Bundesweite Strafverteidigung bei Kinderpornografie – Neue Entwicklungen bei § 184b StGB

  • 9 Minuten Lesezeit

Der Autor hat bereits in zahlreichen Fachbeiträgen auf die rechtlichen und faktischen Besonderheiten bei der Strafverteidigung im Bereich des § 184b StGB bzw. beim Tatvorwurf Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie hingewiesen. Hierzu zählt unter anderem auch, dass in nahezu keinem anderen Bereich des Strafrechts bereits der Vorwurf für sich genommen – wohlgemerkt unabhängig davon, ob zutreffend oder unzutreffend erhoben – eine derart stigmatisierende und exitenzvernichtende Wirkung haben kann. Zudem ist es aber auch in rein juristischer Hinsicht so, dass die Gesetzesnorm des § 184b StGB, welche die Strafbarkeit regelt, in den vergangenen Jahren mehrfach geändert und verschärft wurde. Auch die Rechtsprechungspraxis, also die Anwendung des Gesetzes, ist einem permanenten Wandel unterzogen.


Neben Diskretion und Engagement gehört daher auch Fachkompetenz sowie die permanente Befassung mit den gesetzgeberischen und juristischen Entwicklungen in diesem Bereich zu den Grundvoraussetzungen für eine effektive Strafverteidigung.


Seitens des Autors, der auf die Strafverteidigung im Sexualstrafrecht spezialisiert ist, werden seit Jahren Ermittlungsverfahren und Strafverfahren im Bereich der Kinderpornografie im gesamten Bundesgebiet geführt, wobei ergänzenden Informationen auch auf der Homepage der Kanzlei ersichtlich sind.


Nachfolgend einige Fragestellungen, welche im Bereich der bundesweiten Strafverteidigung bei § 184b StGB regelmäßig auftreten sowie insbesondere auch die aktuell wichtigen Entwicklungen:



1. Aktuelle Mindeststrafen bei § 184b StGB:


Die Strafnorm des § 184b StGB wurde in den letzten Jahren mehrfach verschärft. Während etwa im Jahr 2014 die Höchststrafe für den Besitz von Kinderpornografie noch bei 2 Jahren lag und damals die Mindeststrafe bei einer Geldstrafe begann, wurde das Gesetz nun derart verschärft, dass „bereits“ bei dem Besitz und/oder der Verbreitung von einem Bild (dies kann auch ein sogenanntes Posingbild sein) der Gesetzgeber auf eine Mindeststrafe von 1 Jahr Freiheitsstrafe entschieden hat. Damit ist der § 184b StGB in der aktuellen Fassung ein sogenannter „Verbrechenstatbestand“. Dies bedeutet, dass es sich um eine Strafnorm handelt, welche eben nicht nur als sogenanntes „Vergehen“ ausgestaltet ist, sondern zu den Straftaten gehört, die erst mit einer Mindeststrafe von nicht unter 1 Jahr beginnen.



2. Was ist das Problem bei der Strafhöhe?


Es ist völlig unstreitig, dass der Schutz von Kindern auch mit den Mitteln des Strafrechts gewährleistet sein muss. Der Tatvorwurf des Besitzes oder der Verbreitung von Kinderpornografie war noch nie ein Kavaliersdelikt! Die Schwierigkeit bei der Strafnorm des § 184b StGB in der aktuellen Fassung besteht allerdings darin, dass durch die gesetzliche Mindeststrafe von 1 Jahr Freiheitsstrafe in der Rechtsanwendungspraxis derart hohe Probleme entstehen, dass sich selbst viele Richter und Staatsanwälte eine Änderung der Norm und eine Entschärfung des § 184b StGB wünschen.


Eines der Probleme liegt etwa darin, dass die zu erwartenden Rechtsfolgen im Vergleich zu anderen Straftatbeständen, auch zu anderen Straftatbeständen aus dem Sexualstrafrecht, teilweise als „ungerecht“ bezeichnet werden müssen. So liegt etwa die gesetzliche Mindeststrafe für einen Täter, welcher bewusst einer anderen Person mit dem Stiefel ins Gesicht tritt und dadurch schwere Verletzungen verursacht, bei nur 6 Monaten. Weiterhin ist es so, dass die Mindeststrafe von 1 Jahr Freiheitsstrafe bereits ab einem Bild natürlich zu Schwierigkeiten in Fallkonstellationen führen kann, bei denen der Beschuldigte nicht ein Bild, sondern hundert Bilder, tausend Bilder, zehntausend Bilder, hunderttausend Bilder oder eine Millionen Bilder besessen und/oder verbreitet hat. Dies sind alles Größenordnungen, mit denen der Autor im Rahmen seiner Strafverteidigung bei § 184b StGB bereits in Kontakt gekommen ist bzw. die auch zum Arbeitsalltag gehören. Schwierigkeiten bestehen aber nicht nur für den Beschuldigten, sondern auch für die Justiz selbst. Bei einer Mindeststrafe von 1 Jahr Freiheitsstrafe ist es aus juristischen Gründen nicht mehr möglich, den Vorgang im schriftlichen Verfahren zu erledigen. Auch eine Verfahrenseinstellung gem. § 153a StPO, welche in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Verfahren erkämpft werden konnten, ist mit der aktuellen Fassung des § 184b StGB nicht möglich. Hinzu kommt natürlich auch eine entsprechenden Belastung und Überlastung der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Ein weiteres Problem besteht darin, dass durch die derzeit noch geltende starre Grenze bei der Freiheitsstrafe sinnvolle Lösungen im Einzelfall deutlich erschwert werden. Gerade in Fallkonstellationen, bei welchen große Mengen an legaler Pornografie vorhanden sind und im Verhältnis dazu eine derart geringe Menge an illegalen Inhalten, dass es sich offenkundig nicht um das eigentliche Interesse handelt, bestand bislang durchaus die berechtigte Hoffnung, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage zur Einstellung zu bringen, jedenfalls im Bereich einer Geldstrafe zu bleiben. Auch dies ist durch die aktuelle Fassung des § 184b StGB nicht möglich, weshalb die Norm eben auch einer massiven Kritik unterliegt.



