sie möchten sich scheiden lassen. Anwalt Nr. 1 empfiehlt, den Scheidungsantrag zu stellen und ohne langwierige Verhandlungen sofort zu beantragen, dass auch der Zugewinnausgleich, das Umgangsrecht und der Ehegattenunterhalt gerichtlich verhandelt und vom Familiengericht abschließend entschieden werden. Hierbei ist klar, dass Sie sich auf eine sehr wahrscheinlich kostenträchtige, langwierige und emotional aufwühlende rechtliche Auseinandersetzung einlassen.

Konsultieren Sie Rechtsanwalt Nr. 2, werden Sie idealerweise hören, dass es eine viel bessere Option darstellt, wenn Sie die Regelung der Scheidungsfolgen außergerichtlich vornehmen und eine Scheidungsfolgenvereinbarung treffen. Mit der Scheidungsfolgenvereinbarung ermöglichen Sie die einvernehmliche Scheidung. Sie sparen auf diesem Wege viel Geld, Sie sparen viel Zeit und können emotional viel schneller das Ende Ihrer Beziehung verarbeiten.

Während Rechtsanwalt Nr. 1 mit dem streitig geführten Scheidungsverfahren viele anwaltliche Gebühren verdient, begnügt sich Rechtsanwalt Nr. 2 mit einem wesentlich geringeren Gebührenvolumen. Rechtsanwalt Nr. 2 müssen Sie zwar erst suchen und finden – womöglich haben Sie aber Glück, ihn zu treffen, wenn Sie das Kontaktformular unter diesem Artikel bemühen...

Alles in allem

Eigentlich ist es von Vorteil, wenn es in einer Rechtsangelegenheit zwei Meinungen gibt. Treffen Sie dann eine Entscheidung, erscheint Ihre Entscheidung deutlich begründeter, als wenn Sie sich gleich der ersten Meinung anvertraut hätten. Sie wissen dann genau, was Sie tun oder unterlassen. Letztlich ist es immer Ihre Entscheidung. Vertrauen Sie demjenigen Rechtsanwalt, bei dem Sie das Gefühl haben, dass Sie gut aufgehoben sind und glauben, dass Ihre Wünsche angemessen berücksichtigt werden. Befinden Sie sich in einer solchen Situation, schreiben Sie mir gern eine Nachricht, und wir sehen, was wir für Sie tun können!


Foto(s): iurFRIEND

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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