Anlegerrechtliche Verjährungsfragen richtig lösen

  • 8 Minuten Lesezeit

1.1. Anspruchsentstehung nicht vor Fälligkeit, Ablauf der 10jährigen Verjährungshöchstfrist ist relativ

Bis zum 31.12.2001 galt eine Regelverjährung von 30 Jahren nach § 195 BGB a.F. Ab dem 01.01.2002 gilt eine kenntnisabhängige Verjährungsfrist von 3 Jahren. Die Verjährungshöchstfrist geht bis 10 Jahre nach der Anspruchsentstehung. Letztere beginnt mit der Anspruchsentstehung, nicht mit dem Jahresende („unterjährig"). Die Anspruchsentstehung nach § 199 Abs. 1 BGB ist gegeben, sobald der Gläubiger den Anspruch erstmals geltend machen kann. Dieses setzt grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruches voraus, BGH-Urt. v. 08.07.2008 - XI 230/07 und vom 24.03.2011 - III ZR 81/10.

1.2. Fälligkeit und „ernstliches Einfordern"

Eine Forderung ist bereits dann im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 Insolvenzordnung fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt. Hierfür genügend, aber nicht erforderlich ist die Übersendung einer Rechnung. Das Merkmal des „ernsthaften Einforderns" dient damit lediglich dem Zweck, solche Forderungen auszunehmen, die rein tatsächlich - also auch ohne rechtlichen Bindungswillen und erkennbare Erklärung - gestundet sind, BGHZ 181,132.

Der insolvenzrechtliche Fälligkeitsbegriff dürfte mit dem des verjährungsrechtlichen gleichzusetzen sein. Es kommt also auf den Zeitpunkt der ersten Forderungsstellung an.

1.3. Verjährungsbeginn nicht vor Kündigung - Argentinienanleihen

Hinsichtlich der Frage der Verjährung nach dem ehemaligen § 37 a WpHG nahm das OLG Hamm die Auffassung ein, dass bei einer Kapitalanlage vor Ablauf der Kündigungsfrist noch kein Schaden eingetreten sei. In dem Urteil des OLG Hamm wird zum Schaden bei Argentinien-Anleihen ausgeführt: „Vorliegend ist indessen die Einlösung der streitgegenständlichen Anleihe auf den 22.02.2007 fällig gestellt, so daß entgegen dem Klagebegehren vor diesem Zeitpunkt ein definitiver Schadenseintritt noch nicht konstatiert werden kann (OLG Hamm, Urteil vom 08.10.2003, 31 U 117/03). Das Urteil im Internet kann jeder selbst nachlesen.

1.4. Regelverjährung auch für Altfälle bei der Prospekthaftung - Geschäftsführerhaftung

In dem BGH-Urteil vom 1.3.2011 - II ZR 16/10 handelt es sich um eine scheinbare Rechtsfortbildung bei der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung. Hiernach haftet auch der Geschäftsführer der Komplementärin einer Publikums-KG nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne bei entsprechend korrekter Auslegung nach den Umständen im Einzelfall.

Der Gründungsgesellschafter (gilt auch für Geschäftsführer oder den faktischen Vorstand) hafte auch über § 278 BGB für das Fehlverhalten von Personen, die er zum Abschluss des Beitrittsvertrages bevollmächtigt habe.

Für den Fristbeginn und die Dauer gelten die Grundsätze der Regelverjährung und nicht die Grundsätze der Prospekthaftung im engeren Sinne. Mit anderen Worten: Ist ein Vertrieb oder Vermittler vorhanden, gelten diese als Vertreter des Geschäftsführers nach § 278 BGB.

1.5. Verjährung beginnt mit der Kenntnis des Ausmaßes der Risiken - Universalantibiotikum?

Nach dem BGH-Urt. v. 22.11.2007 III 210/06 beginnt die Verjährung erst mit der Kenntnis der Ausmaße der Risiken. Dieses Urteil kann als „Universalantibiotikum" gesehen werden. Die „Ausmaße" der Risiken können sich ständig in die verschiedenen Richtungen ändern.

1.6. Die Verletzung späterer Offenlegungspflichten lassen die Verjährungsfrist neu entstehen

Nach der BGH-Entscheidung vom 01.03.2010, II ZR 213/08 (Apollo), besteht eine Verletzung von Offenlegungspflichten möglicherweise neben den Prospektnachtragspflichten: „Ändern sich diese Umstände nach der Herausgabe des Emissionsprospekts, so haben die Verantwortlichen das durch Prospektberichtigung oder gesonderte Mitteilung offen zu legen (BGHZ 71, 284, 291; 123, 106, 110; 139, 225, 232)."

Es ist deshalb davon auszugehen, dass der BGH trotz der Einengungen der Prospekthaftung durch das Wertpapierprospektgesetz und Verkaufsprospektgesetz (Lobbygesetze) an den Grundsätzen der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung festhält. Bei den beiden vorgenannten Prospektgesetzen gilt die Prospektberichtigungspflicht nur während der Emission. Spätere Änderungen sollten etwa durch ad-hoc-Meldungen erfasst werden.

