Berlin: Keine Beratungshilfe für Verbraucherinsolvenzler - ein Skandal

  • 3 Minuten Lesezeit

Die Finanz- und Wirtschaftskrise erfasst mit steigendem Tempo die Realwirtschaft. Eine massive Zunahme überschuldeter Haushalte in Berlin u. Brandenburg ist die Folge. Nachhaltige Abhilfe verspricht in diesen Fällen das sog. Verbraucherinsolvenzverfahren. Ziel des Verfahrens ist die systematische Entschuldung des Betroffenen unter „Aufsicht" eines Treuhänders über den Zeitraum von 6 Jahren (sog. Wohlverhaltensphase), beginnend mit der Insolvenzeröffnung.

Ab diesem Zeitpunkt gebührt dem Treuhänder der pfändbare Teil von Einkommen und Vermögen des Schuldners, der diesen „Überschuss", sofern vorhanden, an die Masse der Gläubiger verteilt. Vollstreckungsmaßnahmen Einzelner, insbesondere Lohn- und Kontenpfändungen, sind ab Insolvenzeröffnung unzulässig. Jeder überschuldete Bürger, der sich zur Regulierung seiner eigenen Finanzkrise mit Hilfe des Insolvenzverfahrens entschlossen hat, ist folglich bestrebt, schnellstmöglich und bei geringst möglicher Gesamtdauer des Verfahrens vor Einzelgläubigermaßnahmen geschützt zu sein, also massiv daran interessiert, das „ rettende Ufer" der gerichtlichen Verfahrenseröffnung so schnell wie möglich zu erreichen.

Dies ist jedoch gar nicht so einfach, da er gesetzlich verpflichtet ist, zuvor eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern zu versuchen. Erst wenn dieser Versuch gescheitert ist, darf der Insolvenzantrag bei Gericht gestellt werden. Weil aber dieses außergerichtliche Verfahren recht kompliziert und arbeitsintensiv .ist, muss von Gesetzes wegen dabei ein Anwalt oder eine Schuldenberatungsstelle mitwirken. Angesichts der Tatsache, dass Berlin auch ohne Wirtschaftskrise schon seit Jahren als „Hotspot überschuldeter Privathaushalte" gilt, dauerte bereits früher wegen Überlastung der Schuldenberatungsstellen das vorbereitende Verfahren bis zur Antragstellung meist 10 - 12 Monate. Und dies, obwohl seinerzeit dank unkomplizierter Bewilligung von Beratungshilfe durch die Berliner Amtsgerichte zusätzlich mehrere spezialisierte Anwaltskanzleien einen großen Teil der Verfahren bearbeitet hatte, der insolvente Bürger also zwischen zwei gleichermaßen kostenlosen Alternativen, Anwalt oder Beratungsstelle, wählen konnte.

Nun, nachdem die Anzahl der „Insolvenzler" rapide ansteigt und folglich mehr denn je Bearbeitungskapazität erforderlich ist, wird von den meisten Berliner Amtsgerichten keine Beratungshilfe mehr gewährt. Letztere ist aber unverzichtbare „Arbeitsgrundlage" für die dringend benötigte Wiederaufnahme dieser Tätigkeit durch Anwaltskanzleien. Denn der Anwalt ist naturgemäß kein Wohlfahrtsverein sondern muss, ob er will oder nicht, zur Aufrechterhaltung seiner Kanzlei anwaltliche Aktivitäten abrechnen, was bei einem überwiegend zahlungsunfähigen und deshalb insolventen Klientel praktisch nicht durchsetzbar ist. Aus diesem Grunde wurde ab ca. 2002 die Beratungshilfe gewährt, was den Anwalt in die Lage versetzte, die - ohnehin kaum kostendeckenden - Gebühren bei der Landeskasse zu liquidieren, und dem Schuldner ermöglichte, das Verfahren mit anwaltlicher Beistandschaft zu beginnen, was in rechtlich schwierigen Fällen nicht nur sinnvoll sondern meist auch notwendig war.

Diese jahrelang geübte Praxis muss sofort wieder aufgenommen werden !!!!

Denn die Schuldenberatungsstellen sind bereits jetzt derart überlaufen, dass in Berlin Warte- und Bearbeitungszeiten bis zum „rettenden" Eröffnungsantrag von mehr als 2 ½ Jahren „normal" geworden sind. Darauf spezialisierte Anwaltskanzleien benötigen hierfür in der Regel maximal 3 Monate. Denn wegen der akut zu beobachtenden absurd langen Phase der Vorbereitungsverfahren, wodurch die Gesamtdauer des Entschuldungsverfahrens locker mal von den gesetzlich postulierten 6 Jahren auf total 8 - 9 Jahre ansteigt, und innerhalb derer der Schuldner weiterhin schutzlos den Zwangsmaßnahmen der Gläubiger ausgeliefert ist, dürfte auch dem letzten und noch so engagierten Schuldner jedwede Motivation zur Regulierung seiner Finanzsituation abhanden kommen. Mit der Folge, dass die Masse der Privatinsolvenzverfahren rückläufig sein könnte, obwohl gleichzeitig die Anzahl überschuldeter Haushalte ohne Aussicht auf Besserung steigt, und steigt, und steigt.

Dies entspricht im Übrigen längst der Realität. Anders ist wohl kaum erklärbar, dass bei angeblich 6 Millionen überschuldeter Haushalte in Deutschland jährlich nur 150.000 bis 180.000 Verbraucherinsolvenzverfahren stattfinden.

Bitte beachten Sie auch das kostenlose Beratungsangebot in Berlin von der Bundesvereinigung Offensive Insolvenzler e.V. (i.G.) - BOfIn.

Termine und weitere Infos unter www.offensive-insolvenzler.de.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Heinz Egerland

Beiträge zum Thema