Betriebsgefahr beim Motorrad - immer automatisch Teilschuld?

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Zur besseren Veranschaulichung möchte ich einen kleinen praktischen Beispielsfall bilden:

Typische Situation: Linksabbieger wird von Motorrad während des Überholvorgangs links überholt; es kommt zur Kollision.

In meinem Fall ist der Linksabbieger aber kein Auto, sondern ein Roller.

Sagen wir mal, der Roller hat 10 PS und trägt generell eine Betriebsgefahr von 10 %.
Wenn dann das Motorrad 200 PS hat, dann kämen wir rein rechnerisch bei ihm auf 200 % Betriebsgefahr.

Das kann so mathematisch gesehen also nicht hinhauen.

Es kommt dann noch ein weiterer Begriff ins Spiel: das sog. unabwendbare Ereignis.

Ein Verkehrsunfall ist ja immer eine dynamische, schnelle und komplexe Abfolge von Ereignissen. Zur Kollision kommt es häufig, weil mehrere Umstände ungünstig
zusammentreffen. Sagen wir mal, der Motorradfahrer hat alles richtig gemacht, aber der Rollerfahrer hat weder nach hinten geguckt, noch in seinen Spiegel, und hat auch nicht geblinkt, sondern er ist einfach spontan auf die Idee gekommen, jetzt abzubiegen.

Wollen wir dann trotzdem dem Motorradfahrer die volle Schuld geben, nur weil sein Fahrzeug megamäßig Power hat, obwohl er wohlgemerkt alles richtig gemacht hat
und definitiv der Rollerfahrer einen massiven Fahrfehler begangen hat? Oder war der Unfall für ihn unabwendbar?

Wenn es nach dem LG Frankfurt ginge, dann sähe es für den Motorradfahrer hier schlecht aus. Dann würde der Motorradfahrer hier überwiegend haften müssen.

„Danach lässt sich die Betriebsgefahr der Motorradfahrer grundsätzlich als Verschulden gegen sich selbst begreifen, so dass die Unfallfolgen schon deshalb als bewusst in Kauf genommen ganz überwiegend nicht auf einen Unfallgegner abgewälzt werden können.”

So entschieden vom Landgericht Frankfurt.

Zum Glück allerdings in der Berufung zumindest zum Teil gekippt. Es blieb aber wohl dennoch bei einer Mithaftung des Motorradfahrers von 30 %.

Wie sieht es aus, wenn es nun noch einen (neutralen) Zeugen gibt, einen Autofahrer, der aus einigem Abstand von hinten gesehen haben will, dass der Rollerfahrer doch geblinkt hat?

Was, wenn es einen weiteren Zeugen gibt, der viel näher dran war, und der sich sicher ist, dass der Rollerfahrer nicht geblinkt hat? Was, wenn dieser weitere Zeuge aber die Ehefrau und Sozia des Motorradfahrers ist? Wollen wir ihr dann nicht glauben, nur weil sie kein neutraler Zeuge ist, obwohl sie aber perfekten Blick zum Unfallgeschehen und zur Entwicklung des Unfalls hatte?

An diesem kleinen Beispielsfall lässt sich sehr gut veranschaulichen, dass die Regulierung eines Verkehrsunfalls eine sehr komplexe Sache ist. Es spielen viele Faktoren eine Rolle dafür, was am Ende als Ergebnis herauskommt; wie z. B. die Betriebsgefahr, die Frage, ob ein unabwendbares Ereignis vorliegt, wie es mit Nachweisen aussieht (also nicht nur, ob überhaupt ein Zeuge vorhanden ist, sondern auch, ob der glaubhaft und glaubwürdig ist) und nicht zu unterschätzen, die Meinung und Einschätzung des Richters, der den Fall auf den Tisch bekommt.

Allein die Tatsache, dass das LG Frankfurt zu einer völlig anderen Einschätzung der Haftungsquote kommt, als das OLG Frankfurt, zeigt, ohne dass man vorher Jura studiert haben muss, dass es in bestimmten Fällen sehr schwer ist, das im Vorhinein vernünftig zu prognostizieren und dass problemlos zwei verschiedene Gerichte / Instanzen zu einer ganz anderen Einschätzung kommen können.

Also, um es ganz klar zu sagen: wenn Euch eine gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung eine Regulierung mit einer miserablen Haftungsquote unterjubeln will und Ihr das deutliche Bauchgefühl habt, dass Ihr über den Tisch gezogen werdet, dann geht bitte dagegen vor.

Es gibt keine Garantie, dass das vor Gericht besser ausgeht, aber häufig lässt sich noch Einiges rausholen.
Übrigens: wenn Ihr am Ende voll gewinnt, muss die Gegenseite auch Eure kompletten Rechtsanwaltskosten bezahlen. Für die anderen Fälle empfiehlt es sich, wenn Ihr rechtzeitig eine gute Verkehrsrechtsschutzversicherung abgeschlossen habt.

Zum Schluss noch zwei kleine Beispiele aus meiner Praxis:

Fall 1: Mir liegt ein Schreiben der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung vor, die komplett abgelehnt hat. Das zweite Schreiben stammt von der eigenen Kfz-Haftpflichtversicherung meines Mandanten; diese geht von einer 50 / 50 – Haftungsquote aus. Scheinbar hängt die Haftungsquote also vom Blickwinkel ab, ob man was bezahlen muss bzw. wer sie zu beurteilen hat.

Fall 2: Ich schreibe die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung an; mit Fristsetzung; sie soll endlich den Rest bezahlen. Sie hat bereits einen Großteil des Schadens reguliert. In diesem Fall ist die Haftung völlig eindeutig zu 100 % bei der Gegenseite. Nun ist noch die Nutzungsausfallentschädigung (Motorrad mit Totalschaden; Wiederbeschaffungsdauer 14 Kalendertage) offen. Was macht die Gegenseite? Nichts, gar nichts. Sie hält es nicht mal für nötig, mir zu antworten und es abzulehnen. Leider hat der Mandant keine Rechtsschutzversicherung. Zum Glück traut er sich dennoch. Ich reiche den Fall bei Gericht ein. Was macht jetzt die Gegenseite? Sie leistet keinerlei Gegenwehr, zahlt sofort voll, nebst aller Verfahrenskosten und Zinsen. So kein Einzelfall.

Also, mein Fazit: keine pauschale Mithaftung, immer und überall, nur weil Euer Motorrad sehr viel Leistung hat und egal, was der Unfallgegner gemacht hat.

Und, traut Euch, kämpft, und lasst Euch nicht mit einer mickrigen Regulierungszahlung, die nicht gerechtfertigt ist, abspeisen.

DLzG

Dominik Ruf



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