Die Verletzung späterer Offenlegungspflichten kann jeweils neue Verjährungsfristen in Lauf setzen.

1.7. Verjährungsbeginn bei unklarer Rechtslage hinausgeschoben - Hemmung, solange Klage zu Unrecht abgewiesen?

Bei unklarer Rechtslage kommt es auf die Zumutbarkeit der Klage an. Wenn die Rechtslage so gestaltet ist, dass ein rechtskundiger Dritter von einer Klage abraten müsste (weil bekannt ist, dass das zuständige Gericht die Klagen abweist), ist die Verjährung gehemmt (einschränkend dazu von Bitter/Alles in dem Beitrag „Die Rechtsprechung zum Aufschub des Verjährungsbeginns bei unklarer Rechtslage", NJW 2011, 2081).

Gemäß dem Berufungsurteil des Landgerichts Chemnitz vom 01.06.07 (6 S 422/06) konnte die Verjährung der Schadensersatzansprüche nicht vor dem 19.07.04 wegen rechtlicher Ungewissheit beginnen....Die erforderliche Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des Anspruchs (Beweislast: Beklagte) ist vorliegend erst für das Jahr 2004 anzunehmen. Zwar hatte der Kläger bereits 2001 einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung seiner Ansprüche mandatiert (welcher Klage erhoben und diese zurückgenommen hat), so dass eine Kenntnis von den schadensbegründenden objektiven Tatsachen für diesen Zeitpunkt zugrunde gelegt werden kann. Dennoch ist dieser Zeitpunkt nicht mit dem Beginn der Verjährungsfrist gleichzusetzen, da bei der Berechnung des Fristlaufs auch Zumutbarkeitskriterien zu berücksichtigen sind (vgl. BGH NJW 99, 2041). Namentlich bei unübersichtlicher oder zweifelhafter Rechtslage, die auch für einen rechtskundigen Dritten nicht durchschaubar ist, kann der Verjährungsbeginn wegen Rechtsunkenntnis hinausgeschoben sein. Ein solcher Fall ist vorliegend zur Überzeugung der Kammer gegeben. Zunächst hat - wie die Berufung zutreffend vorträgt - der Bundesgerichtshof erst mit seiner Entscheidung vom 19.07.2004 die Auffassung vertreten, dass auch bei atypisch stillen Gesellschaftsverträgen der Gesellschafter nicht nach den Grundsätzen über den fehlerhaften Gesellschafterbeitritt zu behandeln ist, sondern - bei Falschberatung - einen Anspruch auf Rückzahlung der Einlage geltend machen kann. Zuvor waren - u.a. auch durch das Oberlandesgericht Dresden, 8 U 630/02 - die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft angewendet worden, wie die Beklagte selbst ausführt, auf Basis der vormaligen ständigen Rechtsprechung des BGH, BGHZ 55, 5; die Beklagte führt auch zutreffend aus, dass die Änderung der Rechtsprechung zur „Stärkung des Anlegerschutzes" für den Rechtsuchenden nicht vorhersehbar gewesen ist. Gerade dies begründet jedoch eine Fallgestaltung, in der nicht allein die Kenntnis des Geschädigten von den anspruchsbegründenden Tatsachen den Verjährungslauf begründet, sondern erst seine Kenntnis von der Durchsetzbarkeit des Anspruchs, welche zuvor aufgrund entgegenstehender Rechtsprechung nicht gegeben war. Es handelt sich also nicht um die Frage der zutreffenden rechtlichen Würdigung des bekannten Sachverhaltes und auch nicht um die Frage, ob der Kläger die Rechtswidrigkeit des Geschehens, das Verschulden des Schädigers und den in Betracht kommenden Kausalverlauf richtig eingeschätzt hat (vgl. hierzu das beklagtenseits vorgelegte Urteil des Landgerichts G. vom 08.03.07, Anlage BE 2), welche Vorstellungen den Verjährungsbeginn nicht beeinflussen, sondern um die Frage der Unzumutbarkeit, weil ein rechtskundiger Dritter von einer Klageerhebung hätte abraten bzw. auf die damit verbundenen ganz erheblichen Risiken hätte hinweisen müssen. Die Kammer teilt daher nicht die Auffassung des Landgerichts G., die der Entscheidung des BGH vorangehenden Divergenzen in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung seien nicht das Ergebnis einer besonders verwickelten, unübersichtlichen oder ungeklärten Rechtslage; verneint man dies, so lässt sich kaum ein Fall denken, in den das Unzumutbarkeitskriterium einschlägig wäre. Dieses muss jedenfalls dann greifen, wenn von einem rechtskundigen Dritten das ganz überwiegende Risiko einer erfolglosen Rechtsverfolgung angenommen werden muss. Ein solcher Fall ist aber gegeben, wenn die Prozessführung entgegen der Rechtsprechung des BGH erfolgen muss, vgl. BGH NJW 99, 2042. 2. Der klägerische Anspruch wegen Falschberatung ist dem Grunde nach gegeben...." (Berufungsurteil des Landgerichts  Chemnitz vom 01.06.07 (6 S 422/06).

