Die Haftung des Geschäftsführers für nicht abgeführte Sozialversicherungsbeträge

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Wird über das Vermögen einer Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, stellen Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen als Einzugsstellen für Sozialversicherungsbeiträge regelmäßig offene Verbindlichkeiten dar. In den vergangenen Jahren häufen sich die gerichtlichen Fälle, in denen über die Anmeldung der offenen Forderung der betroffenen Krankenkassen hinaus, der Geschäftsführer der Gesellschaft als deliktischer Anspruchsschuldner in den Fokus der Krankenkassen zur Tilgung der Verbindlichkeit gerät. Der Geschäftsführer wird persönlich unter Bezichtigung einer deliktischen Verhaltensweise gestützt auf § 823 II BGB iVm § 266a I StGB in die Haftung genommen werden.

Der Standpunkt des BGH

Unabhängig von einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen der Strafbarkeit des Geschäftsführers nach § 266a I StGB, stützt sich die Argumentation der Krankenkassen in ihrer Klageschrift zumeist darauf, dass die Insolvenzschuldnerin für bestimmte Arbeitnehmer in den letzten Monaten vor der Eröffnung der Insolvenz keine Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung abgeführt habe und der Geschäftsführer seiner Beitragspflicht gegenüber der Krankenkasse als zuständige Einzugsstelle nicht nachgekommen sei, obwohl in den betroffenen Monaten ausreichende Liquidität bestanden habe, um die Verbindlichkeiten zu erfüllen. Dieser Argumentation schließt sich der BGH mit Urteil vom 21.01.1997 - VI ZR 338/95 an.

„Die Arbeitgeberin ist erst am Fälligkeitstage zur tatsächlichen Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge verpflichtet. Sie hatte jedoch bereits ab der Auszahlung der Löhne ihre Zahlungspflicht im Auge zu behalten. Ein Arbeitgeber muß rechtzeitig, […] dafür sorgen, daß er die erforderlichen Zahlungsmittel zur Verfügung hat […] Drängen sich jedoch aufgrund der konkreten finanziellen Situation […]Bedenken auf, ob am Fälligkeitstage ausreichende Mittel vorhanden sein werden, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, durch besondere Maßnahmen […]notfalls sogar durch Kürzung der auszuzahlenden Löhne, seine Fähigkeiten zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung soweit wie möglich sicherzustellen […] soweit die vorhandenen finanziellen Mittel nicht zur Begleichung […] ausreichen, die Mittel vorrangig zur Abführung der letzteren an die zuständige Einzugsstelle zur Verfügung zu stellen. E[s] erfüllt den Straftatbestand des § 266a I StGB […], wenn […] Forderungen anderer Gläubiger befriedigt und damit [die] Zahlungsfähigkeit im Zeitpunkt der Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge beeinträchtigt [wird].“ 

(vgl. BGH, Urteil vom 21.01.1997 - VI ZR 338/95)

Vorbeugende Maßnahmen bei Liquiditätsschwierigkeiten

Wenn die Liquidität der Gesellschaft nicht mehr ausreicht, um die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmeranteile vollständig zu bezahlen, ist zu empfehlen, dass Zahlungen, die an die Krankenkasse erfolgen im Verwendungszweck mit „Arbeitnehmeranteile“ bezeichnet werden. Dies stellt sicher, dass eine Verrechnung immer zuerst auf die Arbeitnehmeranteile erfolgen muss. Außerdem ist es empfehlenswert der Krankenkasse zeitgleich eine schriftliche Benachrichtigung über den Liquiditätsengpass zukommen zu lassen (vgl. § 266a VI StGB), um einer persönlichen Haftung des Geschäftsführers nach § 823 II BGB iVm § 266a I StGB entgegenzuwirken.

Haftungsausnahmen, insbesondere Insolvenzanfechtung

Außerdem kann die persönliche Haftung des Geschäftsführers gem. § 823 II BGB iVm § 266a StGB entfallen, wenn eine Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO vorliegt. Bei einer deliktischen Schadensersatzpflicht bedarf es insbesondere eines Schadens auf der Seite der Krankenkasse. Demnach müssen die Krankenkassen infolge der unterbliebenen Abführung der Arbeitnehmerbeiträge einen Schaden erlitten haben. An dieser Stelle kommen jedoch die Mechanismen der Insolvenzordnung zum Tragen. Nach § 130 I Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung die einem Insolvenzgläubiger (Krankenkasse), eine Sicherung oder Befriedigung ermöglicht hat, anfechtbar, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte. Eine Anfechtung hat zur Folge, dass das Geleistete an die Insolvenzmasse zurückfließen muss, § 143 I 1 InsO. Mithin würde eine erfolgreiche Insolvenzanfechtung also einen Schaden der Krankenkassen entfallen lassen. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei, ab wann eine Kenntnis der Krankenkasse von der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft angenommen werden kann.

Alleine die erstmalige Nichtzahlung der Sozialversicherungsbeiträge lässt nicht bereits einen sicheren Schluss auf eine Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zu. Sie kann, worauf das LG in seinem Urteil zutreffend hingewiesen hat, auch interne Organisationsprobleme als Ursache gehabt haben. Des Weiteren kommen insoweit auch vorübergehende Liquiditätsschwierigkeiten oder eine zeitweise Zahlungsstockung in Betracht, die für sich alleine betrachtet noch keine dauerhafte Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 130 InsO zur Folge haben müssen.“ (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.09.2014, I – 21 U 38/14)

Vielmehr ist eine solche Kenntnis nach der Rechtsprechung des BGH „erst bei mindestens halbjähriger Nichtabführung [der Arbeitnehmeranteile] anzunehmen.“ (vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2001 - IX ZR 48/01; Urteil vom 10.7.2003 - IX ZR 89/02). Auch kann „bei einem lediglich viermonatigen Rückstand eine Zahlungsunfähigkeit nur dann angenommen werden, wenn weitere Umstände im Verhalten des Schuldners auf eine Zahlungsunfähigkeit hindeuten.“ (vgl. BGH, Beschluss vom 13.6.2006 - IX ZB 238/05).

In der Praxis wird die Krankenkasse jedoch regelmäßig bereits erfolglos vollstreckt oder einen Insolvenzantrag gestellt haben, der sich durch Zahlung erledigt hat und demnach die Kenntnis der Krankenkasse gegeben sein kann, sodass eine Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO erfolgreich wäre und daher die Krankenkasse ohnehin verpflichtet wäre, die abgeführten Arbeitnehmeranteile an die Insolvenzmasse zurückzuführen. Hierbei ist jedoch der Zeitpunkt der Kenntnis erheblich. Wenn eine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin vorliegt, entfällt ein Schaden und in der Folge auch eine persönliche Haftung des Geschäftsführers nach § 823 II BGB iVm § 266a I StGB.

Im Ergebnis lässt sich demnach feststellen, dass Aussichten eine persönliche Haftung entweder abzuwenden oder eine außergerichtliche gütliche Einigung zu erzielen durchaus bestehen. Sollten Sie hierzu Fragen oder rechtlichen Beistand benötigen, stehe ich Ihnen zu Fragen rund um dieses Thema gerne zu Verfügung.



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