2012: Aufbruch in eine neue Insolvenzkultur

  • 4 Minuten Lesezeit

Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat auf dem 7. Deutschen Insolvenzrechtstag am 17. März 2010 eine neue Insolvenzkultur gefordert.
Sie hat die Voraussetzungen geschaffen durch das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Gesellschaften (ESUG), das zum 01.03.2012 in Kraft tritt.

I. Verbesserung der Sanierung von Gesellschaften durch das ESUG

1. Rezessionen fordern Reaktionen

Deutschland erlebte eine der schwersten Rezessionen seit Kriegsende. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Schäden für die Volkswirtschaft durch Insolvenzen auf geschätzt fast 50 Milliarden Euro. Traditionsunternehmen wie Arcandor, Quelle, Schiesser, Märklin und Rosenthal waren betroffen. Insgesamt haben knapp 33.000 Unternehmen Insolvenz angemeldet: -12 % mehr als im Jahr zuvor. Die Reform des Insolvenzrechts war und ist das wichtigste Vorhaben im Wirtschaftsrecht. Wirtschaftskrisen sind der Härtetest für das Insolvenz- und Sanierungsrecht und decken die Schwachstellen auf.

2. Das Hauptproblem: Sanierung erfordert frühzeitiges Handeln

Insolvenzanträge müssen rechtzeitiger gestellt werden, um die Chancen zur Sanierung zu verbessern. Dazu gibt es künftig ein neues Sanierungsverfahren, das einer Insolvenz vorgelagert ist (Schutzschirmverfahren).

3. Was dachte bisher die Öffentlichkeit von Insolvenz und der Insolvenzverwaltung?


Der Insolvenzverwalter galt bisher in der Öffentlichkeit als „Bestatter" und nicht als Lebens- oder Firmenretter. Eine Insolvenz gilt in der Öffentlichkeit noch immer als persönliches Versagen und vollständiges wirtschaftliches Scheitern - oft schwingt sogar noch unredliches Verhalten mit.
In der Öffentlichkeit wird das Insolvenzverfahren noch nicht als Instrument der Sanierung betrachtet. Jedes Unternehmen oder jeder Unternehmer muss auch nach einer Krise oder Insolvenz eine zweite Chance haben.

4. Wie liefen das Insolvenzplanverfahren und die Eigenverwaltung bisher in der Praxis?

Nur 2 Prozent der zahlungsunfähigen Unternehmen hatten die Möglichkeiten eines Insolvenzplanverfahrens und der Eigenverwaltung nach InsO (alt) genutzt.

5. Was waren die Folgen dieser Insolvenzkultur oder -mentalität?

  • Die Unternehmen stellten zu spät einen Insolvenzantrag
  • Die Unternehmer hatten Angst, dass ein Insolvenzantrag nicht zur Sanierung sondern zur Zerschlagung führt.  
  • Insolvente Unternehmer hatten Angst vor einem Insolvenzantrag, dass sie die Kontrolle über das eigene Unternehmen an den Insolvenzverwalter verlieren.

6. Auch nach der Reform gilt: Nicht jedes Unternehmen kann gerettet werden.

Ohne Markt, Masse, neues Kapital und positiver Fortführungsprognose und Fortführungswillen nützen auch das beste Sanierungskonzept und die besten Vorschriften nichts.

7. Stiefkind Eigenverwaltung

Weniger als 1 Prozent der eröffneten Unternehmensinsolvenzen wurden bis Ende 2011 in Eigenverwaltung verwaltet. Dahinter steckte bei vielen das Vorurteil, man würde bei der Eigenverwaltung den Schuldner zu seinem eigenen Gerichtsvollzieher machen. Es gab aber einige spektakuläre erfolgreiche Einzelfälle:
Babcock Borsig, Ihr Platz und Kirch haben unter Eigenverwaltung die Sanierung in kurzer Zeit geschafft.

