Fall "Emmely": rechtfertigt ein kleiner Diebstahl eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses?

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Kündigung eines Arbeitnehmers wegen eines Kleindiebstahls .
Der alte Fall des BAG 2 AZR 541/09 ist noch immer aktuell.

Stichpunkte: Fristlose Kündigung - Interessenabwägung - Abmahnung -

       
Ergebnis:  Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung aufgelöst. Der Arbeitgeber trägt die Kosten des Rechtsstreits.

1. Unwirksamkeit der Kündigung
Die außerordentliche Kündigung ist der oben benannten Entscheidung war unwirksam. 
Es fehlte an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.


2. Wichtiger Grund: Grundsatz
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (st. Rspr., Senat 26. März 2009 – 2 AZR 953/07 – Rdnr 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 – 2 AZR 386/05 – Rdnr. 19, BAGE 118, 104).
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 3. Wichtiger Grund: Strafbare Handlungen ua

Der vom Arbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise – unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens – als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.


 a) Strafbare Handlung = Vertrauensverlust

Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – ggf. strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (Senat 13. Dezember 2007 – 2 AZR 537/06 – Rn. 16, 17).

 b) Erheblichkeit der Pflichtverletzung

liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. 


    4. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände (auch im vorliegenden Fall) und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt.
Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG v. 28. Januar 2010 – 2 AZR 1008/08 – Rn. 26 mwN). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., BAG 19. April 2007 – 2 AZR 180/06 – Rn. 45).
Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (BAG19. April 2007 – 2 AZR 180/06 – Rdnr. 47 f) 

Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren (BAG 12. Januar 2006 – 2 AZR 179/05 – Rn. 56 mwN). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG 23. Juni 2009 – 2 AZR 103/08 – Rdnr. 33).

Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers ( BAG 23. Juni 2009 – 2 AZR 103/08 – Rdnr. 33. 


Hermann Kulzer MBA
Wirtschaftsmediator


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