Das Absehen vom Regelfahrverbot Teil 1: Allgemeines

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Das Absehen vom Regelfahrverbot ist mit den Jahren und der sich wandelnden Rechtsprechung zu einer größeren Herausforderung geworden. Wie der Name Regelfahrverbot schon sagt, ist die Anordnung des Fahrverbotes die Regel und es kann nur in besonderen von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmesituationen von diesem abgesehen werden.

Voraussetzung für ein Absehen kann ein langer Zeitablauf zwischen Tat und Urteil, ein (vermeidbarer) Verbotsirrtum, rechtfertigender Notstand, das Vorliegen von Augenblicksversagen (dazu wird ein eigener Beitrag folgen), eine aus dem Fahrverbot resultierende konkrete Existenzgefährdung (dazu wird ein eigener Beitrag folgen) oder eine andere besondere persönliche Härte (dazu wird ebenfalls ein eigener Beitrag folgen) das Vorliegen von Augenblicksversagen sein.


Wann wird ein Regelfahrverbot angeordnet?

Die nachfolgende Aufzählung ist nicht abschließend. Erfasst jedoch die relevantesten Konstellationen.

  • Bei einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ab 31 Km/h     
  • Bei einer außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ab 41 Km/h
  • Bei zwei Geschwindigkeitsüberschreitungen innerhalb eines Jahres um 26 Km/h
  • Bei einfachem Rotlichtverstoß mit Gefährdung oder Sachbeschädigung
  • Bei qualifiziertem Rotlichverstoß
  • Bei einem Handyverstoß mit Gefährdung oder Sachbeschädigung
  • Bei einem Abstandsverstoß ab 100 Km/h und weniger als 3/10 des halben Tachowertes
  • Bei einem Alkohol- oder Drogenverstoß
  • wenn unter Verstoß gegen die     Wartepflicht der Bahnübergang überquert wurde,    
    • obwohl rotes Blinklicht oder gelbe oder rote Lichtzeichen gegeben wurden,
    • obwohl die Schranken sich senkten,
    • obwohl ein Bahnbediensteter Halt gebot,
    • obwohl ein hörbares Signal eines herannahenden Zuges ertönte.    
  • Wenn auf der durchgehenden Fahrbahn gewendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung gefahren wurde
  • wenn beim Abbiegen keine Rücksicht auf Fußgänger genommen wurde
  • Bei einem Überholmanöver mit Gefährdung oder Sachbeschädigung  
  • wenn keine Rettungsgasse gebildet oder die Rettungsgasse benutzt wurde
  • wenn keine freie Bahn für eine Einsatzfahrzeug mit blauem Blinklicht und Einsatzhorn geschaffen


Welchen Zweck verfolgt die Anordnung eines Regelfahrverbotes?

Die Anordnung eines Fahrverbotes soll bei dem Betroffenen eine Denkzettel und Besinnungsfunktion erfüllen. Diese Denkzettel und Besinnungsfunktion soll dazu beitragen, dass sich der Betroffene in der Zukunft verkehrsrechtlich ordnungsgemäß verhält. Um den verfolgten Erziehungszweck zu erreichen, sollen mit dem Fahrverbot für den Betroffenen persönliche und wirtschaftliche Erschwernisse einhergehen (OLG Koblenz, Beschluss vom 24.07.2018, 1 OWi 6 Ss Bs 67/18).


Absehen vom Regelfahrverbot wegen langen Zeitablauf zwischen Tat und Urteil

Von der Verhängung des an sich gebotenen Fahrverbotes kann jedoch abgesehen werden, wenn durch die Anordnung des Fahrverbots, der bezweckte Erziehungserfolg nicht mehr erreicht werden kann.

Die ist der Fall, wenn die zu ahnende Tat bereits so lange zurückliegt, das die bezweckte Deckzettel und Besinnungsfunktion nicht mehr erforderlich ist.

Nicht mehr erforderlich ist diese, wenn die Verzögerung des Verfahrens nicht vom Betroffenen oder seinem Verteidiger verschuldet wurde und der Betroffene seit der Tat keine weiteren Verkehrsverstöße mehr begangen hat.


Absehen vom Fahrverbot wegen (vermeidbarem) Verbotsirrtum

Ein Verbotsirrtum im verkehrsordnungsrechtlichen Bereich liegt vor, wenn der Betroffene die Beschilderung zwar vollständig und optisch richtig wahrgenommen hat, jedoch aufgrund mangelnder aktueller Kenntnisse der Straßenverkehrsvorschriften diese falsch gewertet oder interpretiert hat.