8. Stärkung der Eigenverwaltung und Voraussetzungen

  • frühzeitiger Antrag
  • Fortführungskonzept
  • Kompetente Geschäftsführung mit einschlägigen Kenntnissen des Insolvenzrechts
  • durch das ESUG wurden die Voraussetzungen der Eigenverwaltung großzügiger formuliert
  • Gerichte sind verpflichtet, bei Antrag die Eigenverwaltung anzuordnen.
  • Gerichte müssen darauf hinweisen, wenn sie eine beantragte Eigenverwaltung ablehnen wollen.

9. Stärkung des Gläubigereinflusses auf die Verwalterbestellung

Erfolgreiche Sanierungen im Planverfahren gelingen besonders dann, wenn Einigkeit unter den Beteiligten über den Fahrplan besteht und sie Gewissheit haben, mit wem sie sich auf die Reise begeben. Die wesentlichen Gläubiger müssen daher zur Person des künftigen Insolvenzverwalters gehört werden.

10. Abbau von Hemmnissen im Sanierungsverfahren

Im Planverfahren sollten durch das ESUG Hemmnisse und Verzögerungen abgebaut werden.
Sinnvolle Lösungen sollen nicht an der Blockade Einzelner scheitern.
Rechtsmittel gegen die Planbestätigung wurden in der InsO (ESUG) moderat beschränkt.
So können einzelne Gläubiger, die sich durch den Plan schlechter gestellt sehen als im Falle der Liquidation, darauf verwiesen werden, dass sie ihre Belange außerhalb des Planbestätigungsverfahrens geltend machen können. Der Rechtsstreit behindert dann nicht mehr das Wirksamwerden des Plans. Außerdem soll die sofortige Beschwerde gegen die Planbestätigung nur dann zulässig sein, wenn der Beschwerdeführer seine verfahrensmäßigen Möglichkeiten gegen den Plan zuvor ausgeschöpft hat.

11. Debt equity swap

Der „debt equity swap" wird mit dem ESUG eingeführt.
Es ist die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital.
Durch den Wegfall von Verbindlichkeiten kann eine Überschuldung beseitigt werden.
Auch für Gläubiger ist die Umwandlung ihrer Forderungen in Anteile vorteilhaft: Sie erlangen Einfluss auf die Unternehmensgeschicke und werden an künftigen Erträgen beteiligt.

II. Geplante Reform der Verbraucherinsolvenz

Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen stieg um 3 Prozent auf über 100.000.
Im Mittelpunkt der zweiten Stufe der Reformarbeiten steht die Verbraucherinsolvenz.
Es soll die gütliche Einigung des Schuldners mit seinen Gläubigern gefördert werden.
Der vorgerichtliche Einigungsversuch soll gestärkt werden. Es soll die Möglichkeit geben,
die Zustimmung zur Einigung notfalls durch eine Entscheidung des Gerichts zu ersetzen. Überschuldete Verbraucher sollen nach einem Fehlstart möglichst schnell wieder auf die Beine kommen. Sie sollen sich schon bald wieder produktiv am Wirtschaftsleben beteiligen können. Deshalb soll die Zeit bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung von derzeit sechs auf drei Jahre halbiert werden. Dies wurde schon im Koalitionsvertrag festgelegt.

Bei den Änderungen sollen die Rechte der Gläubiger gewahrt und auch dafür gesorgt werden, dass die Haushalte der Länder nicht übermäßig belastet werden.
Eine Halbierung der Wohlverhaltensperiode senkt die Chance, dass die Gläubiger ihr Geld und die Staatskasse die gestundeten Verfahrenskosten bekommen.
Die Restschuldbefreiung soll an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft werden, etwa die Erfüllung einer Mindestbefriedigungsquote oder die Deckung der Verfahrenskosten.

Résumé

Das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Gesellschaften, das im März 2012 in Kraft tritt, ist meines Erachtens ein großer Schritt in die richtige Richtung. Hoffen wir auf eine nachhaltige erfolgreiche Umsetzung in der Praxis.
Die anstehende Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens wird mit Spannung erwartet. Insbesondere die Stärkung und Vereinfachung des Schulderegulierungsverfahrens ist zu wünschen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Hermann Kulzer M.B.A.