Aufklärungsumfang bei Injektionstherapie

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BGH, Urteil vom 28.05.2019 – VI ZR 27/17 

Ausgangslage: 

Bereits seit einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1894 (RGSt 25, 375 ff.) sowie der nachfolgenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch der ärztliche Heileingriff eine Körperverletzung darstellt, wenn der Patient nicht wirksam eingewilligt hat (§ 630d BGB) und der Eingriff daher nicht gerechtfertigt ist. Entscheidend für die Wirksamkeit der Einwilligung ist eine ordnungsgemäße Aufklärung. Diese hat den Anforderungen des § 630e BGB zu entsprechen. In § 630e Abs. 1 BGB heißt es: „Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.“ Zweck dieser Vorschrift ist die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Die Aufklärung soll dem Patienten eine zutreffende Vorstellung davon verschaffen, worauf er sich einlässt, wenn er der beabsichtigten Behandlung zustimmt und ihn dadurch in die Lage versetzen, über die Inkaufnahme der mit ihr verbundenen Risiken frei zu entscheiden. Dabei muss der Umfang der Aufklärung so gestaltet sein, dass der Patient „im Großen und Ganzen“ weiß, worin er einwilligt. Das heißt, er muss eine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken haben. Der Fall: Die klagende Patientin stellte sich bei der beklagten Ärztin wegen anhaltender Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule vor. Es wurde ein Nervenwurzelsyndrom diagnostiziert, das ohne vorherige Aufklärung mit einer Spritzentherapie behandelt wurde. Nachdem zwei Injektionen komplikationslos verlaufen waren, injizierte der zweitbeklagte Arzt am 10. Februar 2008 der Klägerin weitere schmerzstillende und entzündungshemmende Medikamente in den Lendenwirbelbereich. Bereits während der Behandlung litt die Patientin plötzlich unter starken Schmerzen. Dies führte dazu, dass sich bei der Patientin ein psychisch bedingter Folgeschaden in Form von unwillkürlichen Kontraktionen von Muskeln (Myoklonien) entwickelte. Sie musste sich mehrfachen, auch stationären, Behandlungen unterziehen und ist aufgrund ihrer Erkrankung arbeitsunfähig und in weiten Teilen ihrer Lebensführung eingeschränkt. Bisheriger Prozessverlauf: Die Patientin erhob eine auf Behandlungs- sowie Aufklärungsfehler gestützte Arzthaftungsklage. Das Landgericht hat die Beklagten wegen Behandlungsfehlern zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 2.500 € verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und damit die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt. Der BGH hob diese Entscheidung jedoch auf, so dass sich das Berufungsgericht nochmals mit den Aufklärungsfehlervorwürfen befassen muss. Entscheidung des BGH: Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 28.05.2019 (Aktenzeichen VI ZR 27/17) nochmals bestätigt, dass die Einwilligung in den ärztlichen Eingriff nur insgesamt erteilt oder verweigert werden kann. Aus diesem Grund machen Aufklärungsdefizite, unabhängig davon, ob sich ein aufklärungsbedürftiges Risiko verwirklicht oder nicht, den ärztlichen Eingriff insgesamt wegen der fehlenden Einwilligung des Patienten rechtswidrig und führen bei einem Verschulden des Arztes im Grundsatz zu einer Haftung für alle Schadensfolgen (dies entspricht der ständigen Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteile vom 14.02.1989 – VI ZR 65/88, BGHZ 106, 391, 398 21; vom 12.03.1991 – VI ZR 232/90, VersR 1991, 777, 778 f. 14; vom 14.11.1995 – VI ZR 359/94, VersR 1996, 195, 197). Ein Wegfall der Haftung des Arztes für Aufklärungsversäumnisse wäre lediglich dann in Betracht gekommen, wenn die Patientin wenigstens eine Grundaufklärung über die Art und den Schweregrad des Eingriffs erhalten hätte. Die Grundaufklärung ist nur dann erteilt, wenn dem Patienten ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt wird, die für seine körperliche Integrität und Lebensführung auf ihn zukommen können. Dazu gehört in aller Regel auch ein Hinweis auf das schwerste in Betracht kommende Risiko, das dem Eingriff spezifisch anhaftet (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1991 – VI ZR 232/90, VersR 1991, 777, 778 f.). Diese wäre in dem zu entscheidenden Fall das Risiko einer Hirnhausentzündung (Meningitis) gewesen. Allerdings wurde die betroffene Patientin vor der Durchführung der Spritzentherapie überhaupt nicht über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt, so dass die Behandler für die aufgrund der rechtswidrigen Spritzentherapie kausal eingetretenen Gesundheitsschäden (psychoreaktiven verursachte Myoklonien) haften. Fazit: Im Ergebnis eine konsequente Entscheidung des BGH, in der er vergangenen Entscheidungen zu Gunsten des Patienten treu geblieben ist. Solange noch nicht einmal eine Grundaufklärung des Patienten erfolgt, der Arzt stattdessen einfach eigenmächtig darauf los behandelt und hierdurch dem Patienten die Möglichkeit nimmt, sich ggf. gegen die Behandlung und deren mögliche Folgen zu entscheiden, besteht ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz (vgl. BGH, Urteil vom 14.02.1989 – VI ZR 65/88). In solchen Konstellationen können betroffene Patienten ihre Ansprüche mit Hilfe eines Anwalts für Arzthaftungsrecht erfolgreich durchsetzen, ohne dass es eines zusätzlichen haftungsbegründenden Behandlungsfehlers bedarf.

