Corona (Covid-19) - Schadensersatz für Betriebsschließungen aufgrund des erneuten "Lockdowns"

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I. Problemstellung

Im Rahmen der Bekämpfung der sog. „Corona-Pandemie“ haben sich Bund und Länder am 28.10.2020 auf einen erneuten (Teil-)Lockdown geeinigt. Mit Wirkung zum 02.11.2020 müssen sämtliche Gastronomiebetriebe geschlossen werden (ausgenommen: der sog. „Außerhausverkauf“). Viele Unternehmen werden hierdurch erhebliche Umsatzeinbußen erlitten. Ganze Branchen (insbesondere die Hotellerie und Gastronomie) sind von einer Pleitewelle bedroht.

 

Die getroffenen Maßnahmen sind ganz offensichtlich unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. In seiner täglichen Lageeinschätzung vom 20. Oktober 2020 (dort Seite 10) liefert das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Grafik, bei der die Infektionsumfelder „Übernachtung“ oder „Speisestätte“ praktisch keine Rolle spielen. Vielmehr schreibt das RKI, dass seit dem Sommer die Anzahl der Ausbrüche in privaten Haushalten, neben dem Arbeitsplatz und Freizeitaktivitäten, den größten Anteil an Ausbruchsituationen darstellen. Warum auf der einen Seite bestimmte Branchen ihren Betrieb ungehindert aufrechterhalten können (z.B. Supermärkte), während andere Branche als „Krisenherde“ gebrandmarkt werden, ist bei objektiver Betrachtung nicht nachzuvollziehen.

 

II. Rechtslage

Die betroffenen Gastronomen sollten rechtliche Schritte gegen die getroffenen Maßnahmen einlegen. Zusätzlich stehen den Gastronomen Schadensersatzansprüche gegen das jeweilige Bundesland zu, welches die rechtswidrigen Betriebsschließungen angeordnet hat. Hierbei kommen sowohl Ansprüche nach dem IfSG als auch Staatshaftungsansprüche in Betracht.

 

1. Entschädigungsansprüche nach dem IfSG

Zunächst stehen den betroffenen Gastronomiebetrieben Entschädigungsansprüche nach § 65 IfSG bzw. § 56 IfSG analog zu.       Für Unternehmen, die durch Maßnahmen der Infektionsprophylaxe geschädigt wurden, sieht das IfSG einen eigenen, verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch vor. In § 65 des IfSG heißt es hierzu (auszugsweise):

 

§ 65 Entschädigung bei behördlichen Maßnahmen

(1) Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 […] ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten […]. 

(2) […] Die Entschädigung für andere nicht nur unwesentliche Vermögensnachteile darf den Betroffenen nicht besserstellen, als er ohne die Maßnahme gestellt sein würde. Auf Grund der Maßnahme notwendige Aufwendungen sind zu erstatten.

 

Voraussetzung für einen solchen Entschädigungsanspruch sind Beeinträchtigungen des Unternehmens aufgrund von Maßnahmen der Behörden nach den §§ 16 und 17 IfSG (sog. „Infektionsprophylaxe“, also Maßnahmen, zur Verhütung übertragbarer Krankheiten). Solche Maßnahmen sind abzugrenzen von Maßnahmen der sog. „Infektionsbekämpfung nach §§ 28 ff. IfSG. Bei Maßnahmen nach § 28 IfSG ist kein Entschädigungsanspruch vorgesehen.

 

Gelegentlich wird daher angenommen, den betroffenen Gastronomen stünde ein Anspruch aus § 56 IfSG analog zu (vgl. Rommelfanger, COVuR 2020, 178). Nach diesseitiger Auffassung ist eine solche Analogie nicht erforderlich. Denn die Betriebsschließungen und die weiteren „Coronoaschutzmaßnahmen“ dürften regelmäßig unter den Begriff der Infektionsprophylaxe fallen. Ersichtlich knüpfen diese Maßnahmen nicht daran an, ob in dem konkreten Betrieb (oder Landkreis) überhaupt ein Coronafall festgestellt wurde. Eine „Bekämpfung“ eines konkreten Coronafalls wird durch die Betriebsschließungen nicht bewirkt. Vielmehr geht es um eine Maßnahme des Masseschutzes zur Vermeidung weiterer Infektionen.