Zusammenfassend also gilt, dass in einigen Fällen die Forderungen stets gehemmt gewesen sein könnten, solange Klageabweisungen in gleich gearteten Fällen zum Verbrauch des Anspruches führen konnten. Der Rechtsanwalt darf also auf günstige Winde warten.

1.8.            Zur grob fahrlässigen Unkenntnis von Beratungsfehlern wegen Verjährungsbeginns

In dem BGH-Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09 wird mit goldenen Worten zum Ausdruck gebracht, dass eine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist, Nachforschungen zu betreiben, für den Gläubiger nicht bestehe. Deswegen müsse es beim Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falls als geradezu unverständlich erscheinen, wenn es als grob fahrlässig bewertet werden solle. Hiernach ist im Grunde nur die positive Kenntnis von den Haftungsumständen erforderlich. Eigene Forschungen sind hiernach nicht erforderlich.

1.9. Es kommt bei der Verjährung nur auf das positive Wissen des Anwaltes an

In dem BGH-Urteil vom 6.11.2008 III ZR 231/07, Cinerenta, ist festgestellt, dass die Durcharbeitung von 40 Aktenordnern des Ermittlungsverfahrens nicht erforderlich sei, um den Vorwurf der groben Nachlässigkeit wegen der Nichtkenntnis der Umstände auszuräumen. Hier liege kein Verschulden vor. Es komme nur auf das positive Wissen an. Damit wird in diesem Urteil die bereits vor der Schuldrechtsreform bestehende Rechtsprechung fortgeschrieben, der zufolge einem Gläubiger nicht vorgehalten werden kann, keine Akteneinsicht veranlasst zu haben. Dieses hätte Geld gekostet.

1.10. Die erste anwaltliche Beratung muss die Verjährungsfrist nicht in Lauf setzen - Altfälle sind nicht verjährt

In dem BGH-Urteil vom 22.7.2010 handelte es sich um eine Anlage an einer Fondsgesellschaft von 1992. Die Einlage betrug 100.000 DM. Zunächst gab es Ausschüttungen. 1999 fand eine erste anwaltliche Beratung statt. Aber erst in der anwaltlichen Beratung in 2004 wurde die Klägerin darüber informiert, dass ein Fehler in der Beratung deshalb bestanden hätte, dass sie auf die fehlende Fungibilität der Anlage und die Regelungen des § 172 Abs. 4 HGB nicht hingewiesen wurde.

Der Beratungsfehler des fehlenden Hinweises auf das Risiko des Totalverlustes sei verjährt gewesen. Die weitere Schlussfolgerung, die fehlende Kenntnis der Eheleute von der mangelnden Fungibilität der Kapitalanlage und der Möglichkeit des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung hingegen beruhe auf keiner groben Fahrlässigkeit.

Geht es um den Vorwurf verschiedener Aufklärungs- oder Beratungsfehler, sind die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 getrennt für jede einzelne Pflichtverletzung zu prüfen. Wird ein Schadensersatzanspruch auf mehrere Fehler gestützt, beginnt die Verjährung daher nicht einheitlich, wenn bezüglich eines Fehlers Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorliegt und dem Anleger insoweit eine Klage zumutbar wäre.

1.11. Securenta-Urteil vom 24.3.2011 - III ZR 81/10 - Verjährung beginnt nie

In dem BGH-Urteil vom 24.3.2011 ist im Wesentlichen der Rechtssatz entwickelt worden, dass mehrere Aufklärungs- oder Beratungsfehler, auch wenn sie nicht jeweils unterschiedliche eigenständige Schadensfolgen verursacht haben, sondern in demselben Schaden, nämlich dem Erwerb der Kapitalanlage, münden, keiner einheitlichen, mit der Kenntnis vom ersten Fehler beginnenden Verjährung unterliegen, BGH-Urteil vom 24. März - III ZR 81/10, Wertpapiermitteilungen 2011, 874.

Nach diesem Rechtssatz beginnt die Verjährung eventuell nie.

1.12. Anwaltspflichten zur Vermeidung der Verjährung von Mängelansprüchen

Der Rechtsanwalt hat die Pflicht, bei drohender Verjährung in einem Bauprozess zumindest ein selbständiges Beweisverfahren zwecks Verjährungsunterbrechung einzuleiten, OLG Celle, Beschluss v. 24.06.2011 - 3 W 55/11, NJW-aktuell, Heft 35/2011.

1.13. § 37 a WpHG gilt nicht bei Vorsatz.

Bei Sachverhalten zwischen dem 01.04.1998 und dem 04.08.2009 gilt § 37 a WpHG bei einer fahrlässigen Begehungsweise einschließlich von solchen Ansprüchen aus konkurrierenden deliktischen Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 31 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WpHG. § 37 a WpHG gilt aber nur bei einer Bank (Wertpapierdienstleistung), BGH-Urt. v. 08.03.2005 - XI ZR 170/04. Bei vorsätzlicher Begehungsweise gilt § 37 a WpHG nicht. In den Kickback-Fragen wird derzeit Vorsatz bei einem Organisationsverschulden wegen Unterlassens einer Weisung zur Aufklärung über Kickbacks angenommen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Wilhelm Segelken

Beiträge zum Thema