Das Pflichtteilsrecht in Frankreich – ein aktueller Überblick

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Vorbemerkung

Das Pflichtteilsrecht wurde zum 01.01.2007 in Frankreich in weiten Teilen neu geregelt. Obwohl diese Reform somit bereits einige Zeit zurückliegt, sind wichtige Gesichtspunkte in weiten Kreisen immer noch unbekannt.

Deshalb soll in diesem Beitrag ein Überblick gegeben, wie sich das Pflichtteilsrecht nach derzeitiger Rechtslage in Frankreich darstellt.

1. Wer ist überhaupt pflichtteilsberechtigt?

1.1. Die Kinder

Pflichtteilsberechtigt sind die Kinder des Erblassers/der Erblasserin und falls ein Kind vorverstorben ist, an dessen Stelle dessen Abkömmlinge (Repräsentationsprinzip).

1.2. Der Ehegatte

Der überlebende Ehegatte ist nur dann pflichtteilsberechtigt, wenn keine Kinder vorhanden sind. Die Kinder schließen also einen Pflichtteilsanspruch des Ehegatten aus.

Dem überlebenden Ehegatten steht aber ein Wohnrecht an der gemeinsam genutzten Ehewohnung und darüber hinaus bei Bedürftigkeit, die allerdings bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls bestanden haben muss, ein Unterhaltsanspruch zu.

Soweit es das Wohnrecht angeht, ist dies lebzeitig, es sei denn, der Erblasser hätte dies durch notarielles Testament ausgeschlossen. In diesem Fall beträgt das Wohnrecht dann ein Jahr.

Außerdem wurden die Rechte des überlebenden Ehegattendurch die Reform indirekt dadurch verstärkt, dass das Pflichtteilsrecht der Eltern und Großeltern, welches früher bei fehlenden Abkömmlingen bestand, ersatzlos gestrichen worden ist.

Hinzu kommt weiter, dass die Rechte pflichtteilsberechtigter Kinder durch güterrechtliche Regelungen oder auch Schenkungen auf den Todesfall deutlich geschmälert werden können.

Zu beachten ist außerdem, dass dem überlebenden Ehegatten, der im gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft gelebt hat, aufgrund der Beendigung durch Tod des anderen ein Anspruch auf 1/2 dessen zusteht, was zum Gemeinschaftsgut gehört. Nur die andere Hälfte fällt überhaupt in den Nachlass und ist damit pflichtteilsrelevant!

2. Wie hoch sind die Pflichtteilsquoten?

2.1. Die Kinder

Ist ein Kind vorhanden, beträgt sein Pflichtteil 1/2 des Nachlasses, sind zwei vorhanden, steht jedem Kind 1/3 des Nachlasses zu, bei drei Kindern jedem Kind 1/4 und bei einer noch größeren Anzahl die Quote, die sich ergibt, wenn 3/4 des Nachlasses unter diesen Kindern zu gleichen Teilen aufgeteilt werden.

Eine Schmälerung dieser Rechte zu Gunsten des überlebenden Ehegatten kann sich dabei aber dadurch ergeben, dass die Ehegatten auf den Todesfall vereinbaren können, dem überlebenden Ehegatten 1/4 des Nachlasses zu Volleigentum und hinsichtlich der anderen 3/4 ein Nießbrauchsrecht oder alternativ auch ein Nießbrauchsrecht am gesamten Nachlass einzuräumen.

Abgesehen von der Möglichkeit, dieses Nießbrauchsrecht durch Zahlung einer Leibrente abzulösen (Ablösungsrecht), was durch Vereinbarung nicht ausgeschlossen werden kann, bleibt den pflichtteilsberechtigten Kindern in diesem Fall der Zugriff auf den Nachlass zu Lebzeiten des überlebenden Ehegatten faktisch verwehrt.

Derselbe Effekt tritt gegenüber leiblichen Kindern der Ehegatten weiterhin dann ein, wenn diese ihr gesamtes Vermögen in eine Gütergemeinschaft einbringen und vereinbaren, dass diese bei dem Ableben eines von ihnen mit dem anderen Ehegatten fortgesetzt werden soll.

