Umorganisationsverlangen des BU-Versicherers bei Selbstständigen als Inhaber von Kleinstbetrieben

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1. Leistungen aus einem privaten Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag kann grundsätzlich nur verlangen, wer „berufsunfähig im Sinne der Bedingungen“ ist. Dies lässt sich bei abhängig Beschäftigten („Arbeitnehmern“) noch einigermaßen präzise anhand der zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit bei unterstelltem Verzicht auf eine abstrakte Verweisbarkeit bestimmen. Dies lässt sich bei überwiegend gleichförmigen Tätigkeiten plastisch in Form eines „Stundenplans“ darstellen, in welchem zunächst die auszuübende Tätigkeit näher beschrieben wird, sodann die hierzu erforderlichen körperlichen oder geistigen Leistungen benannt und schließlich der Grad, der durch genau bezeichnete körperliche /geistige Einschränkungen hervorgerufenen Beeinträchtigungen anzugeben ist. Es handelt sich hierbei um eine quantitative Betrachtungsweise, bei welcher die Leistungsfähigkeit in erster Linie anhand der Arbeitszeit ermittelt wird. Anspruchsteller wie auch die sie vertretenden Anwälte sind deshalb gut beraten, größte Sorgfalt auf eine präzise Darstellung zu verwenden, insbesondere aber zu geringe Zeitangaben zu vermeiden.

2. Nach den gängigen Versicherungsbedingungen ist berufsunfähig, wer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande ist, diese Leistung zu mindestens 50 % zu erbringen. In den meisten Bedingungen ist eine Erstreckung auch für den Fall der Pflegebedürftigkeit vorgesehen, wobei diese dann ebenfalls per näher definierter Voraussetzungen zu bestimmen ist. Hintergrund dieser Betrachtung ist, dass der durchschnittliche Arbeitnehmer keinerlei Einflussmöglichkeit auf die ihm vorgegebenen Arbeitsbedingungen nach Zeit, Ort und Umständen hat, er also dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterworfen ist und regelmäßig keinen Anspruch darauf hat, für sich Arbeitserleichterungen einzufordern, die ihm eine Leistungserbringung von jedenfalls 50 % z. B. durch Anwendung niedrigerer Leistungsmaßstäbe oder Erwartungen ermöglichen. Letztlich entscheidet also auf einen schlüssigen Klagevortrag der gerichtlich beauftragte medizinische Sachverständige über den Erfolg oder Misserfolg der Klage.

3. Wesentlich differenzierter sind die Anforderungen der Rechtsprechung an das Vorliegen einer bedingungsmäßigen Berufsunfähigkeit bei Selbstständigen, insbesondere mitarbeitenden Betriebsinhabern. Regelmäßig und in den Bedingungen vorgesehen wird vorab eine Darstellung des Betriebsablaufs sowie der konkreten Tätigkeit der dort Beschäftigten verlangt. Hierbei reicht eine schlagwortartige Beschreibung (z. B. Frau T. ist als Buchführungskraft, Herr A. als Maschinenführer … beschäftigt) nicht aus, vielmehr ist, ähnlich wie oben dargestellt, eine stundenplanartige Beschreibung eines jeden Arbeitsplatzes erforderlich. Dies gilt jedenfalls für diejenigen Plätze, auf welche der Betriebsinhaber ohne Ansehensverlust und entsprechend seinen Kenntnissen und Fähigkeiten unter Umständen verwiesen werden könnte. Sinnvollerweise ist der jeweilige Mitarbeiter hierzu als Zeuge zu benennen.

Im nächsten Schritt ist die Tätigkeit des Betriebsinhabers „in gesunden Tagen“ soweit möglich, ebenfalls stundenplanartig darzustellen und unter Beweis zu stellen. Hierbei wird sich regelmäßig ergeben, dass der Betriebsinhaber neben Tätigkeiten, die ähnlich wie die von angestellten Mitarbeitern ausgestaltet sind, viel Zeit für die eigentliche Betriebsführung und -organisation erbringen muss. Anschließend ist darzustellen, weshalb der Betriebsinhaber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, näher bestimmte Tätigkeiten zu erbringen und dies in der Gesamtbetrachtung zur bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit führt.