 

Nach der herrschenden Kommentierung von § 16 IfSG fallen sämtliche notwendigen Präventivmaßnahmen unter den Anwendungsbereich von §§ 16 ff. IfSG (vgl. Erdle, § 28, Rn. 1, Gerhard; § 16, Anm. A. I.; Bales/Baumann, IfSG, § 28, Rn. 1). Dementsprechend gelangte z.B. auch das Verwaltungsgericht Köln in seinem Beschluss vom 20.03.2020 (7 L 510/20) zu dem Ergebnis, dass die Betriebsschließungen von Spielhallen Maßnahmen der Infektionsprophylaxe gemäß § 16 I IfSG darstellten. Auch Falter (Versicherungstip, Beilage zu Nr. 15/20) kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Betriebsschließungen um Maßnahmen der Infektionsprophylaxe handelt (ebenso Rommelfanger a.a.O. m.w.Nachw.).

 

Das RKI ordnet "Maßnahmen des Massenschutzes sowie begleitende allgemeine Maßnahmen" ganz klar der Infektionsprävention zu (vgl. RKI "Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie" unter "Infektionsprophylaxe", das Dokument ist auf der Homepage des RKI frei abrufbar). Wörtlich heißt es hierzu:

 

„Maßnahmen der Prävention (prevention) haben das allgemeine Ziel einer Verhütung des Auftretens von Infektionen oder das spezielle Ziel, neue Fälle im Laufe eines Geschehens zu verhüten (vorbeugender Infektionsschutz, → Infektionsprävention).“

 

Die Betriebsschließungen dienen ersichtlich dem Ziel, "neue Fälle zu verhüten" und damit - der Definition des RKI folgend - der Infektionsprävention im Sinne von § 16 IfSG.

 

Dementsprechend stehen den betroffenen Gastronomiebetrieben Entschädigungsansprüche gegen das Land NRW zu (vgl. § 66 I IfSG, „gegen das Land, in dem der Schaden verursacht worden ist“). Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Maßnahme an sich rechtmäßig war. Der Entschädigungsanspruch gemäß § 65 IfSG besteht grundsätzlich auch dann, wenn die jeweilige behördliche Maßnahme rechtmäßig erfolgt ist. Sollte sich zusätzlich herausstellen, dass eine behördliche Maßnahme nach dem IfSG rechtswidrig war (z.B. unverhältnismäßig), stehen dem betroffenen Unternehmen zusätzlich Staatshaftungsansprüche zu.

 

Ersetzt wird nach § 65 IfSG das „negative Interesse“, d.h., das betroffene Unternehmen wird so gestellt, wie es stünde, wenn die einschränkte Maßnahme nach dem IfSG nicht erfolgt wäre. Ferner besteht eine Pflicht, den Schaden so niedrig wie möglich zu halten. Zusätzlich dürfte regelmäßig ein sog. „entgangener Gewinn“ erstattungsfähig sein.

 

2. Staatshaftungsansprüche

Zusätzlich stehen den betroffenen Gastronomen Staatshaftungsansprüche zu. Das Eigentum iSv. Art 14 I S.1 GG umfasst nach gängiger Kommentierung die „Summe aller vermögenswerten Rechte, die dem Bürger durch das einfache Recht zugewiesen sind“ (BVerfGE83, 201, 209). Alle privaten vermögenswerten Rechte fallen daher unter den Begriff des Eigentums. Hierzu gehört u.a. auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Auch schuldrechtliche Ansprüche unterfallen dem Schutzbereich von Art. 14 I GG.

 

Art 14 III S.2 GG bestimmt schließlich: Eine Enteignung darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das „Art und Ausmaß der Entschädigung regelt“ (sog. Junktimklausel). Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Nach diesen Grundsätzen stellen die eingangs erläuterten „Coronaschutzmaßnahmen“ einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentum der betroffenen Gastronomiebetriebe dar.

 

Anschließend stellt sich die Frage, ob die Betriebsschließung und weiteren Einschränkungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Inhalts- und Schrankenbestimmungen dürfen nicht zu einer übermäßigen Belastung führen (Siegel, NVwZ 2020, 577; BVerfGE 110, 1, 28); der Kernbereich der Eigentumsgarantie darf nicht ausgehöhlt werden (BVerfGE 100, 226, 241).