Die Einzelheiten hierzu hat der Verfasser in seinem Rechtstipp vom 14.01.2018 unter dem Titel „Erbrecht in Frankreich: Kein Berliner Testament, aber dafür eine elegante güterrechtliche Lösung!“dargestellt, sodass darauf verwiesen werden kann.

2.2. Der Ehegatte

Soweit es den Pflichtteilsanspruch des überlebenden Ehegatten angeht, der, wie dargestellt, nur dann zum Zuge kommt, wenn keine Kinder bzw. Abkömmlinge vorhanden sind, so beträgt dieser 1/4 des Nachlasses.

3. Woraus berechnen sich die Pflichtteilsquoten?

Die Pflichtteilsquoten, anhand derer dann auch zu bestimmen ist, ob diese durch lebzeitige oder testamentarische Verfügungen beeinträchtigt sind, sindnicht nur anhand des vorhandenen Nachlasses zu berechnen, sondern unter Hinzurechnung, ohnejede zeitliche Grenze, sämtlicher Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten vorgenommen hat.

Insoweit ist der Pflichtteilsberechtigte also deutlich bessergestellt als nach deutschem Recht, wo solche Schenkungen, unter dem Gesichtspunkt von Pflichtteilsergänzungsansprüchen, nur zu berücksichtigen sind, soweit sie nicht mehr als zehn Jahre, gerechnet ab dem Erbfall, zurückliegen.

4. Welche Rechtsfolge ergibt sich bei einer Beeinträchtigung von Pflichtteilsrechten?

Die Neuregelung: Geldanspruch statt Noterbrecht!

Hinsichtlich dieser Frage hat die Reform 01.01.2007 zu einer fundamentalen Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage geführt.

Frühere Rechtslage

Nach der früheren Rechtslage war der Pflichtteilsanspruch als echtes Noterbenrecht ausgestaltet. Dies bedeutete zunächst einmal, dass der Pflichtteilsberechtigte vom Begünstigten, soweit dieser nicht zugleich gesetzlicher Erbe war, immer im Umfang seiner Beeinträchtigung die Herausgabe des verschenkten Gegenstandes verlangen konnte.

Weiterhin ergab sich daraus, dass beispielsweise ein pflichtteilsberechtigtes Kind, das zu Gunsten der Geschwister durch Testament vollständig enterbt worden war, rechtlich weiterhin Mitglied der Erbengemeinschaft war und ihm in Höhe seiner Quote die gleichen Rechte wie den übrigen Erben zustanden. Eine Erbauseinandersetzung konnte somit nicht ohne seine Mitwirkung erfolgen.

Neue Rechtslage

Nach der gesetzlichen Neuregelung ist der Pflichtteilsanspruch nur noch ein Wertersatzanspruch, d. h. der Pflichtteilsberechtigte hat somit nur noch einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Geld (Art. 924 Code civil), von zwei Ausnahmen abgesehen, die aber dieses Grundprinzip in keiner Weise infrage stellen.

Die eine Ausnahme besteht darin, dass der Begünstigte und damit Verpflichtete, die Zahlung nach seiner Wahl vermeiden kann, in dem er den Gegenstand lastenfrei zurückgibt (Art. 924-1 Code civil).

Die andere Ausnahme betrifft die Insolvenz des Begünstigten. In diesem Fall kann der Pflichtteilsberechtigte, der vom insolventen Begünstigten keine Befriedigung erlangen kann, von einem Dritten, an den vom insolventen Begünstigten der Gegenstand unentgeltlich weitergegeben worden ist, diesen heraus verlangen.

Aber auch dieser Anspruch ist insoweit eingeschränkt, als der Dritte diese Herausgabe Natur durch Zahlung abwenden kann und bei beweglichen Gegenständen ist er sogar ganz ausgeschlossen, soweit in der Person des Dritten die Voraussetzungen für einen gutgläubigen Erwerb gegeben sind.