Ein solcher Irrtum kann dazu führen, dass sich der begangene Verstoß nicht mehr als „grober“ Pflichtenverstoß darstellt. Ist der Verstoß nicht mehr als „grob“ zu bewerten, kann von der Anordnung des Regelfahrverbotes abgesehen werden. In diesem Fall ist auch keine Erhöhung der Regelgeldbuße geboten.

Es bleibt jedoch festzuhalten, dass nicht jeder vermeidbare Verbotsirrtum zu einem Entfallen des Regelfahrverbotes führt (OLG Bamberg, Beschluss vom 01.12.2015, 3 Ss OWi 834/15):

Erforderlich ist stets eine umfassende einzelfallbezogene Abwägung und Gewichtung sämtlicher erkennbarer Umstände und eine hierauf aufbauende Gesamtschau. Denn ein vermeidbarer Verbotsirrtum kann, muss aber den Schuldvorwurf nicht unter allen Umständen mindern. Nur sofern er ihn im Einzelfall wirklich mindert, ist eine entsprechende Milderung geboten.

Die Anerkennung einer Privilegierungswirkung und ihr möglicher Umfang hängen im Falle des vermeidbaren Verbotsirrtums mit Blick auf ein bußgeldrechtliches Fahrverbot entscheidend vom Grad der Vermeidbarkeit für den Betroffenen ab. Die Anerkennung einer Privilegierung hinsichtlich eines an sich verwirkten Fahrverbots, seiner Dauer oder seines Umfangs bedarf daher auch in den Fällen des vermeidbaren Verbotsirrtums regelmäßig ergänzender, dem Tatrichter vorbehaltener Wertungen und demgemäß korrespondierender tatsächlicher Feststellungen, [...]


Absehen vom Fahrverbot bei Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands

Ein rechtfertigenden Notstand liegt vor, wenn der Verstoß zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre oder Eigentum begangen wurde, die Gefahr nicht auf andere Weise hätte abgewendet werden können und das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.

Ein rechtfertigender Notstand wird bejaht, wenn eine Person in Lebensgefahr schwebt und schnellstmöglich ins Krankenhaus verbracht werden muss. In diesem Zusammenhang muss jedoch das Rufen eines Rettungswagens ausscheiden, weil die Dringlichkeit ein sofortiges Handeln gebietet.

Bei akut auftretendem Durchfall während der Fahrt, kann ein rechtfertigender Notstand vorliegen, wenn dieser plötzlich und völlig unerwartet aufgetreten ist. In diesen Fällen muss jedoch dennoch die nächstgelegende Raststätte angefahren werden. Aufgrund der Geschwindigkeitsüberschreitung darf es zudem zu keiner Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kommen.

Sofern man aufgrund einer Erkrankung davon ausgehen muss, dass bei einem plötzlich ein akuter Stuhlgang einsetzt, hat man diese Möglichkeit entsprechend einzuplanen und Maßnahmen zu treffen, die einen Verkehrsverstoß von vornherein verhindern.

Kein rechtfertigender Notstand liegt vor, wenn der Ehemann seine schwangere Frau in den Wehen ins Krankenhaus fährt und dabei die Geschwindigkeit überschreitet, da in diesem Fall keine Gefahr für Leib oder Leben besteht.


Fazit:

Von einem Regelfahrverbot kann abgesehen werden, wenn besondere Umstände im Einzelfall den Verstoß als nicht „grob“ im Sinne des Gesetzes erscheinen lassen. Das Fahrverbot soll für besonders grobe und rücksichtslose Verstoße angeordnet werden und eine Erziehungsfunktion für den Betroffenen erfüllen. Liegt die Tat bereits sehr lange zurück, kann vom Fahrverbot abgesehen werden, wenn der Erziehungszweck nicht mehr notwendig ist. Hat der Betroffene bei Begehung des verkehrsrechtlichen Verstoß einem Verbotsirrtum unterlegen kann das Fahrverbot ebenfalls entfallen, sofern der Irrtum im Einzelfall nachvollziehbar und den Verstoß als nicht „grob“ erscheinen lässt. Ein verkehrsrechtlicher Verstoß kann im Einzelfall gerechtfertigt sein und zum Entfallen des Fahrverbotes führen, wenn er zur Abwendung einer Gefahr für Leib oder Leben erfolgen musste und das geschützte Interesse deutlich überwiegt.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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