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Asylrecht: BAMF muss Ladung an richtige Adresse senden

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Verwaltungsgericht Berlin ordnet aufschiebende Wirkung der Klage an

Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit Beschluss vom 22. Mai 2017, Az.: VG 33 L 265.17 A, die aufschiebende Wirkung gegen die Abschiebungsandrohung angeordnet. 

Sachverhalt

Die Antragsteller wendeten sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen ihre Abschiebung nach Turkmenistan. Die Antragsteller zu 1 und 2 stellten am 26. August 2014 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag für sich und für ihre Tochter, die Antragstellerin zu 3. Zu diesem Zeitpunkt wohnten sie in einem Hotel in der F-straße 13 in Berlin. Mit Faxschreiben vom 27. Oktober 2014 teilte das Landesamt für Gesundheit und Soziales dem Bundesamt in einer Umzugsmitteilung mit, die neue Anschrift der am 19.06.2008 geborenen Antragstellern zu 3 laute „Berlin, Kdamm 3“. An diese Anschrift versuchte das BAMF vergeblich, die an die Antragsteller zu 1 und 2 adressierte Ladung zur persönlichen Anhörung und ein Schreiben zuzustellen, mit dem diesen „gem. § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG“ Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Die Postzustellurkunden kamen mit den Bemerkungen „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ bzw. „Empfänger unbekannt verzogen“ zurück. Der ebenso adressierte Bescheid des BAMF vom 19. Dezember 2016, mit dem dieses die Anträge der Antragsteller auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter Hinweis auf § 30 Abs. 3 Nr. 5 des Asylgesetzes (AsylG) als offensichtlich unbegründet ablehnte, wurde am 22. Dezember 2016 zur Post gegeben; er konnte ausweislich der Postzustellurkunde nicht zugestellt werden, da der Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war.

Nachdem den Antragstellern Grenzübertrittsbescheinigungen ausgehändigt worden waren, reichten sie zur Weiterverfolgung ihres Asylbegehrens am 10. März 2017 bei Gericht Klage ein (VG 33 K 266.17 A). Ihr zugleich erhobener Eilantrag, mit dem sie sinngemäß beantragten, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage VG 33 K 266.17 A gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen, hatte Erfolg.

Wie entschied das Verwaltungsgericht?

Das Verwaltungsgericht Berlin gab den Antragsstellern, die von der Kanzlei Piper & Partner Rechtsanwälte vertreten werden, Recht. 

Wochenfrist wurde nicht in Gang gesetzt

Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, dass der Antrag fristgerecht gestellt wurde. Die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG hat nicht zu laufen begonnen, da der angegriffene Bescheid den Antragstellern bislang noch nicht bekanntgegeben wurde. Der Asylantragsteller muss zwar Zustellungen an die letzte bekannte Anschrift, unter der er wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, gegen sich gelten lassen, wenn die Anschrift durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Zwar wählte das BAMF als Zustelladresse des angegriffenen Bescheids diejenige Anschrift, die ihm vom Landesamt für Gesundheit und Soziales – und damit einer öffentlichen Stelle – mitgeteilt worden war. Diese Umzugsmitteilung bezog sich jedoch ausschließlich auf die minderjährige Antragstellerin zu 3, nicht jedoch auf die Antragsteller zu 1 und 2, die allein Zustelladressaten des angegriffenen Bescheids waren.

Kein Erfahrungssatz, wonach Eltern unter derselben Anschrift wie ihr Kind leben

Das BAMF durfte nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass diese Anschrift auch für die Antragsteiler zu 1 und 2 als gesetzliche Vertreter der Antragstellerin zu 3 maßgebend war. Denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach Eltern eines minderjährigen Kindes im Alter von sechs Jahren, wie es seinerzeit die Antragstellerin zu 3 war, stets unter derselben Anschrift wie ihr Kind leben. Die Sondervorschrift des § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG ist vorliegend bereits deshalb nicht einschlägig, weil das BAMF den Bescheid nicht an die letzte Anschrift geschickt hat, die ihm aufgrund des Asylantrags der Antragsteller bekannt war. 

Interesse der Asylbewerber überwiegt

Der Antrag ist auch begründet. Das Interesse der Antragsteller, einstweilen vom Vollzug der Ausreisepflicht verschont zu bleiben, überwiegt das gesetzlich angeordnete Vollzugsinteresse. Die Aussetzung der Abschiebung darf gem. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. „Ernstliche Zweifel“ in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme – die der sofortigen Aufenthaltsbeendigung zugrunde liegende Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers – einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts, den Asylantrag der Antragsteller als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Nach dieser Vorschrift ist ein unbegründeter Asylantrag unter anderem dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer seine Mitwirkungspflicht (Erscheinenspflicht) oder seine Pflicht verletzt, im Rahmen einer Anhörung die Tatsachen vorzutragen, die seinen Asylantrag rechtfertigen, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigem Grund nicht möglich. Nach dem Ergebnis summarischer Prüfung haben die Antragsteller keine dieser Mitwirkungspflichten verletzt, da ihnen die Ladung zur persönlichen Anhörung – ebenso wie das Schreiben, mit dem ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde – nicht zugestellt worden war und sie die fehlgeschlagene Zustellung auch nicht gemäß § 10 Abs. 2 AsylG gegen sich gelten lassen müssen. 

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