 

Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob die Betriebsschließungen einzelner Branchen (Gastronomie, Hotellerie) zulässig sein können, wenn gleichzeitig andere Branchen unverändert ihren Betrieb aufrecht halten dürfen. Insofern ist insbesondere nicht einsichtig, warum Lebensmittelgeschäfte ihren Betrieb unter Beibehaltung von Abstandsregeln und Maskenpflicht fortführen dürfen, während in der Gastronomie zu derart drastischen Maßnahmen gegriffen wird. Beide Branchen dienen ersichtlich der sog. „Daseinsfürsorge“. Hier stellt die Gastronomie einen wichtigen Bestandteil dar, nicht zuletzt auch im Hinblick auf Menschen, die aufgrund des Alters oder einer Erkrankung nicht mehr in der Lage sind, selbst zu kochen. Eine sachliche Rechtfertigung, den Betrieb der Supermärkte ungehindert offen zu lassen (abgesehen von einer Abstandsregel von 1,5 m und einer Beschränkung der Zahl der zugleich anwesenden Personen) und zugleich den Betrieb der Gaststätten und Restaurants vollständig zu untersagen, ist nicht ersichtlich.

 

Ergänzend ist - wie eingangs angesprochen - zu beachten, dass das Infektionsgeschehen im Hotel- und Gastronomiegewerbe sehr überschaubar ist. Die eingangs erläuterten Feststellungen des RKI lassen erkennen, dass das eigentliche Risiko vielmehr im privaten Bereich liegt.

 

Nun könnte man einwenden, dass für Restaurants der Außerhausverkauf erlaubt bleibt. Allerdings hat bereits der erste Lockdown im Frühjahr 2020 gezeigt, dass ein Außerhausverkauf nicht ansatzweise den Umsatzausfall des regulären Restaurantbetriebs auffangen kann. Nach Mitteilung der DEHOGA NRW konnte der Außerhausverkauf die drohende Insolvenz der Betriebe keineswegs verhindern. Im Übrigen liegt auch insofern eine unangemessene Benachteiligung vor: Auch Lebensmittelgeschäfte hätte man insofern einschränken können, dass dort nur noch ein Außerhausverkauf erlaubt wird. Hierauf hat der Gesetzgeber jedoch bewusst verzichtet.

 

Zwar ist dem Verordnungsgeber grundsätzlich ein Einschätzungs- bzw. Prognosespielraum zuzubilligen (vgl. z.B. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.05.2020 - OVG 11 S 51/20). Nach diesseitiger Auffassung ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass diese Maßgaben hier eingehalten werden. Warum das Infektionsrisiko in einem Supermarkt geringer sein soll, als in einem Restaurant (bei gleichen Abstandsregel, gleicher Maskenpflicht) erschließt sich nicht. Ebensowenig ist nachvollziehbar, warum z.B. der Einzelhandel mit Möbeln weniger „gefährlich“ sein sollte, als der Verkauf von zubereiteten Speisen. Schließlich ist nicht ersichtlich, warum der Außerhausverkauf für Supermärkte gar nicht in Erwägung gezogen wurde.

 

Darüber hinaus ist auch nach den weiteren Erkenntnissen des RKI aus dem Frühjahr 2020 zweifelhaft, ob Betriebsschließungen irgendeine größere Auswirkung auf das Infektionsgeschehen haben. Nach dem „Epidemiologische Bulletin“ des RKI 17/2020, dort Seite 14, sank die sog. „Reproduktionszahl“ R bereits seit dem 10.03.2020 auf einen Wert nahe Null. Die Daten des RKI lassen erkennen, dass die Reproduktionszahl R bereits seit dem 10.03.2020 deutlich zurückging. Durch die Ende März 2020 folgenden Betriebsschließungen wurde hierbei keine signifikante Veränderung bewirkt.

 

Zusammenfassen ist daher festzustellen, dass die ab dem 02.11.2020 geltenden Betriebsschließungen nicht verhältnismäßig und damit rechtswidrig sind. Die betroffenen Unternehmen sollten daher rechtliche Schritte gegen diese Maßnahmen einlegen. Zusätzlich stehen den betroffenen Unternehmen neben Entschädigungsansprüchen nach dem IfSG auch Staatshaftungsansprüche zu. Betroffene Unternehmen sollten daher anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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