Das neue Punktesystem – der Versuch einer Bilanz

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Im Jahr 2014 wurde nach langer Vorbereitungszeit aus dem Verkehrszentralregister (VZR) das Fahreignungsregister – ein Kind des damaligen Verkehrsministers Ramsauer reformiert. Zweck der Reform sollte unter anderem eine Vereinfachung des Systems werden, damit auch der (betroffene) Laie durchschaut, wie es um ihn in Flensburg bestellt ist. Dieses Ziel wurde jedenfalls nicht erreicht. Nach wie vor sind die individuelle Situation und die Auswirkungen neuerlicher Zuwiderhandlungen nur für Experten durchschaubar.

Das neue System ist zwar nun bald 3 Jahre in Kraft; dennoch ist die Übergangsphase mit speziellen Regeln für die Alteintragungen aus der Zeit vor dem 01.05.2014 noch nicht abgeschlossen. Daraus folgen allerdings keine Besonderheiten, die für sich genommen für Unklarheiten sorgen. Dazu ist das neue System aus sich selbst heraus in der Lage.

Verteilung von Punkten und deren Tilgung

Die Basis ist, wenn man die Vorschriften im Paragraphendschungel gefunden hat (Punktesystem in § 4 Straßenverkehrsgesetz in Verbindung mit Anlage 13 zur Fahrerlaubnisverordnung), dennoch einfach:

  • ein Punkt für weniger schwerwiegende Ordnungswidrigkeiten,
  • zwei Punkte für besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeiten und Straftaten ohne Entziehung der Fahrerlaubnis sowie
  • drei Punkte für Straftaten mit Entziehung der Fahrerlaubnis.

Um zu verstehen, wie sich Punkte auswirken, insbesondere wie lange sie einem in Flensburg erhalten bleiben, interessiert die Eintragungszeit. Geregelt ist die Dauer der Eintragung über die Länge der Tilgungsfrist (§ 29 Straßenverkehrsgesetz). Getilgt wird nach 2½ Jahren, nach 5 Jahren oder nach 10 Jahren.

Die erste Hürde für die Beurteilung seiner Situation umgeht der Laie meist unbemerkt. Gerechnet wird nämlich nicht vom Tattag der jeweiligen Zuwiderhandlung an, sondern in der Regel ab ihrer Rechtskraft (§ 29 Abs. 4 StVG). Auch davon gibt es aber (natürlich nachteilige) Ausnahmen. Bei Verzicht, Versagung oder Entziehung der Fahrerlaubnis beginnt die Tilgungsfrist erst mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis oder spätestens 5 Jahre nach der Rechtskraft der beschwerenden Entscheidung.

Beispiel 1:

Wer noch nach dem alten System ein angeordnetes Aufbauseminar versäumte, bekam die Fahrerlaubnis entzogen, aber seinen Führerschein bei Nachholung des Seminars zurück. Die Entziehung wurde in Flensburg mit 10-jähriger (!) Tilgungsfrist, beginnend ab Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, eingetragen. Diese langjährige Eintragung wiederum hemmte für die Dauer ihrer Eintragung die Tilgungsfristen anderer Eintragungen, sodass beispielsweise Bußgeldeintragungen nicht nach 2 Jahren, sondern erst nach 5 Jahren wieder verschwanden. In solchen Fällen wirkt das alte Recht übrigens auch heute noch fort.

Überliegefrist und Tatzeitprinzip

Ganz und gar undurchsichtig wird es für den Betroffenen mit den Begriffen „Überliegefrist“ und „Tatzeitprinzip“ (oder „Tattagprinzip“). Das Gesetz spricht im Fahreignungsregister von Tilgung und Löschung. Getilgt wird nach Ablauf oben genannter Tilgungsfristen, gelöscht erst nach Ablauf der Überliegefrist, die ein Jahr, beginnend mit der Tilgung, beträgt. Eine sich in der Überliegefrist befindende Eintragung darf im Bußgeld- oder Strafverfahren vom Gericht nicht mehr verwertet werden. Entscheidend kann aber sein, dass die Fahrerlaubnisbehörde solche getilgten Zuwiderhandlungen noch berücksichtigen darf. Das führt uns zum Tatzeitprinzip. Im Straßenverkehrsgesetz ist geregelt, dass Punkte bereits ab dem Tattag entstehen, lediglich die Tilgungsfrist beginnt erst am Tag der Rechtskraft des abgeschlossenen Verfahrens. Natürlich kann auch erst ab dann eine Tat in Flensburg im Register eingetragen werden, was kurze Zeit später dazu führt, dass auch die Fahrerlaubnisbehörde davon erfährt.

Beispiel 2:

Wer also am 1. April 2014 zu schnell war und erst nach zwei Rechtszügen und Durchlaufens eines Rechtsbeschwerdeverfahrens am Oberlandesgericht am 2. Januar 2017 verurteilt ist, besitzt die dazugehörigen Punkte schon ab 1. April 2014 und behält sie nun auch noch für die Dauer der Tilgungsfrist ab Rechtskraft des Verfahrens! Das können also weitere 5 Jahre sein und damit insgesamt ca. 8 Jahre. Wenn dieser Betroffene zudem im März 2016 noch 6 Punkte hatte (die Tilgung alter Punkte erfolgte vielleicht erst im Mai 2016) und damals auch bereits von der Fahrerlaubnisbehörde ermahnt und verwarnt war, wird ihm nun im Jahr 2017 die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis entziehen, weil er in der Zeit bis März 2017 die Grenze von 7 Punkten überschritten hatte. Entziehung heißt dann, dass die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erst nach mindestens 6-monatiger Sperre und Absolvierung einer positiven medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) geschehen darf (Kosten ab 1.500 Euro aufwärts).

Erst nach Ablauf der Überliegefrist erfolgt im Fahreignungsregister in Flensburg die Löschung einer Eintragung und erst ab dann darf die Fahrerlaubnisbehörde solche Alteintragungen nicht mehr zu Lasten des Betroffenen verwerten. Dieses Prinzip ist im Einzelfall nicht einmal unumstritten, wie ein Verfahren mit einer niedersächsischen Fahrerlaubnisbehörde zeigt. Dort war auch das Verwaltungsgericht in erster Instanz noch der Meinung, dass es auf eine zwischenzeitliche Löschung nicht ankommt und solche gelöschten Eintragungen im Rahmen des Tatzeitprinzips noch verwertbar sind. Das Oberverwaltungsgericht muss es nun richten.

Fazit: Das Punktesystem bleibt unübersichtlich. In verkehrsstrafgerichtlichen Entscheidungen (Strafbefehle oder Urteile) wird auf die Punktefolge nicht hingewiesen. Mit Beginn des neuen Systems haben bei uns Fälle mit Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde stark zugenommen. Diese Beobachtung teilen auch andere Kanzleien, die im Verkehrsrecht tätig sind.

RA Klaus Kucklick, Fachanwalt für Verkehrsrecht, ADAC-Vertragsanwalt, Tel. (0351) 80 71 8-70, kucklick@dresdner-fachanwaelte.de

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