Die Haftung im Medizinrecht - Mitverschulden des Patienten OLG Nürnberg U. v. 15.02.2023 – 4 U 20/22

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Streitigkeiten bezüglich der Haftung und des Verschuldens kommen im Medizin- bzw. Arzthaftungsrecht sehr häufig vor. Oft lässt sich die Frage nicht eindeutig beantworten und hängt damit von der Argumentation der Anwälte sowie vom Ermessen des Gerichts ab. Für einen juristischen Laien ist es kaum möglich, die Argumente, die für ihn sprechen, fachgerecht herauszuarbeiten. Auch ist es sehr schwer nachvollziehbar, dass man erst einmal den Beweis erbringen muss, dass eine Handlung fehlerhaft war und diese fehlerhafte Handlung dann auch den Schaden verursacht hat. Juristische Laien sehen den entstandenen Schaden, der nach ihrer Ansicht ja auch nur auf einem Behandlungsfehler beruhen kann. Dass den Patienten aber auch ein Mitverschulden treffen kann, ist oftmals schwer nachvollziehbar.   


In den meisten Fällen ist es mithin unumgänglich, sich einen spezialisierten Anwalt zur Seite zu holen. Dies wird vor allem am folgenden Fall deutlich; hier ist ausnahmsweise der Arzt der Kläger:


Sachverhalt: 

Geklagt hatte ein Radiologe gegen eine Patientin auf Schadensersatz.

Es sollte eine MRT-Untersuchung durchgeführt werden. Da die Patientin eine metallische Orthese am Bein hatte, wurde diese von dem Magneten des MRT angezogen, so dass eine Not-abschaltung des MRT durchgeführt werden musste. Dadurch entstanden dem Kläger Kosten für das Neubefüllen des Magneten und den Einsatz eines Servicetechnikers in Höhe von 56.474,23 €. Zudem machte er einen Umsatzverlust in Höhe von 6.625,23 € geltend.

Vor der Untersuchung erhielt die Beklagte einen Anamnesebogen, in dem unter anderem die Frage nach metallischen Gegenständen gestellt wurde. Die Beklagte kreuzte auf dem Fragebogen lediglich an, dass sie eine Zahnprothese trage. Weitere Angaben machte die Beklagte nicht. Auch nachdem sie mehrfach von den Mitarbeitern des Klägers gefragt wurde, ob sicher alle metallischen Gegenstände entfernt bzw. angegeben wurden, verschwieg die Beklagte die Orthese.  


Entscheidung 1. Instanz:

Das LG Nürnberg-Fürth (U. v. 02.12.2021 - 14 O 8613/20) sprach dem Kläger 28.237,12 € zu. Das Gericht ging von einem nur anteiligen Verschulden auf beiden Seiten aus.

Durch das Verschweigen der von ihr getragenen Orthese, hat die Beklagte ihre Nebenpflicht sowie ihre Mitwirkungspflicht aus dem mit dem Kläger abgeschlossenen „Arztvertrag“ verletzt und ist deshalb gemäß §§ 280 I, 241 II, 630a, 630c BGB zum Schadensersatz in obiger Höhe verpflichtet. Patienten trifft die Obliegenheit, für die Behandlung bedeutsame Umstände zeitnah offenzulegen und dem Behandelnden auf diese Weise ein Bild von ihrer Person und körperlichen Verfassung zu vermitteln, sowie erforderliche Anordnungen im Rahmen der Behandlung zu befolgen. Folglich handelte die Beklagte hier grob fahrlässig, da trotz mehrfacher Hinweise und Aufforderungen die metallische Orthese nicht erwähnt wurde.


Jedoch wurde dem Kläger ein Mitverschulden zu 50 % angerechnet durch seine ihm gem. § 278 BGB zuzurechnenden Mitarbeiter gem. § 254 BGB.

Argumentiert wurde damit, dass eine Notabschaltung des MRT nicht zwingend notwendig gewesen wäre. Man hätte stattdessen die Orthese der Beklagten durch Öffnen der Schrauben abnehmen können. Weiterhin wurde die Beklagte auch nicht über die hohen Kosten einer Notabschaltung informiert. Eine Aufklärung diesbezüglich hätte jedoch auf Seiten des Klägers nach § 254 II BGB erfolgen müssen.


Entscheidung des OLG: 

Aufgrund der Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth gingen beide Parteien in Berufung. Dabei entschied das OLG Nürnberg (U. v. 15.02.2023 - 4 U 20/22) zugunsten der Beklagten. Das Gericht nahm ein so gravierendes Mitverschulden des Klägers und seiner Mitarbeiter an, dass eine Haftung der Beklagten vollständig zurücktrat. Nach dem Ergebnis des vom Senat durchgeführten Augenscheins, bei dem die Beklagte dieselbe Hose wie bei der MRT-Untersuchung getragen hat, stand ohne jeden Zweifel zur Überzeugung des Senats fest, dass sich die Orthese nicht nur unter der Hose deutlich als Fremdkörper abgezeichnet hatte, sondern dass auch deren Metallteile im Knöchelbereich in Form eines schwarzen Teils sowie eines silberfarbenen Metallstücks ohne Weiteres sichtbar und als solche erkennbar waren. Dies hätten auch die Mitarbeiter des Klägers erkennen müssen. Da sie dies nicht haben, erweist sich das Verhalten als besonders leichtfertig.

Auch wurde nicht auf die Höhe des möglichen Schadens durch eine Notabschaltung hingewiesen. Zudem wurde die Orthese im Anamnesebogen nicht ausdrücklich genannt.


Fazit: 

Wie schon erwähnt, sieht man an diesem Fall, wie wichtig es ist, gute Argumente vorzubringen, um das Gericht von der eigenen Unschuld zu überzeugen. Auch wird hier ganz deutlich, dass jeder Richter die Sache anders sieht, wie eben die unterschiedlichen Entscheidungen in den beiden Instanzen zeigen.


Unseres Erachtens ist es auch für einen medizinischen Laien erkennbar, dass es sich bei einer Orthese um einen Gegenstand handelt, der während einer MRT-Untersuchung nicht getragen werden darf, vor allem nachdem die Beklagte mehrmals durch Nachfragen und weitere Warnhinweise darauf aufmerksam gemacht wurde. Auch das Argument, die Orthese sei im Anamnesebogen nicht ausdrücklich genannt worden, erscheint als Argument gegen eine Haftung unzureichend, denn im Anamnesebogen wurden nur Beispiele aufgezählt. Zudem war durch das Wort „etc.“ erkennbar, dass es sich bei der Auflistung nicht um eine abschließende Aufzählung handelt. Es wäre wohl kaum möglich, alle metallischen Gegenstände, die ein Patient möglicherweise an oder bei sich trägt aufzuzählen. Würde man dies verlangen, wären Aufklärungsbögen bald ganze Bücher. Dem Kläger dabei ein besonders gravierendes Mitverschulden zu geben, erscheint im vorliegenden Fall überzogen.


Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, einen spezialisierten Anwalt zu beauftragen, der das nötige Fachwissen im Bereich Medizinrecht aufweist, die Behandlungsunterlagen genau prüft und alle Argumente sauber herausarbeitet, die die geltend gemachten Ansprüche auch stützen.


Wenn Sie einen Behandlungsfehler vermuten, vereinbaren Sie gerne einen Termin zur Ersteinschätzung. Wir haben stets ein offenes Ohr für Sie.



Jennifer Wäschle – juristische Mitarbeiterin

Ulrike Böhm-Rößler – Fachanwältin für Medizinrecht, Fachanwältin für Arbeitsrecht




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