Abgasskandal: BGH zur Verjährung

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Erneut hat der BGH ein Urteil im Abgasskandal verkündet (Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20).
Allerdings ist hier die Frage, ob dieser Fall tatsächlich von so überragender Bedeutung ist wie die bisherigen, über die das höchste Zivilgericht im Jahr 2020 im Rahmen des Abgasskandals zu richten hatte.

Worum ging es?

Der Kläger kaufte im April 2013 einen VW Touran, der mit dem einschlägigen Betrugsmotor EA189 ausgestattet ist.

Im Jahr 2015 gewann der Kläger nicht nur allgemein von dem damals aufgedeckten sogenannten Dieselskandal Kenntnis, sondern auch konkret davon, dass sein Fahrzeug hiervon betroffen war. Seine Klage auf Zahlung von Schadensersatz und Rückabwicklung des Kaufs reichte er im Jahr 2019 ein. Die beklagte Volkswagen AG erhob im Laufe des Verfahrens die Einrede der Verjährung.

Wie ist die Rechtslage?

In den Fällen, in denen es um einen Schadensersatzanspruch aus einer sog. „vorsätzlich sittenwidrige Schädigung“ gem. § 826 BGB geht, richtet sich der Lauf der Verjährung nach § 195 BGB. Diese beträgt regelmäßig drei Jahre. Eine weitere anzuwendende Vorschrift ist § 199 BGB. In diesem heißt es:

(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem

1. der Anspruch entstanden ist und

2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Da in dem vom BGH zu befindenden Fall unstreitig war, dass der Kläger bereits im Jahr 2015 nicht nur Kenntnis vom Abgasskandal erlangt hat, sondern auch davon, dass sein Volkswagen Touran mit der Betrugssoftware ausgestattet war - und das ist der Knackpunkt an diesem im Vergleich zu vielen anderen daher untypischen Verfahren.

Nach § 199 BGB beginnt die Frist hier also im Jahr 2016 zu laufen – nämlich in dem Folgejahr, in dem der Kläger Kenntnis über den Schadensersatzanspruch erlangt hat. Diese Frist läuft dann 3 Jahre – 2016, 2017 und 2018. Ist also mit Ende des Jahres 2018 abgelaufen. Die Klage hätte also im Jahr 2018 eingereicht werden müssen.
 Es darf hier also mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BGH die Verjährung des Anspruchs bejaht, da der Kläger die Klage erst im Jahr 2019 und somit zu spät bei Gericht eingereicht hat.

Auswirkungen auf andere Verfahren?

Für die allermeisten Kläger dürfte die Entscheidung voraussichtlich keine Auswirkungen haben, denn die bisherige Rechtsprechung stellt auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Schadensersatzanspruchs ab bzw. den Zeitpunkt der fahrlässigen Unkenntnis.

Voraussetzung für den Beginn der Verjährung ist die positive Kenntnis der Umstände, die den Schadensersatzanspruch begründen – und die wird der Großteil der Kläger nicht gehabt haben. Daran ändern weder verschiedene Medienberichte etwas, in denen uU. die betroffenen Fahrzeugmodelle genannt wurden, noch die Anfang Oktober 2015 in verschiedenen Print- und Online-Medien veröffentlichten Informationen über eine Website, auf der betroffene Fahrzeuge gelistet sind. Zudem kann es unseres Erachtens auch nicht die Pflicht jedes einzelnen Halters gewesen sein, sich aktiv beim Kunden-Service der Volkswagen AG danach zu erkundigen, ob sein Fahrzeug mit Manipulationssoftware ausgestattet ist.

Diese Auffassung vertritt auch die überwiegende Zahl der Gerichte.  
Selbst wenn der BGH also hier - in diesem klaren Fall - eine Verjährung annimmt, ist die Messe unserer Ansicht nach noch nicht gelesen.

Auswirkungen auf andere Fahrzeugmodelle?

Halter von Fahrzeugen aus dem VW-Konzern haben dennoch weiterhin die Möglichkeit, sich gegen die Volkswagen AG zur Wehr zu setzen:

Das Urteil des BGH betrifft nach unserer Auffassung ausschließlich Halter von Fahrzeugen mit einem EA189-Motor.

Fahrzeuge mit einem anderen Motor als diesem sind daher nicht von der aktuellen Rechtsprechung des BGH betroffen. Besitzer von Fahrzeugen mit Motoren wie zB dem EA288 (Nachfolgemotor) oder dem EA897 (6-Zylinder) haben weiterhin gute Aussichten auf Schadensersatz.

Halter von betroffenen Fahrzeugen anderer Hersteller sind ebenfalls nicht von dieser Rechtsprechung betroffen.

Auch eröffnet sich für Halter von Fahrzeugen mit EA189-Motoren die Möglichkeit, einen sog. Restschadensersatz nach § 852 BGB geltend zu machen. Auch nach Ablauf der 3-jährigen Frist könnten die Geschädigten gegen den Hersteller vorgehen und das durch den Betrug Erlangte – also den wirtschaftlichen Vorteil daraus – einklagen. Diese Verjährungsfrist beginnt nach Kenntnis des Betrugs und läuft 10 Jahre. Für den Abgasskandal wäre dies dann frühestens das Jahr 2025.

Auch sollten Verbraucher den Februar 2021 im Auge behalten, denn dann entscheidet der BGH über die Rechtmäßigkeit des von Volkswagen zur Verfügung gestellten „Software-Updates“. Wird das Update nämlich als rechtswidrig qualifiziert, so beginnt durch diese neue vorsätzlich sittenwidrige Schädigung eine weitere Verjährungsfrist zu laufen. Dies gilt auch für Fahrzeuge mit einem EA189.

Das OLG Köln hat in seinem Urteil vom 18.12.2020, Az. 20 U 288/19, die ersten Weichen dafür gestellt.

Über Rogert & Ulbrich

Die Rechtsanwaltskanzlei Rogert & Ulbrich ist eine renommierte Wirtschaftskanzlei mit besonderer Expertise im Verbraucherschutz. Die Kanzlei beschäftigt rund 20 Rechtsanwälte. Insbesondere als Pionierkanzlei im "Diesel- Abgasskandal" hat sie sich einen Namen gemacht. Die Rechtsanwälte beraten und vertreten bundesweit geschädigte Fahrzeugkäufer - darunter Einzelpersonen, Unternehmen und Kommunen. Sie war bundesweit als erste Kanzlei im Abgasskandal aktiv und ebenfalls als erste mit einer deiktischen Klage gegen die Volkswagen AG erfolgreich.

Im Rahmen der historisch ersten Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. vertraten die Rechtsanwälte Dr. Marco Rogert und Tobias Ulbrich unter dem Dach der R/U/S/S Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH erfolgreich die Interessen des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv) und der dahinterstehenden bis zu 470.000 Verbraucher gegen die Volkswagen AG. Viele Tausend Urteile wurden bislang gegen Automobilkonzerne erstritten. Die Pioniere im Abgasskandal sind nach wie vor eine führende Adresse in der rechtlichen Aufarbeitung des Diesel-Abgasskandals.


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