Behandlungsfehler: Bislang höchstes Schmerzensgeld wegen Venenthrombose und Lungenembolie
- 2 Minuten Lesezeit
Am 14.06.2024 konnten wir vor dem Landgericht Kiel zum Aktenzeichen 8 O 98/21 das bislang höchste gezahlte Schmerzensgeld wegen einer vom Arzt übersehenen Beinvenenthrombose mit leider anschließender Lungenembolie in Höhe von
22.850,00€
erstreiten.
- Nur Ischias?
Die 30-jährige Patientin war wegen starker Schmerzen und angeschwollenem, lila verfärbtem Bein in die Anlaufpraxis eines Krankenhauses gekommen. Zuvor hatte sie beim Treppensteigen etc. eine Leistungsminderung wahrgenommen.
Der aufnehmende Arzt meinte kurzerhand, es läge ein Ischias vor, verabreichte eine Spritze und schickte die Patientin nach Hause. Als sich die Symptome verschlimmerten wurde festgestellt, dass eine tiefe Mehretagenthrombose vorgelegen hatte und sich deswegen inzwischen eine lebensgefährliche Lungenembolie entwickelt hatte.
Die Patientin ist lebenslang auf Blutverdünnungsmedikamente angewiesen, hat ein gesteigertes Risiko für weitere Thrombosen und ggf. Embolien und hat eine gesteigerte Gefahr für Fehlgeburten.
- Bislang höchstes Schmerzensgeld
In ähnlichen Fällen waren bislang Schmerzensgelder von maximal 15.000,00€, bzw. inflationsangepasst ca. 19.000,00€ zugesprochen worden. In weiteren Fällen urteilten Gerichte auch nur Schmerzensgelder von um die 10.000,00€ aus.
- Wells-Score nicht alleinentscheidend
Besonders interessant ist, dass bislang in den Urteilen zu Becken-Beinvenenthrombosen bei der Frage, ob der Arzt einen Fehler gemacht haben könnte, bzw. eine Untersuchung unterlassen hat, die zu dem richtigen und reaktionspflichtigen Ergebnis geführt hätte, auf den sogenannten Wells-Score Bezug genommen wurde.
Der Wells-Score ist dabei die Einordnung einer Thrombosewahrscheinlichkeit nach verschiedenen Faktoren wie z.B. Familiengeschichte, Blutgerinnungsfaktoren, Phasen von Immobilität vor dem Auftauchen der Symptome etc. Bislang wurde oft vertreten, dass wenn eine solche Wahrscheinlichkeitseinordnung stattgefunden hat, jedoch ein niedriger Wert für den Wells-Score herausgekommen war, es nicht behandlungsfehlerhaft wäre, keine weiteren Untersuchungen wie Blutanalyse (den sog. D-Dimere-Test) oder Ultraschalluntersuchungen vorzunehmen.
Der gerichtliche Sachverständige kam nun zu folgendem Ergebnis:
„(…) Auch wenn aufgrund des Wells-Scores die klinische Wahrscheinlichkeit für eine tiefe Becken-Beinvenenthrombose als gering erachtet worden wäre, hätte die labortechnische Untersuchung des D-Dimere-Tests durchgeführt werden müssen Der aufnehmende Arzt hat somit gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln und gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und die begangenen Fehler erscheinen aus objektiv fachärztlicher Sicht nicht mehr verständlich“.
- Grober Behandlungsfehler
In verständliche Sprache übersetzt heißt das, dass auch bei einem geringen Wahrscheinlichkeitswert für eine Venenthrombose zwingend eine Blutuntersuchung, der sogenannte D-Dimeren-Test durchgeführt werden muss. Ein hoher oder niedriger Wells-Score ist insoweit erst einmal nur für die Frage entscheidend, ob man vorher, bevor die Testergebnisse vorliegen, zur Sicherheit Antithrombosemedikamente gibt. Wird dagegen, sofern eine Thrombose auch nur in Frage kommt, die Blutuntersuchung unterlassen, so liegt immer ein grober Behandlungsfehler vor, der den Arzt auch für die daraus resultierenden Folgeerkrankungen und Folgeschäden in die Haftung nimmt.
LG Kiel, Beschluss vom 14.06.2024, 8 O 98/21
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