Neueste Rechtsprechung

Diese fundamentale Änderung, die dieses Umstellen auf eine Entschädigung in Geld in ihren Rechtsfolgen mit sich gebracht hat, ist von der Cour de cassation, also dem höchsten französischen Gericht in Zivilsachen, erst kürzlich, mit Urteil vom 11.05.2016 (Nr.14-16.967) bestätigt worden.

Dort wurde mit der Begründung des jetzt nur noch bestehenden Anspruches in Geld festgestellt, dass zwischen dem Pflichtteilsberechtigten und einemtestamentarischen Alleinerben keine Erbengemeinschaft(„indivision“) besteht und der Pflichtteilsberechtigten deshalb auch keine erbrechtlichen Ansprüche, wie z. B. unter bestimmten Voraussetzungen eine Bevorzugung bei der Erbauseinandersetzung geltend machen kann.

5. Gegen wen richtet sich der Pflichtteilsanspruch?

Grundsätzlich richtet sich dieser Geldanspruch gegen den Begünstigten und nicht gegen die Erben, es sei denn, es bestünde Identität. Diese Situation unterscheidet sich also wesentlich vom deutschen Recht, wo sich die Forderung grundsätzlich gegen den Nachlass richtet.

Ist der Pflichtteil durch mehrere Verfügungen beeinträchtigt, so richtet sich der Anspruch zunächst gegen die Testamentserben, erst dann gegen die Beschenkten und hier zunächst gegen diejenigen, die die zeitlich jüngsten Schenkungen erhalten haben.

6. Gibt es einen Auskunftsanspruch?

Ein besonders normierter gesetzlicher Auskunftsanspruch bezüglich solcher Empfänge besteht nicht.

Ein mittelbarer Druck zur ordnungsgemäßen Auskunft besteht gegenüber Miterben aber deshalb, weil andernfalls im Regelfall der Tatbestand der Nachlassunterschlagung erfüllt wäre. Dies hätte zur Folge, dass der unterschlagene Gegenstand selbst bei eigener Pflichtbeeinträchtigung zurückzugeben wäre und darüber hinaus für sämtliche Nachlassschulden persönlich, ohne Beschränkungsmöglichkeit, gehaftet würde.

Darüber hinaus besteht nach den allgemeinen Regeln (Art. 145 CPC = französische ZPO) die Möglichkeit, einen Sachverständigen zur Auskunftseinholung, insbesondere auch bei Kreditinstituten, bestellen zu lassen, wofür der Antragsteller aber zumindest Ansatzpunkte für eine mögliche Pflichtteilsbeeinträchtigung darlegen muss, andernfalls es an dem erforderlichen „berechtigten Interesse“ für eine solchen Antrag fehlt.

7. Die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs

Die Verjährungsfrist für den Pflichtteilsanspruch beträgt 5 Jahre ab Erbfall, alternativ 2 Jahre ab Kenntnis der nachteiligen Verfügung, höchstens aber 10 Jahre nach dem Erbfall.

8. Zusammenfassung

Im Verhältnis zum überlebenden Ehegatten privilegiert das heutige Pflichtteilsrecht immer noch die Kinder bzw. deren Abkömmlinge.

Ausgleichsmaßnahmen stellen das gesetzliche Wohnrecht an der gemeinsamen Ehewohnung und bei zum Zeitpunkt des Erbfalls bestehender Bedürftigkeit der Unterhaltsanspruch dar. Das gesetzliche Wohnrecht kann allerdings vom Erblasser durch notarielles Testament auf ein Jahr reduziert werden.

Umgekehrt können die Pflichtteilsrechte der Kinder aber durch güterrechtliche Vereinbarungen oder Schenkungen auf den Todesfall geschmälert werden.

Die wichtigste Neuerung, die sich aus der Reform zum 01.01.2007 ergibt, ist die Umstellung des Pflichtteilsanspruchs auf einen reinen Geldanspruch.

Dies bedeutet zugleich, dass der Pflichtteilsberechtigte, der durch ein Testament zu Gunsten eines anderen enterbt wird, kein Mitglied der Erbengemeinschaft mehr ist.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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