Problemkind Heilungsbewährung

  • 2 Minuten Lesezeit

Ein „tückisches“ Instrument im Schwerbehindertenrecht ist die Heilungsbewährung.

Dahinter verbirgt sich folgender Gedanke: Ein Betroffener erleidet eine bösartige Krankheit (in der Regel ein Karzinom, Tumor, Transplantation o. a.), die kurzfristig durch OP, Bestrahlung oder Chemotherapie beseitigt werden kann. Diese Erkrankungen haben aber alle gemein, dass sie nach einiger Zeit wieder auftreten können, sogenannte Rezidive bilden. Nach medizinischer Erfahrung dauert es durchschnittlich drei bis fünf Jahre, bis der Betroffene entweder erneut an der Erkrankung leidet oder sie nicht mehr aufgetreten ist.

Während dieser Zeit des Abwartens wird ein höherer GdB zuerkannt als er sich aus der vorliegenden Behinderung ergibt. Konkrete Beeinträchtigungen müssen dafür nicht geltend gemacht und belegt werden.

Maßgeblicher Bezugspunkt für den Beginn der Heilungsbewährung ist der Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapien (Bestrahlung oder Chemotherapie) als beseitigt angesehen werden kann.

Nach Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung wird der GdB neu bewertet. Soweit kein Rückfall feststellbar ist, wird regelmäßig ein niedrigerer GdB für die Zukunft festgesetzt. Dies ist häufig auch dann der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand nach Ablauf der Heilungsbewährung gar nicht geändert hat, weil nun die Bewertung nach den konkret verbleibenden Funktionsbeeinträchtigungen erfolgt. Diese Herabsetzung des GdB ist nach § 48 SGB X gerechtfertigt, weil die erfolgreiche Heilungsbewährung als wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gesehen wird. Nach Ansicht der Behörde ist damit „alles wieder gut“.

Hier gibt es jedoch einige Fehlerquellen:

Zum einen wird recht häufig übersehen, dass durch die Behandlung andere Erkrankungen aufgetreten sind, die mit dem Hauptleiden nicht deckungsgleich sind (z. B. bei einer Bestrahlung eines Tumors im Oberkiefer führt die Strahlendosis zu einer „Strahlenkaries“ = Die Zähne werden porös oder butterweich und fallen aus).

Oder es wird vergessen, dass bereits vor der Erkrankung ein Grad der Behinderung wegen völlig anderer Erkrankungen vorhanden war, z. B. orthopädischer Art. Dieser fällt dann „unter den Tisch“. Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass diese Erkrankungen während einer Heilungsbewährung „verschwinden“. Sie werden eher stagnieren, sich evtl. sogar verschlimmern.

Natürlich ist es erfreulich, wenn eine Heilungsbewährung ihr Ziel erreicht, also keine Rezidive auftreten. Das ist aber nur die rein physische Betrachtungsweise. Der erhöhte Grad der Behinderung wird ja auch wegen der psychischen Belastung während der Dauer der Heilungsbewährung vergeben. Und die psychische Belastung verschwindet nicht „von heute auf morgen“. Es ist nicht so, dass der Betroffene am Tag nach Ablauf der Heilungsbewährung aufwacht und denkt: „Schön. Alles überstanden. Ab heute ist alles wieder gut“ und ab sofort keinen Gedanken mehr an die Geschwulst verschwendet. Häufig ist es vielmehr so, dass Ängste und Depressionen bleiben, oft jahrelang. Mitunter haben sie sich auch erst richtig entwickelt und ausgewachsen, sind sogar bedrückender als der Gedanke an die überstandene Krankheit selbst.

Es lohnt sich auf jeden Fall, der Behörde, die nach dem Motto: „Jetzt ist alles wieder gut“ handeln und den Grad der Behinderung herabsetzen will, auf die Finger zu schauen und sich gegen eine Herabsetzung zu wehren.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwältin Marianne Schörnig

Beiträge zum Thema