Dies reicht aber bei Weitem nicht 

Die eigentliche Kunst des auf das Versicherungsrecht spezialisierten Anwalts im Prozess besteht darin, in Abhängigkeit von dem geschilderten Gebrechen, auf welches die behauptete Berufsunfähigkeit gestützt wird, darzustellen, dass der Betriebsinhaber diese Berufsunfähigkeit auch nicht durch Umorganisationsmaßnahmen verhindern könnte oder eine solche, falls machbar, jedenfalls aus bestimmten Gründen unzumutbar sei. 

Man sollte sich darauf einstellen, dass die Fantasie der Versicherer oder deren geweifter prozessualer Vertreter (BLD, Zorn und weitere Spezialisten) in diesem Bereich schier grenzenlos ist: In Betracht kämen ein Rückzug in den rein organisatorischen oder Bürobereich, Neueinstellungen zur Kompensation der eigenen Einschränkungen, aber auch Entlassungen zur Erlangung von Tätigkeitsbereichen, die der Betriebsinhaber sinnvoll ausfüllen könnte. Daneben könnten auch betriebliche Arbeitsabläufe zur Entlastung des Betriebsinhabers verändert oder Tätigkeiten „outgesourct“ werden, um die Arbeitskraft des Inhabers zu erhalten (zumindest aber den Versicherer vor der Eintrittspflicht zu bewahren …).

Manch ein Betriebsinhaber wird sich in dieser Situation fragen, wofür er jahrelang sündhaft teure Monatsprämien entrichtet hat, wenn sich das Versprechen einer angemessenen finanziellen Absicherung im Schadensfall zwischen den Haken und Ösen des Kleingedruckten verflüchtigt.

Insbesondere Inhaber von Klein- und Kleinstbetrieben stehen an dieser Stelle vor besonderen Zumutbarkeitsproblemen. Zwar verfügen auch sie über ein Weisungsrecht, aber aufgrund der überschaubaren Betriebsabläufe faktisch nicht über die Möglichkeiten, einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu schaffen. Nur wenige Bedingungen enthalten einen Verzicht auf das Umorganisationsverlangen unterhalb einer bestimmten Betriebsgröße. Sind diese vorhanden, sind sie häufig fehlerhaft, weil intransparent ausgebildet, indem z. B. die Betriebsgröße nach der schlichten Kopfzahl der Mitarbeiter benannt wird. 

4. Das OLG München hatte hierzu in einem nicht entschiedenen Fall (25 U 4292/18 Praxx ./. Allianz LV AG) zutreffend ausgeführt, dass die Beantwortung einer differenzierten Prüfung nach dem Anteil von Voll- und Teilzeitkräften im Betrieb bedarf. 

Auch in anderen Rechtsgebieten würden organisatorische Zumutbarkeitsprobleme entsprechend gelöst. So kennt das Arbeitsrecht in § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG ebenfalls eine Ausnahme vom Kündigungsschutz in Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung beschäftigten beschäftigt werden. Eine Anleitung zur Berechnung nach Quoten findet sich schließlich in § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG, wonach bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen sind.

Aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsversicherungsnehmers sei eine entsprechende Bedingung dahin zu verstehen, dass es sich hierbei um Vollzeit-Arbeitnehmer handele, Teilzeitbeschäftigte seien ggfs. mit einer stufen Pauschalierung, w.o., in die Berechnung einzustellen.

5. Fazit: 

Der Ansatzpunkt des OLG München verdient Beachtung und Zustimmung. Darüber hinaus läge es an dem Gesetzgeber, durch ein Regelung, wie der des § 23 KSchG nachgestaltet, im VVG für einen hinreichenden Schutz mitarbeitender Betriebsinhaber von Klein- und Kleinstbetrieben gegen unzumutbare Umorganisationserfordernisse der Versicherer zu sorgen.

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Rechtsanwalt Dieter W. Schmidt ist Fachanwalt für Versicherungsrecht mit dem Kanzleisitz in Passau, verfügt über eine 30-jährige anwaltliche Berufserfahrung und vertritt Ihre versicherungsrechtlichen Interessen mit den Schwerpunkten Unfallversicherungs- und Berufsunfähigkeitsrecht bundesweit an allen Landes- und Oberlandesgerichten.


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