BGH, Urteil vom 28.05.2019 – VI ZR 27/17

Grundzusammenfassung

Seit einer Entscheidung des Reichsgerichts 1894 und späterer Rechtsprechung wird betont, dass medizinische Behandlungen als Körperverletzung betrachtet werden können, falls keine wirksame Zustimmung des Patienten vorliegt. Eine solche Zustimmung benötigt eine adäquate Aufklärung gemäß § 630e BGB. Diese Regelung schützt das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung und soll sicherstellen, dass der Patient die Risiken einer Behandlung versteht.

Der Vorfall: Eine Patientin suchte wegen Schmerzen im Lendenbereich eine Ärztin auf. Sie wurde wegen eines Nervenwurzelsyndroms behandelt, jedoch ohne vorherige Aufklärung. Nach einer problemlosen Spritzentherapie erlitt die Patientin während einer weiteren Behandlung starke Schmerzen und entwickelte als Folge Myoklonien. Dies beeinträchtigte ihr tägliches Leben erheblich.

Bisherige Gerichtsverfahren: Die Patientin klagte wegen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern. Das Landgericht sprach ihr ein Schmerzensgeld von 2.500 € zu. Das Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung, jedoch kassierte der BGH das Urteil und verwies es zurück, um die Aufklärungsvorwürfe erneut zu prüfen.

Entscheidung des BGH: Der BGH unterstrich, dass eine Zustimmung zur medizinischen Behandlung vollständig gegeben oder verweigert werden muss. Jede unzureichende Aufklärung macht den medizinischen Eingriff rechtswidrig. Nur bei einer minimalen Grundaufklärung über Schwere und Risiken könnte die Haftung entfallen. In diesem Fall fehlte jedoch jegliche Aufklärung, daher sind die Ärzte haftbar.

Schlussfolgerung: Das BGH-Urteil ist konsistent und stellt die Patientenrechte in den Vordergrund. Wenn es keine ordentliche Aufklärung gibt und der Arzt eigenmächtig handelt, hat der Patient das Recht auf Schmerzensgeld. Betroffene können mit Unterstützung eines Anwalts im Bereich Arzthaftungsrecht ihre Rechte durchsetzen, ohne dass ein zusätzlicher Behandlungsfehler vorliegen muss.



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