3. Was sind die derzeit aktuellen Entwicklungen bei § 184b StGB:


Wegen der beschriebenen Bedenken und Schwierigkeiten bei § 184b StGB in der aktuell gültigen Fassung, wird die Norm nicht nur von Strafverteidigern, die sich in diesem Bereich spezialisiert haben, sondern auch von vielen Angehörigen der staatlichen Justiz kritisiert. Mittlerweile sind verschiedene Normkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig, mit denen im Ergebnis die Verfassungswidrigkeit der Norm gerügt wird. Dies teilweise mit dem Argument, dass ein Verstoß gegen das sogenannte Übermaßverbot vorliegt. In einem dieser Normkontrollverfahren liegt ein Fall zugrunde, in dem ein Kind ein Nacktbild an ein anderes Kind versandt hatte und die Mutter dieses zur Warnung an weitere Elternteile schickte. Diese Mutter hätte nun für die Warnung eine Mindeststrafe von 1 Jahr Freiheitsstrafe zu erwarten, welche eben nach dem Wortlaut des Gesetzes fällig wäre. Es war sodann der zuständige Richter, der das Normkontrollverfahren vor dem BVerfG angestoßen hatte (Az. 2 BvL 11/22). Mittlerweile wurde diese Verfassungsbeschwerde auf Ebene der Zulässigkeit verworfen. Weitere Verfassungsbeschwerden sind allerdings noch anhängig und eine endgültige Entscheidung durch das BVerfG in der Sache liegt noch nicht vor.


Zudem haben die Justizminister zahlreicher Bundesländer gegenüber dem Bundesjustizminister Kritik an der Ausgestaltung des § 184b StGB in der aktuellen Fassung geübt. Bei der Justizministerkonferenz am 10.11.2022 wurde der Bundesjustizminister daher von der Mehrheit der Landesjustizminister darum gebeten, die Strafschärfung des § 184b StGB wieder rückgängig zu machen bzw. die Norm zu entschärfen.


Hierzu gibt es nun eine weitere ganz aktuelle Entwicklung:


Das Bundesjustizministerium hat im November 2023 einen entsprechenden Referentenentwurf in die Ressortabstimmung gegeben. Dieser 11-seitige Entwurf soll zum Gegenstand haben, dass es zu einer erheblichen Reduzierung der Mindeststrafe bei § 184b StGB kommt. Insbesondere soll die Strafnorm des § 184b StGB wieder vom sogenannten „Verbrechen“ zum „Vergehen“ abgestuft werden. Die Mindeststrafe von 1 Jahr Freiheitsstrafe für den Besitz von Kinderpornografie würde demnach entfallen. Bislang ist dieser Referentenentwurf noch nicht zum Gesetzestext geworden. Es erscheint aber als äußerst realistisch, das seine solche Gesetzesentschärfung im Laufe des Jahres 2024 kommen wird.



4. Was sind die Konsequenzen für die Strafverteidigung?


Seitens des Autors wurden im Rahmen des bundesweiten Strafverteidigung bei Verfahren wg. Kinderpornografie bereits in der Vergangenheit Anträge auf Aussetzung des Verfahrens gestellt, sofern sich der Fall und das jeweilige Verfahrensstadium dafür eignete. Es zeigt sich nun, wie wichtig und richtig dieser Schritt im Einzelfall gewesen sein kann. Gerade in den Fallkonstellationen, bei denen sich das Gericht den Aussetzungsanträgen angeschlossen hat, besteht nun die Möglichkeit, dass die jeweiligen Beschuldigten von einer Entschärfung des Gesetzes profitieren können. Zur Vermeidung von Missverständnissen muss allerdings klar darauf hingewiesen werden, dass an dieser Stelle allgemeine Ausführungen im Internet eine einzelfallbezogene und individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen können. Die Erfordernisse einer engagierten und effektiven Strafverteidigung beim Tatvorwurf Kinderpornografie ergeben sich letztlich aus den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Erfahrung im Umgang mit diesen Fällen ist natürlich äußerst hilfreich, entbindet aber nicht von einer Beachtung der jeweiligen Besonderheiten, die eben auch außerhalb der rein juristischen Komponente, etwa bei den drohenden Konsequenzen im beruflichen oder sozialen Bereich liegen können. Es handelt sich insofern um absolut „klassenlose Delikte“, die in allen gesellschaftlichen Schichten und zu den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen begangen werden.



5. Was ist das NCMEC?


Strafverfahren wegen Kinderpornografie stehen heute häufig in einem Zusammenhang mit dem sogenannten NCMEC. Während in den vergangenen Jahren ein großer Anteil der Ermittlungsverfahren noch sogenannten anlassunabhängigen Kontrollen und Recherchen auf Tauschbörsen entstammten, geht mittlerweile eine ganz erhebliche Anzahl der Strafverfahren auf eine Mitteilung des National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC) zurück. Aufgrund eines US Bundesgesetzes sind u. a. US amerikanische Provider dazu verpflichtet, dort bekannt gewordene Inhalte mit sexualstrafrechtlicher Relevanz an das NCMEC zu übermitteln. Auf Ebene des NCMEC werden die Mitteilungen gesammelt und in sogenannte Cyber Tipline Report, dies sind standardisierte Berichte, verfasst. Das deutsche Bundeskriminalamt kann im Ergebnis auf diese Berichte Zugriff nehmen. Auf diesem Weg erhalten die deutschen Ermittlungsbehörden dann regelmäßig Daten, welche eine Zuordnung zwischen dem strafbaren Inhalt einerseits und der tatsächlich oder vermeintlich verantwortlichen Person andererseits ermöglicht. Je nach Fallkonstellation können dies insbesondere die sogenannte IP-Adresse, aber auch Mailadressen, Telefonnummer, Usernamen, eine User ID oder sonstige Informationen sein. Sofern eine IP-Adresse mitgeteilt wurde, was in einem weit überwiegenden Anteil der NCMEC Fälle zu unterstellen ist, erfolgt in aller Regel eine Anschlussinhaberfeststellung und dann eine Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen den Inhaber des Anschlusses und/oder gegen weitere Personen, welche in diesem Zusammenhang als Tatverdächtige aus Sicht der Ermittlungsbehörden in Betracht zu ziehen sind.



6. Welche Bedeutung hat die IP-Adresse im Detail?


Wie bereits ausgeführt, stellen viele Strafverfahren aus dem Bereich des § 184b StGB im Bereich mit NCMEC-Mitteilungen, die ihrerseits auch IP-Adressen enthalten. Diese IP-Adressen sind im Regelfall sogenannte dynamische IP-Adressen. Seitens der Ermittlungsbehörden wird teilweise die Ansicht vertreten, dass eine IP-Adresse bei der Frage der Beweislast vergleichbar mit einem Fingerabdruck sei. Dies ist allerdings nicht der Fall. Einerseits lässt sich durch eine IP-Adresse nicht sagen, wer in tatsächlicher Hinsicht zum damaligen Zeitpunkt das Speichermedium bzw. den Computer oder das Handy bedient hat. Zudem existiert als Sonderfall noch die Problematik des sogenannten „IP-Spoofing“. Dies umfasst vereinfacht ausgedrückt Fallkonstellationen, bei denen es zur Versendung von IP-Paketen mit verfälschten IP-Adressen des vermeintlichen aber nicht tatsächlichen Absenders kommt.



7. Spezialisiert auf Strafverteidigung bei § 184b StGB – Welche Informationen benötigt der Anwalt?


Häufig wird der Beschuldigte in einem Strafverfahren wegen Kinderpornografie erstmals im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung mit dem Tatvorwurf konfrontiert. Es ist völlig normal, dass dem Beschuldigten, gerade bei diesem Tatvorwurf, hierdurch völlig „der Boden unter den Füßen weggezogen“ wird. Es ist daher um so wichtiger, sich möglichst frühzeitig um eine effektive Strafverteidigung in diesem speziellen Bereich zu kümmern, damit keine inhaltlichen oder taktischen Fehler gemacht werden. Es gilt: Fehler im Ermittlungsverfahren sind nur äußerst schwer und im ungünstigsten Fall überhaupt nicht zu korrigieren. Im Rahmen eines ersten Gesprächs mit dem Strafverteidiger, sei es persönlich oder telefonisch, kann häufig bereits eine erste Weichenstellung vorgenommen und eine erfolgreiche Strafverteidigung vorbereitet werden. Zu den wichtigen Informationen für den Anwalt gehört dabei insbesondere die Mitteilung, welche Polizei bzw. welche Staatsanwaltschaft im Bundesgebiet zuständig ist. Dies ergibt sich in aller Regel aus dem Durchsuchungsbeschluss bzw. aus dem Sicherstellungsverzeichnis. Weiterhin ist die Mitteilung des Aktenzeichens sinnvoll. Bei entsprechender Fachkenntnis bestehen zahlreiche Möglichkeiten, um für ein möglichst optimales Resultat zu kämpfen. Dies unabhängig davon, ob der Vorwurf zutreffend oder unzutreffend erhoben wurde.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Fachanwalt für Strafrecht Steffen Lindberg MM

Beiträge zum Thema